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Nicht fernsehen, vorlesen!


Autor: Petra Mayer

Bamberg, Sonntag, 23. Oktober 2016

Kinder aus fast 20 Kitas, Schulen und anderen Einrichtungen werden am 18. November Geschichten lauschen, die prominente Bamberger vortragen.
Renate Steinhorst mit dem erklärten Lieblingsbuch ihrer Kinder, die mittlerweile der nächsten Generation vorlesen: "Der Räuber Hotzenplotz" Foto: Ronald Rinklef


Kinder lieben Geschichten. Viele Mütter und Väter aber parken den Nachwuchs lieber vorm Fernseher als ihm abends noch Märchen vorzulesen. Ein trister Trend, dem der bundesweite Vorlesetag entgegenzusteuern sucht. In Bamberg werden am 18. November Kinder aus knapp 20 Kitas, Grundschulen und anderen Einrichtungen von prominenten Vorlesern an prominenten Orten erwartet. Als Veranstalter haben die Lesefreunde beispielsweise Melanie Huml, Ludwig Schick, Andreas Starke und Sibylle Broll-Pape für die Aktion gewonnen, über die wir mit Renate Steinhorst als Mitinitiatorin sprachen.



Mit Paul Maar

Seit 2004 gibt es den bundesweiten Vorlesetag. Findet er heuer erstmals auch in Bamberg statt?
Erstmals offiziell.
Die Lesefreunde veranstalteten schon früher Aktionen mit Prominenten wie Paul Maar oder Nevfel Cumart, um die Bedeutung des Vorlesens, das eben nicht mit gemeinsamen Fernsehabenden gleichzusetzen ist, in den Blickpunkt zu rücken.



Bessere Noten

Ist das Vorlesen in Zeiten, in denen Smartphones und Tablets zur kindlichen Lebenswelt gehören, denn mehr als ein verstaubtes Ritual?
Aber sicher. Es gibt Studien, die einen deutlichen Zusammenhang mit der weiteren Entwicklung der Kinder belegen. Jungen und Mädchen, denen vorgelesen wurde, zeigen beispielsweise bessere schulische Leistungen. Soziale Kompetenzen werden intensiviert, so dass diese Menschen später auch mitfühlender sind und einen ausgeprägteren Gerechtigkeitssinn haben. Darüber hinaus stärkt Vorlesen die familiären Bindungen.


"Kleiner Wassermann" war zu gruselig

Meine Mutter musste mir immer "Die Häschenschule" vorlesen. Welche Lieblingsvorlesegeschichte hatten Sie als Kind? Was wünschte sich Ihr Nachwuchs?
"Sindbad, der Seefahrer" hat mich besonders fasziniert. Darin habe ich auch mit meiner älteren Schwester geschmökert, bevor ich in die Schule kam. Meine Kinder liebten Otfried Preußlers "Räuber Hotzenplotz". Seinen "kleinen Wassermann" fand meine Tochter zu gruselig.



Weniger Nähe

Was geht der Eltern-Kind-Beziehung Ihrer Überzeugung nach verloren, wenn es statt Vorlesestunden nur mehr gemeinsame Abende vor dem Fernseher gibt?
Das Vorlesen ist durch nichts zu ersetzen, weil dabei eine viel größere zwischenmenschliche Nähe als vor dem Fernseher entsteht. Eltern nehmen sich ganz bewusst Zeit für ihre Kinder und zeigen damit letztendlich, wie wichtig sie ihnen sind. Während beim Fernsehen das Geschehen vorbeiflimmert und jedes Gespräch eher als störend empfunden wird.



Die Konkurrenz ausstechen

Was aber tun, wenn Kinder lieber "Paw Patrol" sehen als sich vorlesen zu lassen?
Das kommt vor. Dann gilt es nachzudenken, wie man die "Konkurrenz" geschickt ausstechen kann. Bei Johan, meinem dreieinhalbjährigen Enkel, war's kürzlich eine Geschichte über Dinosaurier. Die begeisterte ihn.



Ministerin liest im Klinikum

Eine Stunde lang lauschen Bamberger Kinder am 18. November Geschichten. Wobei die Veranstaltungsorte nicht zufällig gewählt sind, sondern oftmals in Verbindung mit den Vorlesern stehen.
Ja, unsere Gesundheitsministerin erwartet Kinder im Klinikum. Der Erzbischof lädt ins Erzbischöfliche Palais ein, Oberbürgermeister Starke ins Rathaus, Sibylle Broll-Pape in den Theatertreff. Auch beteiligen sich auf diese Weise der Leiter der Stadtwerke, der Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt, die Leiterin der Stadtbücherei und andere an der Aktion.

Organisiert wird der erste offizielle Bamberger Vorlesetag von den "Bamberger Lesefreunden". Wann startete das Projekt - und wie viele Vorleser umfasst es mittlerweile?
Fünf Bamberger initiierten das Projekt 2009. 2010 gab's bei der offiziellen Gründung schon 18 Lesefreunde. Inzwischen stieg die Zahl auf rund 100 ehrenamtliche Vorleser. Vor allem Frauen unterschiedlichsten Alters engagieren sich auf diese Weise. Wir stehen mit 25 Kindertageseinrichtungen in Kontakt, die wir besuchen. Auch nehmen zehn Familien unser Angebot in Anspruch.



Familien besuchen

Es gibt Familien, die sich von Vorlesern besuchen lassen?
Ja, Familien mit Migrationshintergrund, die zu Hause kaum Deutsch sprechen. Wir erreichen die Kinder aber auch über die Kitas, wo wir dann entsprechende Vorlesestunden für Gruppen anbieten.



Kann jeder bei den Lesefreunden Vorleser werden?
Jeder, der einen Tag lang entsprechend geschult wird. So gibt es eigene Seminare, bei denen Experten das Anliegen unseres Projektes vermitteln: die Sprach- und Leseförderung von Kindern auf Grundlage des "dialogischen Lesens". Übrigens kommen wir auch in deutsche Familien, die Interesse an Vorlesern haben.



Auf einen Blick

Vorleser am 18. November: Gesundheitsministerin Melanie Huml, Erzbischof Ludwig Schick, Dekan Hans-Martin Lechner, OB Andreas Starke, Klaus Rubach (Geschäftsführer der Stadtwerke), Friedhelm Marx (Lehrstuhlinhaber für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Bamberg), Werner Dippold (Geschäftsführender Vorstand der AWO KV Bamberg), Gisela Filkorn. Familienbeauftragte der Stadt, Mohamed Hédi Addala (Vorsitzender des Migranten- und Integrationsbeirates der Stadt), Wiebke Kana (Pressereferentin des Künstlerhauses Villa Concordia), Christiane Weiß/Anja Hartmann (Leitung Stadtbücherei Bamberg), Sibylle Broll-Pape (Intendantin des E.T.A.-Hoffmann-Theaters)

Teilnehmer: Kinder aus fast 20 Bamberger Kitas, Schulen und anderen Einrichtungen

Veranstalter: Die BambergerLesefreunde