Druckartikel: Nachmittagsunterricht und 40 Schüler in einem Raum

Nachmittagsunterricht und 40 Schüler in einem Raum


Autor: Ralf Kestel

Bamberg, Donnerstag, 07. Juli 2016

Ralf Kestel, Abiturjahrgang 1979, ist einer der vielen Ehemaligen, die sich am Wochenende im Dientzenhofer-Gymnasium wiedersehen werden. Er schaut zurück.
Der Sportleistungskurs des Abiturjahrganges 1979 mit Autor Ralf Kestel (vordere Reihe, Dritter von rechts) Foto: privat


Die Erinnerungen tauchen immer wieder auf, wie die Nebel von damals: Jede Fahrt nach Bamberg führt mich durch die Memmelsdorfer Straße. Dann, voller Stolz, der Blick zur Seite und auf "meine Schule" - "des Dientzenhofer". 50 Jahre ist der Bau nun alt. Zehn Jahre davon bestimmte er mein Leben.

Viel davon blieb hängen, wie der Nebel, der sich zu Beginn jedes Schuljahres über die Fluren zwischen Hallstadt und Bamberg, den Roppach, legte, durch die kleine Fußballer vom SV Hallstadt mit dem Fahrrad in eine neue, ihm völlig fremde Welt strampelte, ins Gymnasium. Ein gewaltiger Sprung für den elfjährigen Spross einer Schreinerfamilie, der ihn bis zum heutigen Tag prägt. Was blieb? Ein paar Sprossen einer Karriereleiter, verklärt-angenehme, wie auch nostalgisch-romantische Reminiszenzen. Aber auch ein Schock bei einer Rückkehr nach über 20 Jahren.


Das Auswärtigenzimmer

Unvergessen, die anfängliche Unsicherheit des Knirps' im Auswärtigen-Zimmer, wo ein letzter Blick auf die Hausaufgaben geworfen wurde und die kritische Nachschau von Hausmeister Büttner im Graumann, wenn es etwas zu laut wurde. Das änderte sich im Verlauf der Jahre grundlegen. Am Ende wäre ich am liebsten nie gegangen (Verlängerung durch freiwilliges Wiederholen der Kollegstufe 12 inklusive, da mit der Leistungskurs-Kombination Englisch/Sport die Ideal-Konstellation in Sachen Aufwand-Ertrag-Formel gefunden ward. Ein großer Lehrerfolg des eigenständigen Transfer-Denkens!).


Protestzug zum Maxplatz

Was haben wir nicht alles mitgemacht! Sechs Eingangsklassen, bis zu 40 Schüler in einem Zimmer, Nachmittagsunterricht an zwei Tagen bis 18 Uhr, Samstagsunterricht bis 13 Uhr, der Protestzug zum Maxplatz an einem schulfreien Samstag für einen Erweiterungsbau (Dezember 1972), und letztlich dessen Inbesitznahme.

Der Weg zur Schule von Hallstadt aus, neben dem Fahrrad mal mit dem Zug, mal mit dem Stadtbus, mal bezahlt, mal ohne Zuschuss zur Schülerbeförderung. Dem Vespa-Roller folgte die Volljährigkeit samt Führerschein und "dolce vita". Was gab es Schöneres als motorisiert in der Kollegstufe, erst mit VW Käfer, dann 850er-Fiat.

Zur liberalen Schule kam nun die Freiheit, sich selbst abzumelden, sei's für Fahrten auf den Jura-Trauf bei Tiefenellern oder die Bierkeller der Region (Stichwort: Anti-Stressprogramm), und Konzerten.


Triumpf über die Lehrer

Was blieb? Der Triumpf, als erste Klassenmannschaft die Lehrer-Auswahl im Fußball besiegt zu haben (Klasse 11e anno 1976), die gute Tat als Umzugshelfer bei der Trennung einer Lehrerin von ihrem Mann. Die unzähligen Stunden und philosophischen Exkurse im Café Loskarn oder in der Caféteria der (damals) pädagogischen Hochschule. Die Heimatkunde auf dem Spezi-Keller. Klingt fast nach dem "richtigen Leben". Wir waren eine klasse Truppe, viele Freundschaften (nicht zu verwechseln mit Seilschaften) haben bis in die Gegenwart gehalten.

Das vermittelte "Rüstzeug" auch: Aus dem Autoren der Schülerpostille "Sketch" (ich habe noch etliche Ausgaben) wurde ein Zeitungsredakteur. Die Gitarren, die ich mir als Autodidakt für die Schüler-Combo in Raten abgestottert habe, spiele ich heute noch. Auch wenn ich mich als leidenschaftlicher Fußballer stets darüber ärgerte, dass ich am DG ständig Basketball spielen musste, habe ich seit über zehn Jahren eine Dauerkarte für die Brose Baskets und bin Stammgast beim TSV Tröster Breitengüßbach.


"Kalle" und die Chemie

Die Englisch-Referate, mit denen ich Lehrerin und Mitschüler von meinem Musikgeschmack zu überzeugen suchte, stehen sorgsam abgeheftet in einem Regal im Musik-/Arbeitszimmer neben den Vinyl-Scheiben von einst. Tourneen von "YES" und Peter Gabriel lasse ich immer noch nicht aus und benehme ich mich als "alter Sack" wie ein ausgeflippter Hippie-Teenie. Wie damals halt, wenn bei "Kalle" Schurr einmal ein Chemieversuch klappte.

Vom gepaukten Wissen blieb auch ein bisschen (Satz von Pythagoras, binomische Formeln, Milikan-Versuch, Pawlowscher-Effekt, der kontrapunktische Basslauf). Auch das Hebelgesetz wende ich bisweilen an. Von Grammatik, Wahrscheinlichkeits- und Prozentrechnung, dem Dreisatz sowie der vernünftigen Einordnung einiger historischer Zusammenhänge profitiere ich noch immer.

Wichtiger indes blieb die Mischung aus liberaler und sozial-kritischer Erziehung, die mich prägt(e). Die binomischen Formeln habe ich nie mehr benötigt, gleichschenklige Dreiecke blieben die Ausnahme. Eine Tratte habe ich nie mehr gezogen. Wurzeln fast nur noch im Vorgarten. Okay, das veritable Englisch-Abi erleichterte immerhin die "Karriere" als Obergefreiter der Luftwaffe in einem Nato-Hauptquartier.

Große Vorfreude also auf die Rückkehr an eine Schule, die mich mehr prägte als das Elternhaus, und auf ein Wiedersehen mit vielen (Schul-)Freunden sowie den einstigen Respektspersonen, von denen sich einige durchaus einfühlsame und verständnisvolle Pädagogen nennen dürfen (zumindest zu meiner Zeit zwischen 1969 und 1979). Und auch Neugier schwingt mit: Wie hat sich "meine Schule" entwickelt bzw. verändert?


Spurensuche an der Wand

Beim letzten Besuch im Jahr 1998 war ich schockiert: Als es um den Wechsel des großen Sohnes ans Gymnasium ging, entdeckte ich beim Informationsabend an einer Wand eine Macke im Putz, die ich noch zu verantworten hatte (durch das Verrücken der Schulbänke zu einer Tischtennisplatte), und es standen Stühle herum, auf denen ich meinen Hintern schon gewetzt hatte. Der Kontrollgang folgt am Samstag. Ich bin gespannt...


Der Autor

Ralf Kestel, Jahrgang 1958, wuchs in Hallstadt auf. Nach Abitur (2,1) und 2,0 Jahren bei der Bundeswehr begann er zunächst ein Praktikum beim Fränkischen Tag in Bamberg, wechselte aber er schnell über in ein Volontariat. Der Vater zweier erwachsener Söhne ist zum zweiten Mal verheiratet und leitet seit 32 Jahren die FT-Redaktion in Ebern, wo er seit zehn Jahren auch (wieder) wohnt.