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Mit Fabeltier auf Kundenfang


Autor: Redaktion

Bamberg, Dienstag, 18. Dezember 2018

Das aus einer Fassade am Grünen Markt herausragende Einhorn erinnert an eine frühere Apotheke. Gästeführerin Claudia Büttner macht sich auf die Spurensuche.
Hat sich hier jemand eine goldene Nase oder ein goldenes Horn verdient? Foto: Eva-Maria Bast


Bei kleinen Mädchen ist es seit Jahren - bevorzugt in Rosa - der Hit, es wurde besungen, bedichtet, diente als Romanstoff - und: als Werbung für Apotheken. Die Rede ist von dem edelsten aller Fabeltiere, dem Einhorn. In Bamberg ragt eines am Grünen Markt aus der Fassade eines Hauses.

Gästeführerin Claudia Büttner kennt den Grund: "Hier befand sich früher die Einhorn-Apotheke", sagt sie. Doch das führt schon zur nächsten Frage: Warum nennt sich eine Apotheke nach einem Fabelwesen? Und weshalb tun das so viele Apotheken in ganz Deutschland? Einhorn-Apotheken gibt es schließlich wie Sand am Meer!

"Das passt schon", findet die Volkskundlerin, "denn man hat in den Apotheken ja früher nicht nur mit Heilkräutern gearbeitet, sondern auch mit sehr skurrilen Substanzen. Und dazu gehörte auch das Pulver des Einhorn-Horns." Diese schneckenartig gedrehten und spitz zulaufenden Hörner seien im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit an den Stränden der Meere gefunden worden, "und man glaubte, dass das Einhorn ein aus dem Schaum entstandenes Wesen sei.

Heute weiß man es besser, nämlich, dass es gar kein Horn war, was die Menschen damals fanden, sondern der Zahn eines Narwales", erzählt die Bambergerin und schmunzelt. Das, sagt Büttner, habe man eigentlich schon seit dem 17. Jahrhundert gewusst, es jedoch nicht wahrhaben wollen. Zu verlockend sei die Aussicht auf ein Wundermittel von einem mystischen Tier gewesen. "Der für ein Horn gehaltene Zahn wurde also zu Pulver zerstoßen und hatte angeblich eine entgiftende Wirkung. Außerdem galt das Horn, wie alles, was hart und spitz ist, als Aphrodisiakum."

Apotheker, die ihre Apotheke nach dem Einhorn benannten, hätten damit zum Ausdruck gebracht, dass sie über besondere und wertvolle Mittel wie dieses verfügen, überlegt die Volkskundlerin. Und noch etwas sei hinzugekommen: "Die Apotheker haben sich das Einhornpulver in der Regel mit Gold aufwiegen lassen und sich daran buchstäblich eine goldene Nase - oder ein goldenes Horn verdient." Deshalb ist das Horn in Bamberg auch golden.

Das Einhorn wird schon in der Antike unter anderem von Aristoteles erwähnt und auch der Physiologus, das frühchristliche griechische Buch aus dem 2. Jahrhundert, in dem wundersame Pflanzen, Tiere und Steine beschrieben sind, geht natürlich auf das Einhorn ein und schreibt, dass dieses Wesen nur von einer Jungfrau - der Jungfrau Maria - eingefangen werden könne.

Die Tatsache, dass das Tier nur über ein Horn verfügt, sei ein Hinweis auf den Monotheismus, so die Deutung. Und so fand das Einhorn natürlich auch Eingang in die christliche Kunst. Die älteste Darstellung zeigt ebenjene Jungfrau Maria in der Verkündigungsszene, die ein Einhorn in ihrem Schoß beschützt, während der Erzengel Gabriel vor ihr kniet. Dargestellt ist diese Szene auf einem liturgischen Buch aus dem 12. Jahrhundert im Kloster Einsiedeln.

Der medizinische Aspekt kommt im Mittelalter auf, als zum Beispiel die Mystikerin und Heilerin Hildegard von Bingen in ihrer Physica von Einhörnern schreibt: "Das Einhorn ist mehr warm als kalt, aber seine Stärke ist größer als seine Wärme, und es frisst reine Kräuter, und beim Gehen macht es gleichsam Sprünge, und es flieht den Menschen und die übrigen Tiere außer denen, die von seiner Art sind, und deshalb kann es nicht gefangen werden." Sie empfiehlt, die Leber eines Einhorns zu einem Pulver zu verarbeiten. Sie gibt die Anleitung, dies mit Fett oder Schmalz zu mischen, "das aus Eidotter bereitet ist", und rät dem das Mittel Zubereitenden, er solle auf diese Weise eine Salbe machen.

Weiter: "Und es gibt keinen Aussatz, welcher Art auch immer er sei, der nicht geheilt würde, wenn du ihn mit dieser Salbe einreibst, es sei denn, der Aussatz ist der Tod jenes Erkrankten oder Gott will ihn nicht heilen."

Mittel gegen Fieber

Eine weitere Empfehlung Hildegards: "Mach aus der Haut des Einhorns einen Gürtel und gürte dich damit auf deiner Haut, und in dieser Zeit wird dich kein schlimmes Übel oder Fieber schädigen. Mach auch Schuhe aus seinem Fell und zieh sie an, und du wirst in dieser Zeit immer gesunde Füße und gesunde Beine und gesunde Nieren haben, und kein Übel wird dich unterdessen verletzen, denn dieses Fell ist von großer Wirkkraft und Gesundheit durchdrungen."

Ob die Inhaber der Bamberger Apotheke ihren Kunden solche Mittel wohl auch angeboten haben? "Das ist nicht bekannt", schmunzelt die Gästeführerin. "Klar ist allerdings, dass ihre Apotheke zwar Einhorn-Apotheke hieß, sie aber kein Einhorn an der Fassade hatte, wie das heute der Fall ist." Die Apotheke sei im Zweiten Weltkrieg bei einem Luftangriff zerstört und anschließend wiederaufgebaut worden. "Vermutlich ist dieses Einhorn beim Wiederaufbau an die Fassade angebracht worden", sagt sie.

Eine Einhorn-Apotheke befand sich hier auch tatsächlich noch viele Jahre, dann wurde sie aufgegeben. Das Einhorn aber blickt tagein, tagaus über den Grünen Markt und kündet stumm davon, dass sich hier in der Vergangenheit jemand vielleicht eine goldene Nase - pardon, ein goldenes Horn - verdient hat. Mit Einhorn-Horn-Pulver, versteht sich. "Denn man hat in den Apotheken ja früher nicht nur mit Heilkräutern gearbeitet, sondern auch mit sehr skurrilen Substanzen." von Eva-Maria Bast

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