Druckartikel: Mit Esprit gegen die Langeweile

Mit Esprit gegen die Langeweile


Autor: Petra Mayer

Bamberg, Montag, 21. November 2016

Am 22. November ist der "Tag der Hausmusik". Übers Musizieren in Familien, den Wandel der Tradition und Punkrock-Hausmusik sprachen wir mit David Saam.
David Saam trägt als Musiker und Moderator dazu bei, Traditionen zu wahren.  Foto: pr


Wussten Sie, dass der 22. November der "Tag der Hausmusik" ist? Hausmusik, nicht Housemusik! Mit elektronischen Dance-Tracks hat der traditionelle Begriff nichts gemein. Eher mit dem Singen und Spielen von Instrumenten im Familien- oder Freundeskreis. Ja, kleine private Konzerte werden auf diese Weise seit Jahrhunderten in den eigenen vier Wänden veranstaltet. Nur ist von der Tradition, wie sie einst auch im Hause Mozart, Schubert und Bach gepflegt wurde, heute kaum mehr die Rede. Eine Entwicklung, über wir mit David Saam sprachen, der als Gründer des Antistadls, von Formationen wie dem Kellerkommando und Boxgalopp Brücken zwischen dem Brauchtum und angesagten musikalischen Trends von heute schlägt.



Mit E-Gitarre und Schlagzeug

Hausmusik: Wie steht's mit Ihren diesbezüglichen Erfahrungen?
Tatsächlich wurde in meinem Elternhaus gemeinsam musiziert - unter Ausschluss der Öffentlichkeit, was somit wohl dem Hauptkriterium der Hausmusik entspricht. Vielleicht lag's daran, dass meine Eltern Musiklehrer sind. Jedenfalls spielten wir an Weihnachten, zu Geburtstagen und anderen Festen gemeinsam Klavier und Orff-Instrumente, später kamen noch E-Gitarren und ein Schlagzeug zum Einsatz. Mit meinem Bruder hab' ich Punkrock-Hausmusik gemacht - nicht unbedingt zur Freude unserer Nachbarn.

Dem 17. Jahrhundert entstammt der Begriff "Hausmusik". Warum entwickelte sich diese Form des gemeinsamen Musizierens aber erst im 19. Jahrhundert zum großen Trend?
Der Begriff "Hausmusik" hat in seiner Geschichte mehrere Wandlungen erfahren und erscheint mir daher heute schwammig. Im 19. Jahrhundert wurde das Musizieren in den eigenen vier Wänden zum Lebensbestandteil der bürgerlichen Familie. Vor allem die Töchter aus gutem Hause sollten Klavier spielen lernen - angeblich erhöhte das sogar ihre Chancen auf dem Heiratsmarkt. Instrumente wurden im 19. Jahrhundert auch überhaupt erst erschwinglich für die mittleren und unteren Schichten.



Gassenhauer singen

Wie entwickelte sich die Hausmusik weiter?
Zuhause wurden natürlich nicht nur einfache klassische Stücke gespielt. Man kann davon ausgehen, dass auch beliebte Volkslieder und später im 19. Jahrhundert aufkommende Gassenhauer in privaten Kreisen gesungen wurden. All das, was eben in Mode war und ist.



Was führte letztendlich zum Niedergang der Tradition, die im Mittelalter mit dem gemeinsamen Singen nach der Arbeit begonnen hatte?
Ich würde nicht von einem Niedergang sondern Rückgang sprechen. Mit dem Aufkommen von Tonaufnahmen Ende des 19. Jahrhunderts, dann dem Boom von Schellacks und später Schallplatten wurde die Bedeutung des Selbstmusizierens und -singens zurückgedrängt. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind zudem immer neue populäre Musikstile aufgekommen. Eine unüberschaubare Vielfalt entstand. Dank der unterschiedlichen Geschmäcker nahm dann aber auch das gemeinsame Liedgut ab.


"Nacht der 1000 Lieder"

Gibt's moderne Formen von Hausmusik?
Sicher.Treffen sich Jugendliche, die auf Rock, Pop oder Hip Hop stehen, zum gemeinsamen Musizieren, dann spielen sie doch nichts anderes als Hausmusik. Auch die "Nacht der 1000 Lieder", die Leute aus meinem Freundeskreis mal einfach so in den eigenen vier Wänden zelebrierten, wäre unter diesem Begriff einzuordnen. Ebenso jede andere wilde Singrunde, die nicht vor Publikum stattfindet oder eine Aufführung im Blick hat.

Im Freundeskreis lebt die Hausmusik weiter, während den Familien dieses Stück Gemeinsamkeit verloren ging?
Das glaube und hoffe ich nicht. Es gibt sicher noch Familien, die auf Feiern miteinander singen und musizieren. Wenn man auch mutmaßen kann, dass vielerorts eher die Weihnachtslieder-CD oder die Spotify-Liste abgespielt wird. Die Erfahrung des gemeinsamen Musizierens geht aber flöten, wenn Musik bestenfalls noch gemeinsam konsumiert wird. Das ist schade, weil solche positiven Erlebnisse Menschen verbinden - auch Menschen verschiedener Kulturen, verschiedener Länder und Kontinente, wie man weiß.



Auch dem Volxmusik-Kochtopf

Als Musiker und Radiomoderator tragen Sie seit Jahren selbst dazu bei, Traditionen zu bewahren - auf unkonventionelle Weise, was den Erfolg von Bands wie dem Kellerkommando oder Boxgalopp ausmacht.
Ja, wir sehen uns in der Tradition von Musikanten vergangener Generationen. So besteht das Instrumentarium von Boxgalopp beispielsweise auch aus Klarinette, Geige, Akkordeon, Kontrabass - und gelegentlich dem Dudelsack. Melodien aus Franken und anderen Regionen der Welt landen im großen Volxmusik-Kochtopf, um zu fröhlichen, wilden Musikstücken zum Tanzen, Zuhören und Mitsingen verschmolzen zu werden.



Nicht mehr die Musik der Alten

Als verstaubt galt die traditionelle Musik Jahrzehnte lang. Warum punktet sie heute bei jungen Leuten?
Die Zeiten sind vorbei, in denen traditionelle Klänge als antiquiert abgestempelt wurden. Das Image wandelte sich in den vergangenen Jahren entscheidend, was vielen jungen Musikern zu verdanken ist. Traditionelle Musik war ja auch nicht von jeher die Musik der Alten, sondern vor allem die Musik der Jungen, der wir Jahrzehnte später neuen Esprit einhauchten.

Machen Gedenktage wie der "Tag der Hausmusik" Ihrer Meinung nach Sinn, um das Bewusstsein zu schärfen und Vergessenes wieder in Erinnerung zu rufen?
In diesem Fall macht es sicher Sinn, Menschen den Wert des gemeinsamen Musizierens wieder vor Augen zu führen. Und ihnen zu zeigen, wie viel Positives man aus derartigen Erfahrungen ziehen kann.