Mit diesen Innovationen wollen Bamberger Unternehmen der Autokrise trotzen

4 Min
Eine neuartige Trägerplatte reduziert das Gewicht der Tür. Brose beschäftigt in Bamberg und Hallstadt 2300 Mitarbeiter. Brose
Eine neuartige Trägerplatte reduziert das Gewicht der Tür.  Brose beschäftigt in Bamberg und Hallstadt 2300 Mitarbeiter. Brose

Die Bamberger Autozulieferer müssen aktiv Forschung betreiben, mahnt ein Experte. Auf welche Zukunftstechnologien setzen die Firmen?

Georg Roth kennt als Professor für Maschinenbau und Automobiltechnik an der Hochschule Coburg die heimischen Auto-Tüftler wie kaum ein Zweiter. Er sieht die Zukunft für die Bamberger Zulieferbetriebe mittelfristig durchaus optimistisch. "Ich glaube aber, die Branchensituation wird kurzfristig noch problematischer." Die weltweiten Überkapazitäten seien enorm, drückten die Rendite - und würden auch weiterhin zu Stellenabbau führen, prognostiziert Roth.

Er verweist auf eine Studie des Fraunhofer-Instituts, wonach von 400 000 gefährdeten Arbeitsplätzen in der deutschen Autobranche nur rund 180 000 durch neue Technologien zu retten seien. "Zulieferer-Insolvenzen nehmen im Moment zu. Die Zulieferer stehen sehr unter Druck", sagt der Professor - Metallbetriebe stärker als Kunststoffspezialisten.

Für weitere ein bis drei Jahre sieht Roth dunkle Wolken aufziehen. Dann kämen positive Entwicklungen zum Zug. E-Mobilität und Brennstoffzelle: "Klappt die anspruchsvolle Green Mobility mit allen Facetten und Möglichkeiten?", stellt Roth die entscheidende Frage. Forschung spiele die Schlüsselrolle: "Bosch als Beispiel ist in vielen Technologiefeldern sehr innovativ, Brose ebenfalls, zum Beispiel was Tür- und Sitzsysteme angeht, aber auch Komponenten für das autonome Fahren." Roth hält es für wichtig, aktiv Forschung zu betreiben und den Herstellern Ideen anzubieten. Denn Zulieferer erbringen Ingenieurleistung: "Bei manchen Autos stammen bis zu 80 Prozent aller Wertschöpfungen von den Zulieferern. Wenn produktionstechnisch etwas entwickelt wird, ist das meistens eine Leistung aus der zweiten und dritten Reihe. Das Entwicklungs-Know-how liegt oftmals ganz stark bei ihnen."

Auch wenn die überwiegende Zahl der Entwicklungsprojekte mit den Herstellern abgesprochen sei, seien größere Zulieferer wie Brose "sicher gut beraten, auch größere Entwicklungen im Fahrzeugbau selbstständig voranzutreiben". Es gelte, führende Rollen beim Wissen auszubauen, eigene Wettbewerbspositionen zu erarbeiten, um sich weniger abhängig von einzelnen Kunden zu machen. Der Professor hält dabei auch Kooperationen mit Hochschulen für hilfreich. Auch die Politik müsse die Zulieferer stärker als innovative Impulsgeber fördern. Roths Rat an Unternehmen: Sich regional vernetzen, Technologie-Cluster bilden!

Welche Ideen haben die Firmen?

Welche Technologien sollen die Zukunft prägen? Auf Nachfrage stellen fünf der zehn größten heimischen Auto-Firmen hier ihre Projekte vor.

BOSCH

Nicht weniger als das Herzstück der Brennstoffzelle wird bei Bosch entwickelt: der sogenannte Stack. Wegen des Bamberger Know-hows in der Keramik soll dieser hier für die mobile und stationäre Brennstoffzelle zur Serienreife gebracht werden. "Der Stack generiert elektrische Energie und besteht aus einem Stapel aus Brennstoffzellen. In jeder dieser in Serie geschalteten Zellen wird die chemische Reaktionsenergie des kontinuierlich zugeführten Wasserstoffs und Luftsauerstoffs in elektrische Energie umgewandelt", erklärt Bosch. "Als Reaktionsprodukte entstehen nur Wasser, Strom und Wärme." Die besten Chancen für einen breiten Einsatz der nachhaltigen Energieform sieht Bosch im Nutzfahrzeuge-Markt. Die Brennstoffzelle soll die Öko-Boliden über weite Strecken antreiben. Eine Kooperation mit dem schwedischen Hersteller von Brennstoffzellen-Stacks, Powercell Sweden AB, soll einen Serienstart 2022 ermöglichen. Im Bereich der stationären Brennstoffzelle entstehen kleine Kraftwerke, die Rechenzentren oder auch E-Ladestationen speisen.

BROSE

Unabhängig von der Antriebsart hat Brose einige Pfeile im Köcher. "Unser Highlight: Um den Zugang zum Fahrzeug zu einem echten Erlebnis zu machen, haben wir den in Hallstadt entwickelten Seitentürantrieb mit unseren Coburger Innenraumverstellungen vernetzt", erklärt Firmensprecher Christian Hößbacher. Bereits aus der Entfernung erkennt das Auto den Fahrer und begrüßt ihn mit einer Projektion auf dem Boden. Wenn der Mensch durch eine Geste signalisiert, dass er einsteigen möchte, öffnen sich die grifflosen Türen von selbst, die Sitze verstellen sich und laden zum Einsteigen ein. Der Seitentürantrieb ging 2019 im selbstfahrenden Volvo XC90 für den Fahrdienstleister Uber erstmals in Serie.

Ein neues Türkonzept ist auch die zusammen mit Partner Plastic Omnium entwickelte Hybridstruktur aus Kunststoff mit Metallverstärkungen. "Das ermöglicht neue Formen und Designs für Fahrzeuge, beispielsweise mit unter dem Lack versteckten Leuchtelementen", erläutert Hößbacher.

"Außerdem arbeiten wir in Hallstadt an der neuesten Generation unserer Türmodule." Diese Produkte vereinen alle in der Tür benötigten Komponenten wie Fensterheber, Schließsystem und Elektronik auf einer Trägerplatte, was das Gewicht der Tür insgesamt stark reduzieren kann.

SCHAEFFLER

Verbrauch und Emissionen reduzieren: Dieses effiziente Ziel steckt hinter dem vollvariablen Ventiltriebsystem Uni-Air, das Schaeffler vorantreiben soll. Am 1500 Mitarbeiter starken Standort Hirschaid wird das Schnellschaltventil gefertigt, das zum Öffnen und Schließen des Systemhochdruckraums gebraucht wird. Der Vorteil: Motorventile werden bedarfsgerecht gesteuert und ermöglichen laut dem Unternehmen "eine nahezu beliebige Variation des Ventilhubs". Das spare Sprit und verringere die Abgase.

Seit 1986 ist Schaeffler am Standort Hirschaid aktiv und fertigt derzeit auf gut 20 000 Quadratmetern Produktionsfläche vorrangig Systeme und Komponenten für Verbrennermotoren: Ventiltriebskomponenten, elektrische Nockenwellenversteller, Magnetventile und schaltbare Ventilspiel-Ausgleichselemente. "Vor allem im Bereich der Ventiltriebskomponenten, die maßgeblich zur CO2-Reduzierung beitragen, kann der oberfränkische Schaeffler-Standort eine hohe Dichte an Projekten vorweisen", erklärt das Unternehmen. "Die umfassende Erfahrung in der Industrialisierung macht das Werk Hirschaid zu einem unverzichtbaren Partner und Produktionsstandort bei der Entwicklung neuer Produkte für unsere Kunden", sagt Michael Reinig, Werkleiter in Hirschaid.

GRUPO ANTOLIN

Das Entwicklungszentrum bei Grupo Antolin in Bamberg sieht sich als Vorreiter bei der Entwicklung dynamischer und funktionaler Beleuchtungssysteme. Alles integriert im Innenraum. Der Schwerpunkt liegt auf der Elektronik, die mit den Dekorationsteilen im Fahrzeug kombiniert wird. Durch den Einsatz von LEDs mit Mikrocontroller entstehen laut Hersteller Lichtkomponenten, die den Fahrer etwa über Gefahren oder Mängel informieren. "In solchen Systemen können bis zu 100 LEDs installiert werden", erklärt Sprecherin Ute Knauer. Lichtsimulation und Elektronik dienen als Kernkompetenzen: Bei entsprechender Steuerungssoftware werden die Infos aus dem Bordcomputer in Lichtsignale umgewandelt. Bei Grupo Antolin ist man sich sicher, dass Licht eine immer wichtigere Rolle im Innenraum spielen wird. Nicht für die Sicherheit - auch für ein entspanntes und spannendes Fahrgefühl. Die Idee dahinter ist die "vollständige Kopplung der Beleuchtung in Türen, Instrumententafeln, Dachhimmel und Sonnenblenden". Durch die Erweiterung des Standorts Bamberg mit 450 Mitarbeitern sei es gelungen, Autos wie den Golf 8 serienmäßig auszurüsten - ein Eckpfeiler für die Firma.

ALBERT UND HUMMEL

Mitdenkende Roboter automatisieren Produktionsabläufe: Das ist die Kernkompetenz beim 111 Mitarbeiter starken Unternehmen Albert und Hummel in Bamberg. "Nach wie vor ist die Zielsetzung, High-Tech-Produktionsautomatisierungen, Sondermaschinen, Robotertechnologien und vor allem dazugehörige Software für die Fabrik der Zukunft zu entwickeln und zu bauen", erklärt Geschäftsführer Tobias Hummel. Stichworte der Zukunft lauten: Industrie 4.0 und Smart Factories - lernende Fabriken. "In diesem Zusammenhang wird ein weiterer Fokus auf die Entwicklung von intelligenten, autonomen Produktionsmaschinen für die Herstellung von zukunftsrelevanten Energie- und Antriebstechnologien gelegt", sagt Hummel. Seine Firma setzt darauf, Marktveränderungen der Autoindustrie mit Investitionen entgegenzutreten. Technik ist Trumpf.