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Missbrauchs-Skandal: Entsetzen in Bamberg


Autor: Michael Wehner

Bamberg, Donnerstag, 21. August 2014

Die Geschehnisse am Klinikum lösen in ganz Bamberg Bestürzung aus. Viele besorgte Bürger fragen sich, ob der Fall noch größere Dimensionen annehmen wird.
Hier sollen die Frauen missbraucht und vergewaltigt worden sein: Ebene drei des Bamberger Klinikums.  Foto: dpa


Auf der Abteilung für Gefäßchirurgie herrscht am Tag eins nach Bekanntwerden des Skandals um den leitenden Arzt der Station normaler Betrieb. Patienten warten auf ihre Behandlung. Manch einer äußert sich, dass die Situation unfassbar sei. Hier unten, auf der dritten Ebene des Klinikums am Bruderwald, ist der Tatort. Hier soll sich der Arzt an Frauen vergangen haben. Ihnen innerhalb einer vermeintlich wissenschaftlichen Studie Medikamente verabreicht haben, die sie willenlos für die offenbar perfiden Spiele des Mediziners machten.

Nichts ist normal an diesem Tag

Der normale Betrieb musste auch am Donnerstag weitergehen, dennoch ist nichts normal an diesem Tag. Nach den lokalen Medien schlagen die Anfragen der überregionalen Medien im Klinikum auf. Kliniksprecherin Brigitte Dippold hat kaum mehr gegessen. Das Geschehene schlägt ihr auf den Magen. Dem Ärztlichen Direktor Georg Pistorius geht es ähnlich. Die Nacht sei kurz gewesen. An Schlaf ist nicht zu denken. Auch das Telefon steht nicht mehr still. Kein Wunder.

Denn das Ausmaß ist noch nicht abzusehen. Viele mögliche Opfer wissen eventuell gar nicht, dass sie betroffen sind. Die Klinikleitung rät deshalb jeder Frau, die abends einbestellt war zu einer Studie und eine Spritze bekommen hat, "sofort Anzeige zu erstatten", so Brigitte Dippold. Auf der Hotline-Nummer des Klinikums können sich Frauen, die möglicherweise betroffen sind, melden.

Alles, was der leitende Arzt getan haben soll, muss außerhalb des Regelbetriebes geschehen sein. Es sei nicht ungewöhnlich, wenn ein Arzt in Führungsposition auch am Wochenende länger arbeitet oder abends noch anwesend ist, erklärt die Kliniksprecherin. Es ist eine Erklärung, wie das Geschehene unbemerkt bleiben konnte. Die Fassungslosigkeit bleibt dennoch.

Zittern auch im Rathaus

Auch im Rathaus gab es am Donnerstag kein anderes Thema als die Vorwürfe gegen den leitenden Arzt im Klinikum. Das hat mit den kaum glaublichen Geschehnissen in der Ambulanz der Gefäßchirurgie zu tun, aber es hat auch eine wirtschaftliche Dimension: Das Krankenhaus im Eigentum der von der Stadt geführten Sozialstiftung ist einer der größten Arbeitgeber in Bamberg. Jetzt erfährt es eine Aufmerksamkeit, auf die man gerne verzichten könnte: "Wir haben hier jede Menge Anfragen von Medien", sagt Ulrike Siebenhaar.

Doch auch im Rathaus will man mit dem Bekenntnis zu "bedingungsloser Aufklärung" dazu beitragen, den Schaden für das Krankenhaus zu begrenzen. Was dabei hilft, ist das Bewusstsein, dass es eben kein Bamberger Systemproblem gewesen sei, sondern die kriminelle Tat eines Einzelnen. "Davor kann man niemanden endgültig schützen", sagt Siebenhaar. Erste Konsequenzen werden die Vorfälle sehr wahrscheinlich schon am Freitag haben. Dann berät der Stiftungsrat über arbeitsrechtliche Maßnahmen bis hin zur fristlosen Kündigung.

Geht der Schrecken weiter?

Welche Dimensionen der Fall im öffentlichen Bewusstsein erlangen wird, hängt nun vor allem von den Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft ab. Sollte sich die Befürchtung bestätigen, dass noch weitere Frauen missbraucht wurden, dürfte der Schrecken weitergehen.

Das gilt sicher auch für die Frauen, die aus den Medien erfahren müssen, dass sie möglicherweise für die Perversion eines Arztes herhalten mussten, der seine Stellung schamlos ausnutzte. "So etwas zu erfahren, ist eine ganz schlimme Erfahrung. Die Frauen sind durch ein solches Verbrechen, auch wenn sie erst nachher davon erfahren, einem Gewaltakt ausgesetzt", sagt Marlies Fischer. Die Sozialpädagogin vom Notruf "Sexualisierte Gewalt" des Sozialdiensts Katholischer Frauen hat schon öfter Anruferinnen erlebt, die gegenüber Ärzten Vorwürfe erhoben. Ein solche Tat sei ein schlimmer Vertrauensmissbrauch. Dennoch müsse es nicht in jedem Fall zu einer einer lebenslangen Beeinträchtigung kommen, sagt Fischer. Sie rate den Opfern, sich auf die eigenen Stärken zu besinnen.

Natürlich gab es am Donnerstag auch schwere Vorwürfe gegen das Klinikum. Viele bewegt die Sorge, dass es es eben doch nicht nur die Tat eines Einzelnen sein könnte, sondern eine Folge der Strukturen, der Unangreifbarkeit der Chefärzte und des Personalmangels.

Klinikchef Xaver Frauenknecht verwies auf den vor zwei Jahren eingerichteten Ombudsrat, an den sich alle Mitarbeiter wenden könnten. Auch der Personalratsvorsitzende Felix Holland stellte sich vor das Klinikum. Zwischen der immer wieder beklagten Personalnot und den nun publik gewordenen Vorwürfen sieht er keinen Zusammenhang.