Missbrauchs-Prozess: Der Doktor ist kein Arzt mehr
Autor: Peter Groscurth
Bamberg, Montag, 22. Juni 2015
Heinz W. hat am Ende des zwölften Verhandlungstages vor der Zweiten Strafkammer eingeräumt, dass er auf Druck der Regierung von Oberfranken seine Approbation als Arzt zurückgegeben hat. Außerdem konnte er nicht sagen, was für ein Mittel er einer jungen Frau gespritzt hat.
Im Missbrauchs-Prozess gegen den früheren Chefarzt für Gefäßchirurgie am Klinikum Bamberg blieb der Angeklagte dem Gericht eindeutige Antworten schuldig. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mediziner Vergewaltigung, sexuelle Nötigung und gefährliche Körperverletzung vor. Er soll Patientinnen ruhig gestellt und sich an ihnen vergangen haben.
Heinz W. dagegen beteuert, aus rein medizinischen Gründen gehandelt zu haben. Eine sexuelle Motivation weist er zurück. Gestern ging es vor der Zweiten Strafkammer des Landgerichts um den Fall einer jungen Medizinstudentin, die als Praktikantin im Sommer 2014 in der Gefäßchirurgie tätig war. Sie war es auch, die Heinz W. Ende Juli anzeigte und damit die Ermittlungen gegen den Arzt einleitete.
Dabei ging es um eine Untersuchung, die am 28. Juli 2014 nach 16.30 Uhr in der Ambulanz des Klinikums stattgefunden hat. Wie die junge Frau in einem früheren Interview erklärte, habe es sich ihrer Meinung nach um eine Studie zu Beckenvenen-Thrombosen gehandelt, die Heinz W. durchführen wollte. Wörtlich meinte die Praktikantin: "Er suche noch Probandinnen, die wie ich einen niedrigen Body-Mass-Index hätten. Er begründete die Auswahl damit, dass junge, schlanke Frauen ein deutlich höheres Risiko hätten, dass sich bei ihnen an einer bestimmten Stelle im Becken ein sogenannter Venensporn bilde. Und dass das zu einer Thrombose führen könne."
Spezielle Form von Ultraschall
Heinz W. erklärte seine Sicht vor Gericht, wie er die Untersuchung mit der Studentin vorher besprach und sie darauf hingewiesen habe, dass er unter anderem auch eine sogenannte Endosonographie - eine spezielle Form von Ultraschall - anwenden wolle. "Sie hat diesem Vorgehen zugestimmt und wusste, was das bedeutet", betonte der frühere Chefarzt. Zudem habe er auch den Einsatz von sogenannten Butt-Plugs erwähnt - hierbei handelt es sich um Analstöpsel, die ursprünglich nur zur sexuellen Stimulation und nicht zu medizinischen Zwecken verwendet würden. Gegenüber seiner Patientin gebrauchte er für diesen Gegenstand den Ausdruck "Bluetooth-Sonde", die Messungen vornehme. "Die Probandin zeigte großes Interesse und Euphorie dafür", fügte Heinz W. an.
Vor Beginn der Untersuchung habe der Mediziner Spritzen mit Kochsalz-Lösung und einem Kontrastmittel aufgezogen und später auch gespritzt - um eine Ultraschall-Untersuchung der Krampfadern durchführen zu können. Das habe er in einem Schriftstück in der Klinik-EDV festgehalten. "Einige Messwerte schrieb ich noch auf einen Notizzettel", so Heinz W. weiter.
Alle Kommandos befolgt
Zudem sei der Butt-Plug eingesetzt worden. "Die Probandin hat ihn selbst in Position gehalten, sie befolgte sämtliche meiner Arzt-Kommandos", sagte der Mediziner, der seit 20. August vergangenen Jahres in U-Haft sitzt. Beim Herausziehen des Plugs aus dem Unterleib sei der jungen Frau schwindlig geworden. Heinz W. konnte aber nach eigenen Worten keinen erhöhten Blutdruck feststellen. Nach der Untersuchung, die übrigens keinen auffälligen Befund ergab, servierte der Mediziner seiner Patientin noch einen Cappuccino, bevor sie sich verabschiedete, um mit dem Auto zu ihren Freund zu fahren.
Sie habe sich an nichts mehr erinnern können - nicht einmal an die Autofahrt, gestand die Frau in ihrem späteren Interview mit einer Zeitschrift. Zum ersten Mal sei ihr der Gedanke gekommen, Heinz W. könnte ihr etwas anderes gespritzt haben als ein Kontrastmittel. Sie ließ Blut entnehmen und testen. In der Probe wurden hohe Werte von Bestandteilen hochwirksamer Schlaf- oder Beruhigungsmitteln gefunden.
Den Verdacht, er habe solche Mittel injiziert, schloss Heinz W. im gestrigen Prozess kategorisch aus. Was genau er der jungen Frau gespritzt hat, das konnte er aber nicht sagen. Er habe Ampullen aus seiner Schublade geholt und sei sich sicher gewesen, es habe sich um Kontrastmittel gehandelt.
Unbekanntes Kontrastmittel
Den Namen dieser Substanz blieb er dem Vorsitzenden Richter schuldig. Er könne sich nur daran erinnern, dass er die Ampullen auf einem Kongress im Jahr 2007 oder 2008 erhalten habe, sie seien jedoch bis September 2014 haltbar gewesen. Allerdings gab es keine Belege zu dem Kontrastmittel, wie sie von Pharmaunternehmen zum Teil ausgestellt werden, die derartige Produkte an Ärzte ausgeben.
Medizinisch notwendig sei der Einsatz der Butt-Plugs im übrigen nicht gewesen, stellte der Chefarzt fest. Er habe nur die richtige Handhabung des Stöpsels mit einer Videokamera dokumentieren wollen, um seine neue Behandlungsmethode später Kollegen auf Fachtagungen vorzuführen. Wie er jedoch einräumen musste, habe er nie mit anderen Ärzten über den möglichen Einsatz von Butt-Plugs gesprochen oder diese Pläne wenigstens angedeutet.
In einem Gedächtnisprotokoll der Untersuchung vom 28. Juli, das er der jungen Frau als Mail schickte, erwähnte Heinz W. außerdem mit keinem Wort die Tatsache, dass er den Gebrauch des Butt-Plugs an der Probandin gefilmt habe - dafür soll er laut Aussagen der Studentin ein Foto von einem Strand auf Sylt an die elektronische Nachricht angefügt haben.
Für eine echte Überraschung sorgte Heinz W. noch vor dem Gericht. Kurz vor dem Ende des 12. Verhandlungstages beschwerte er sich über seine Behandlung sowie Vorverurteilung und informierte die Kammer, dass er mittlerweile seine Approbation als Arzt auf Druck der Regierung von Oberfranken zurück gegeben habe.
Sein Anwalt Klaus Bernsmann beklagte daneben, wie sehr sein Mandant unter den Bedingungen in der Haft leide: "Dort kommt es immer wieder zu Rempeleien und kleineren Schlägereien. Das sind Zustände, die auf Dauer die Psyche schwer belasten."