Mehr Bomben unter Bambergs Flugplatz?
Autor: Michael Wehner
Bamberg, Donnerstag, 14. März 2013
Die meisten Bürger reagieren besonnen auf den Evakuierungsplan der Stadt. Vor allem gebrechlichen Menschen fällt es schwer, die Häuser zu verlassen. Peter Neller vom Bürgerverein Gartenstadt befürchtet, dass noch weitere Blindgänger im Flugplatz stecken.
Inge Nickel hat Glück gehabt. Sie wohnt im südlichen Teil der Stauffenbergstraße und damit ein paar Meter außerhalb der Sperrzone. Die Nachricht vom Bombenfund weckt bei der 70-Jährigen Erinnerungen an ihre Kindheit. "Im Bamberger Flugplatz sind viele Bomben eingeschlagen. Es gab jede Menge Trichter und wir haben als Kinder darin gebadet."
Von dieser Sorglosigkeit im Umgang mit den Hinterlassenschaften des Zweiten Weltkriegs ist Bamberg 68 Jahre danach Welten entfernt. Der gesetzlich vorgeschriebene Kilometerradius um die zwei Splitterbomben teilt die Stadt am Sonntag in zwei Hälften. 3500 Bewohner und damit fünf Prozent der Bevölkerung müssen ab 9 Uhr bis zum Nachmittag ihre Wohnhäuser und die Straßen im Sperrbezirk verlassen. Niemand darf sich innerhalb der Linie aufhalten. Auch der Versuch, die Entschärfung der beiden Splitterbomben im Keller abzuwarten, würde bei den mit der Evakuierung beauftragten Räumtrupps der Bereitschaftspolizei auf wenig Verständnis stoßen.
Trotz dieser Einschränkungen der persönlichen Freiheit reagieren die Bewohner der Gartenstadt, von Kramersfeld, Brückertshof und Hirschknock auf die Nachrichten vom Bombenfund, soweit bekannt, besonnen. "Die Bürger sind ruhig. Es gibt keine Panik und auch keine Befürchtungen, dass etwas Schlimmes passieren könnte. Wir haben Glück, dass die beiden Altenheime nicht betroffen sind", sagte Peter Neller vom Bürgerverein Gartenstadt.
Freilich sind es vor allem die persönlichen Umstände, die entscheiden, ob die Betroffenen die Evakuierung wie ein spannendes Abenteuer oder einen unangenehmen Einschnitt erleben. Dorothea Fröhlich, Renate Schilling und Gertrud Geiger etwa haben alle das gleiche Problem. Die Frauen aus der Gartenstadt sind bei guter Gesundheit, haben aber Männer, die schwer krank sind und versorgt werden müssen.
"Das ist schon eine massive Belastung für uns, wenn wir jetzt am Sonntag um 9 Uhr aus dem Haus müssen", sagt Renate Schilling, die in der Arndtstraße wohnt. Problem vieler in der Gartenstadt: Da auch die Kinder und nächsten Verwandten im Sperrbezirk wohnen, ist es gar nicht so leicht, eine Bleibe für den Sonntag zu finden. Vielleicht hilft es ähnlich Betroffenen ja zu wissen, dass die Stadt in der Turnhalle des Eichendorff-Gymnasiums eine Betreuungsstelle mit einer ständigen ärztlichen Versorgung anbietet. Wer einen Krankentransport anfordern muss, kann die Rettungsleitstelle unter 19222 anrufen.
Eine gewisse Lockerheit im Umgang mit dem Erbe der Kriegszeit pflegt dagegen Siegmund Schauer vom Siedlerverein Gartenstadt. Er lädt die Familien der Gartenstadt am Sonntag zu einer Wanderung durch den Hauptsmoorwald ein. "Wir laufen von der Kunigundenruh nach Roßdorf am Forst und kehren dort ein. Wenn wir zurückkommen, ist alles vorbei."
Nach den vorläufigen Erkenntnissen der Firma Tauber, die deutschlandweit Kampfmittel beseitigt, handelt es sich bei den beiden Splitterbomben im Flugplatz um Sprengköper des Typs "Frag 90". Sie besitzen zwar keine extreme Sprengkraft, doch ihre hochgefährlichen Splitter können im Falle einer Detonation Hunderte von Metern weit fliegen. Sie sind bei den Bombardements über dem Flugplatz abgeworfen worden, offenbar um durch ihre Splitterwirkung möglichst viele der dort stationierten Flugzeuge außer Gefecht zu setzen. Zwar hat der Sprengmeister Michael Weiß schon viele solcher Bomben erfolgreich entschärft, dennoch kann eine absolut sichere Prognose, dass es in Bamberg auch dieses Mal klappt, nicht gegeben werden.
Ob es leicht sein wird, den Zündmechanismus zu unterbrechen, sehr knifflig oder gar unmöglich, darüber entscheiden viele Faktoren, vor allem der Zustand der Bombe, erklärt Experte Andreas Heil. Faustregel: Je stärker die Korrosion, desto schwieriger wird es für den Sprengmeister. Sicher ist auch: Eine unkontrollierte Explosion würde alle Menschen in unmittelbarer Nähe der Bombe töten.
Diese und andere Gefahren will im Moment natürlich niemand heraufbeschwören. Dennoch könnte es sein, dass man sich mit den Hinterlassenschaften des Bombenkriegs in Bamberg noch öfter befassen muss. BV-Vorstand und CSU-Stadtrat Peter Neller spricht von insgesamt 700 Verdachtsfällen, die sich durch die Untersuchung auf dem Gelände des Flugfelds ergeben hätten. Bisher seien nur jene Areale zweifelsfrei als bombenfrei abgeklärt, die für die Baumaßnahmen in Anspruch genommen werden. Doch der Flugplatz ist groß: "Ich gehe davon aus, dass wir noch ein paar Mal solche Bombenfunde erleben werden."
Eine solche Prognose scheint auch durch ein Luftbild erhärtet zu werden, das von einem amerikanischen Bomberpiloten während eines Angriffs aufgenommen wurde. Es zeigt das vor allem im Westen mit Bombenkratern übersäte Flugfeld, über dem Brandwolken aufsteigen.
Das Foto aus der Luftbilddatenbank Dr. Carls GmbH datiert vom 11. April 1945, wurde also zwei Monate nach der ersten von drei Angriffswellen auf Bamberg aufgenommen. Ihr fielen im Februar 1945 viele Gebäude am Kaulberg, am Obstmarkt und am Grünen Markt, darunter die städtische Altane, zum Opfer. Wie Zeitzeugen berichteten, gingen damals drei Bombenteppiche nieder. Einer über dem Bahnhof, ein zweiter westlich des Stadions, damals noch freies Feld, der dritte auf die Lagarde-Kaserne. 94 Menschen starben, darunter 20 Schüler, die auf den Bus warteten.
Gemessen an den Gefahren und Schicksalen von damals sind die Beschwernisse durch die Evakuierung heute kaum der Rede wert. Und im Vergleich mit anderen Evakuierungen nicht einmal besonders aufwändig, wie Experte Heil sagt. "Schwierig wird es, wenn ein Altenheim, ein Krankenhaus oder eine Justizvollzugsanstalt zu evakuieren ist." Eine sechsstellige Summe dürfte freilich auch die Einrichtung des Bamberger Sperrbezirks kosten. Zwar kann die Stadt dazu noch keine Zahlen nennen, dennoch ist allein der Aufwand für die Straßensperrungen und den Einsatz der Shuttlebusse (Details in unserer morgigen Ausgabe) beträchtlich.
Einen volkswirtschaftlichen Schaden haben die umliegenden Firmen zu verkraften. Für Bambergs größtes Unternehmen hält sich der Verlust freilich in überschaubaren Grenzen, da anders als sonst im Werkteil Bosch am Börstig am Sonntag nur 80 Mitarbeiter in der Gefahrenzone tätig sind. Ihre Schicht endet am Sonntag zwei Stunden früher als normal, um 12 Uhr.
Schwerer hat es da schon der Bamberger Gemüsegroßhandel Denscheilmann und Wellein, für den der Sonntag einer der wichtigsten Arbeitstage ist. Sie muss zusehen, wie sie ihre 50 Lkw in der Kirschäckerstraße beladen kann, ehe die Evakuierung beginnt, ein Kraftakt. "Unsere Kunden hätten kein Verständnis, wenn wir nicht liefern könnten", sagt Geschäftsführerin Sonja Weigand.
Vor erheblichen Umplanungen steht auch das rund 500 Meter vom Flugplatz entfernte Autohaus Aventi, das am Sonntag rund 5000 Kunden zum großen Frühlingsfest mit allerlei Attraktionen eingeladen hatte. "Als diese Woche bekannt wurde, dass das nicht geht, mussten wir das Fest kurzfristig verschieben."