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Masern: Gefährliche Kinderkrankheit auf dem Vormarsch


Autor: Günter Flegel, Christian Pack

Bamberg, Donnerstag, 19. Februar 2015

Der aktuelle Ausbruch der Kinderkrankheit im Osten der Bundesrepublik nährt die Angst vor einer Epidemie. Eine generelle Impf-Pflicht ist aber auch unter Experten umstritten.
Ein Kinderarzt gibt am 06.05.2008 in Freiburg einem Mädchen mit der Spritze eine Masernimpfung. Foto: Patrick Seeger/dpa


Eine Kinderkrankheit verbreitet Angst und Schrecken: Die steigende Zahl der Masern-Fälle im Osten Deutschlands nährt Befürchtungen, dass die beinahe schon ausgerottete Viren-Infektion wieder erstarkt und sich womöglich gar zu einer Epidemie auswächst.

Seit Beginn der aktuellen Ansteckungswelle im Oktober sind nach

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Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) in Berlin allein in der Hauptstadt 375 Menschen erkrankt - über die Hälfte davon Erwachsene. Mehr als 100 Patienten kamen nach der Statistik des Landesamtes für Gesundheit ins Krankenhaus.

Allein im Januar gab es 254 neue Masern-Fälle in Berlin, und steigende Fallzahlen werden auch aus den Bundesländern im Osten gemeldet. In Bayern gibt es bislang keine auffällige Häufung der Masern-Fälle - abgesehen von einem Aufsehen erregenden Fall in einer Flüchtlingsunterkunft in München.
In der mit mehr als 1000 Menschen (bei 600 Plätzen) heillos überfüllten Bayern-Kaserne grassierten die Masern vor allem unter Asylbewerbern aus Bosnien.


Impflücke

Die lange vom Bürgerkrieg gebeutelten Staaten des ehemaligen Jugoslawiens gelten als Herd der aktuellen Masern-Welle. Ein Grund dafür ist nach Ansicht der Virologen des RKI, dass während der Bürgerkriegswirren in diesen Staaten nicht mehr routiniert geimpft werden konnte. Das erklärt, warum viele Männer und Frauen infiziert werden, die nach 1970 geboren wurden. "Für diese Jahrgänge gibt es eine Impflücke", sagt ein Sprecher des RKI.

Ulrich Fegeler, der Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, wundert der Ausbruch in Berlin trotz aller Fortschritte bei der Prävention nicht: "Die Politik tut einfach zu wenig." 90 Prozent der bisher befragten 335 Patienten gaben an, nicht gegen Masern geimpft zu sein. "Insgesamt ist der Impfstatus in der Bevölkerung zu gering", ergänzt Anette Siedler, Leiterin des Fachbereichs Impfprävention am RKI. "Der Berliner Ausbruch ist ein herber Rückschlag." Das Ziel, die Masern schon 2015 auszurotten, wird die Bundesrepublik nicht erreichen.


Umstritten

Die Impfung an sich freilich ist nicht unumstritten. Angelika Müller vom Portal "impfkritik.de" kritisiert, dass der aktuelle Masern-Ausbruch dazu genutzt wird, um die "Impfpropaganda" anzuheizen. "Dabei belegen die oft genannten Zahlen keinen Zusammenhang zwischen der Zahl der Geimpften und der Infektionen."

Differenziert ist das Meinungsbild auch unter Experten. Jürgen Schneider-Schaulies vom virologischen Institut der Uni Würzburg warnt, eine Ausrottung der Masern würde anderen Krankheiten wie der Staupe Vorschub leisten. Auf der anderen Seite legt sein Kollege Benedikt Weißbrich in einer Studie Beweise dafür vor, dass das Risiko von Spätfolgen der Masern weit höher ist als bisher angenommen. Einer von 3000 Infizierten erleidet eine lebensgefährliche Gehirnentzündung, sagt der Forscher.


Gefährliche Viren

Winzlinge Die meisten Viren sind nur wenige Nanometer (Millionstel Millimeter) groß und gelten nicht als eigenständige Lebensmittel. Ein Virus braucht die Zellen seines Wirts, um seine Erbinformationen weiter zu geben und sich zu vermehren. Das bedeutet in vielen Fällen für den betroffenen Wirt (Mensch oder Tier) Krankheit und Tod.

Seuchen Nicht immer sind Viren die Auslöser für verheerende Epidemien. Die Pest und die Cholera etwa, vor allem im Mittelalter auch in Europa gefürchtete Krankheiten, werden durch Bakterien ausgelöst. Viren sind verantwortlich für die Grippe, deren letzter großer Ausbruch (Spanische Grippe) Anfang des 20. Jahrhunderts 50 Millionen Todesopfer forderte. Aids (HIV) und Ebola sind weitere bekannte durch Viren verursachte Krankheiten.

Infektion Viren sind als Krankheitserreger besonders gefürchtet, weil sie zahlreiche Wege der Übertragung nutzen. Das Aidsvirus wird durch Körperflüssigkeiten übertragen, Grippeviren durch Tröpfcheninfektion über die Atemluft. Andere Viren, die dem Menschen wie Ebola gefährlich werden können, bedienen sich Wirtstieren (Affen), die selbst nicht erkranken.

Therapie Anders als Bakterien sind Viren in der Regel nicht mit Antibiotika zu bekämpfen. Die wirksamste Maßnahme gegen eine Infektion ist die Vorbeugung, sei es durch Schutzimpfungen, die im Körper Antikörper erzeugen, oder durch Schutz vor Ansteckung. Die Wissenschaft kennt 3000 verschiedene Viren, deren Entwicklungsgeschichte und Funktion noch nicht bis ins letzte Detail verstanden wird. gf


Eine Spur des Schreckens

Berichte über die Masern gehen auf das siebte Jahrhundert zurück. Die erste bekannte ausführliche Beschreibung der Masern erfolgte durch den persischen Arzt Abu Bakr Mohammad Ibn Zakariya al-Razi, im zehnten Jahrhundert angab, sie seien "mehr gefürchtet als die Pocken".

Im Mittelalter forderten Masern-Epidemien immer wieder viele tausend Todesopfer, vor allem nach der der Entdeckung Amerikas. Dort starb ein großer Teil der einheimischen Bevölkerung wegen fehlender Immunisierung an den aus Europa importierten Krankheiten wie Masern, Pocken, Typhus und Keuchhusten.

So kam es nach historischen Aufzeichnungen in Santo Domingo (1519), Guatemala (1523) und Mexiko (1531) zu Masernepidemien. 1529 verbreiteten sich die Masern über Honduras und Mittelamerika und entvölkerten ganze Regionen: Zwei Drittel der Überlebenden der zuvor ausgebrochenen Pockenepidemie starben.
Das Phänomen, dass das Masernvirus dann eine hohe Letalität (Sterblichkeit) zeigt, wenn es auf eine nicht immune Bevölkerung trifft, findet sich sogar noch im 19. Jahrhundert. So starben 1848 mehr als 40 000 der 148 000 Einwohner von Hawaii an den Masern.

1882 veröffentlichte der französische Arzt Antoine Louis Gustave Béclère seine Aufsehen erregende Arbeit "Die Ansteckung mit Masern". Er und weitere französische Mediziner erreichten, dass die Masern im 19. Jahrhundert als eigenständige Krankheit gegenüber den anderen Erkrankungen mit Hautausschlägen wie den Röteln abgegrenzt wurden.

1911 gelang es erstmals, Affen zu infizieren. 1954 wurde das Virus isoliert. Dies führte 1958 zur Entwicklung eines Impfstoffes, der ab 1963 erhältlich war. Eine Masern-Impfpflicht hat es in Deutschland nie gegeben. Gesetzlich vorgeschrieben war in der Bundesrepublik von 1949 bis 1975 die Pocken-Impfung.


Kommentar: Impfen - ja, unbedingt!

von Christian Pack
Sie hören sich lustig an, sind es aber nicht: "Masernpartys". Gesunde Kinder von Impfgegnern sollen sich hier mit Masern anstecken. Sie sehen in dieser natürlich herbeigeführten Infektion Vorteile gegenüber einer Impfung. Der Großteil der Mediziner hat dafür nur ein Kopfschütteln übrig und spricht sogar von Körperverletzung. Zu Recht: Die Komplikationsgefahr bei der normalen Masernerkrankung ist viel höher als bei einer Impfung. Und das abgeschwächte Masernvirus kann allerhöchsten zu einem Hautausschlag führen. Schwere Nebenwirkungen sind nachweislich selten!

Das Argument der Impfgegner, wonach ein Kind die Krankheit auf natürliche Weise "durchleben" sollte, ist schlicht nicht nachvollziehbar. Bei etwa einem von 1000 Kindern, die an Masern erkranken, entwickelt sich eine Entzündung des Gehirns, die sogenannte Masern-Enzephalitis. Diese führt häufig zu bleibenden Hirnschäden oder verläuft tödlich - ein Argument mehr, über eine Impfpflicht nachzudenken.

Sicherlich kommt es vor, dass Kinder nach einer Impfung eine seltene Folgeerkrankung bekommen. Lassen aber zu viele Eltern aus Angst davor ihr Kind nicht impfen, steigt die Gefahr für alle. Glücklicherweise hat der Großteil der Eltern dies verinnerlicht und impft die eigenen Kinder. Bleibt zu hoffen, dass auch die Impfgegner bald zur Vernunft kommen.


Kommentar: Impfen - mit Augenmaß!

von Günter Flegel
Der Griff zur Pille ist für die Menschen in der modernen Welt zu einer Selbstverständlichkeit geworden, wobei die Grenzen zwischen dem medizinisch Notwendigen und dem Fragwürdigen verschwimmen. Schlafmittel am Abend und Aufputschdrogen am Morgen? Es ist alles möglich, aber ist auch alles sinnvoll? Bei der Gesundheit der Kinder stellt man derartige Fragen gar nicht. Wenn Ärzte die diversen Schutzimpfungen mit Nachdruck empfehlen und Krankheiten und deren denkbare Spätfolgen als Schreckgespenst skizzieren, ist für die allermeisten Eltern die Entscheidung schon gefallen. So ein kleiner Pieks tut doch auch gar nicht weh.

Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Es geht nicht darum, das Impfen zu verteufeln. Der medizinische Fortschritt hat Geißeln der Menschheit wie den Pocken ihren Schrecken genommen, und das ist gut so. Der Glaube an die Allmacht der Medizin und der Wissenschaft kann aber eine trügerische Sicherheit erzeugen, die nicht weniger gefährlich ist als die tückischen Viren.

In der Wissenschaft ist unumstritten, dass etwa die verbreitete Grippeschutzimpfung immer wieder neue Virenstämme entstehen lässt, die gegen den Impfstoff immun sind. Neue Impfstoffe müssen her... Eine mit Antibiotika und anderen pharmazeutischen Keulen vollgepumpte Welt ist sicher kein erstrebenswertes Ziel.