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Lenkst Du noch oder guckst Du schon?


Autor: Matthias Litzlfelder

Bamberg, Freitag, 18. Mai 2018

Autos, die selbstständig fahren, sind nur noch eine Frage der Zeit. Schon in zwei Jahren soll der Autobahnpilot serienreif sein.
Das Auto wird zum Chauffeur, der Fahrer zum Passagier: Mit dem Autobahnpiloten, der laut Bosch ab 2020 serienreif sein soll, ist hochautomatisiertes Fahren  auf Autobahnen bald schon möglich.Bosch


Die Probleme mit manipulierten Dieselmotoren und drohenden Fahrverboten haben Deutschlands Vorzeigebranche zuletzt viele Negativschlagzeilen gebracht. Autohersteller und Zulieferer blicken dennoch hoffnungsvoll in die Zukunft. Was sie seit Monaten antreibt, ist ein technologischer Trend, der die Mobilität gewaltig verändern wird.
Schauplatz Autobahn 9, in der Nähe der Raststätte Holledau: Hier zwischen München und Nürnberg wird die Zukunft des Straßenverkehrs erforscht. Unternehmen und Wissenschaftler probieren ihre Technologien des automatisierten und vernetzten Fahrens aus. Meist sind es Projekte mehrerer Partner. Das Fraunhofer-Institut für Eingebettete Systeme und Kommunikationstechnik (ESK) in München arbeitet gerade mit der Deutschen Telekom, Nokia und zwei weiteren Firmen an Konzepten für eine verbesserte Konnektivität. Es geht darum, Verbindungen herzustellen. Eine Kommunikation zwischen den Autos untereinander und mit der Straße.
Josef Jiru, Abteilungsleiter für Kommunikationstechnologien und - architekturen bei Fraunhofer ESK erklärt es so: "Wenn zwei oder drei Fahrzeuge vor mir ein Auto stark bremst, dann merke ich das erst, wenn das Fahrzeug unmittelbar vor mir reagiert und bremst. Durch die Kommunikation zwischen den Fahrzeugen kommt die Warnung viel früher und der Fahrer oder das Fahrzeug können den Bremsvorgang früher einleiten."


Ortungsgenauigkeit in Zentimetern

Welche Kommunikation zwischen den Autos am besten funktioniert, werde gerade getestet. Kommuniziert wird über die Mobilfunknetze. Das läuft dann in Millisekunden ab. Die Wissenschaftler sprechen von Echtzeit. "Mit dieser Kommunikation erweitern wir quasi den Sichtbereich des Fahrzeugs", sagt Jiru.
Mit der vom Fraunhofer ESK entwickelten Positionsbestimmung hat sich die Ortungsgenauigkeit von Fahrzeugen deutlich verbessert. War früher nur eine Positionsbestimmung im Meterbereich möglich, so ist inzwischen durch die erfolgreiche Zusammenführung mehrerer Technologien eine Ortungsgenauigkeit im Bereich von wenigen Zentimetern verfügbar - ein Meilenstein für autonomes Fahren. "Wir bewegen uns aktuell zwischen Level 2 und Level 3, was den Grad des automatisierten Fahrens angeht", erklärt der Fraunhofer-Experte. Die Wissenschaftler unterscheiden dabei fünf Stufen (siehe Übersicht unten).


Autobahn leichter als Stadt

Level 3 bedeutet laut Jiru: Das Auto weiß, auf welchen Strecken es vollautomatisiert fahren kann und warnt den Fahrer im Bedarfsfall zehn Sekunden vorher.
"Der Autobahnverkehr hat die einfachsten Regeln. Deshalb wird der Autobahnpilot sicher demnächst schon kommen", sagt Jiru. Auf komplizierteren Strecken wie Landstraßen oder gar im Stadtzentrum sehe das noch anders aus. Da sei die Erfassung der Umgebung schwieriger und es gebe viele Fehlverhaltensmöglichkeiten, bei denen die selbstfahrenden Fahrzeuge erst noch lernen müssen, damit umzugehen. "Nehmen wir das Beispiel, dass ein Lkw am Straßenrand halb auf der Straße und halb auf dem Gehsteig parkt und die Straße einen durchgezogenen Mittelstreifen hat. Dann käme das Fahrzeug nur am Lkw vorbei, wenn es den durchgezogenen Streifen überfahren würde. Da dies gegen die Regeln der Straßenverkehrsordnung ist, wird es aber nicht weiterfahren. Solche Situationen gibt es im Stadtverkehr unzählige."


Sachschaden vor Personenschaden

Dennoch: Selbstfahrenden Fahrzeugen - davon sind alle Hersteller überzeugt - gehört die Zukunft. Aktuell gibt es neben der A 9 noch eine Hand voll weitere Teststrecken in Deutschland. Erst vor einigen Tagen wurde rund um Karlsruhe ein neues Testfeld eröffnet. Im Vergleich zu den anderen Vorhaben in Deutschland umfasst es alle Arten von öffentlichen Straßen - von der Autobahn über die Landstraße bis hin zur städtischen Hauptverkehrsachse und Wohnstraße.
Die Technik scheinen die Ingenieure nach und nach für alle Szenarien in den Griff zu kriegen. Aber es gibt einen anderen Faktor, der das autonome Fahren etwas ausbremst: das Vertrauen der Menschen in solche Systeme. Mehreren Studien zufolge liegen die Zustimmungswerte für die Nutzung autonomer Autos in Deutschland aktuell noch unter 50 Prozent. In den USA ist die Akzeptanz mit unter 35 Prozent sogar noch geringer - ganz im Gegensatz zu China (über 90 Prozent).


Problem Ethik

Ein komplexes Problem ist die ethische und rechtliche Beurteilung des autonomen Fahrens. Im vergangenen Jahr hat eine vom Bundesverkehrsminister eingesetzte Ethik-Kommission ihren Abschlussbericht vorgestellt. "Sachschaden geht vor Personenschaden", heißt es da. Oder: "Bei unausweichlichen Unfallsituationen ist jede Qualifizierung von Menschen nach persönlichen Merkmalen (Alter, Geschlecht, körperliche oder geistige Konstitution) strikt untersagt." Auch die Datensouveränität war den Experten ein Anliegen. Der Fahrer müsse grundsätzlich selbst über Weitergabe und Verwendung seiner Fahrzeugdaten entscheiden können, so die Vorgabe.
Wissenschaftler wie Josef Jiru von Fraunhofer setzen dabei zum Beispiel auf ein temporäres Pseudonym eines Fahrzeugs. Das Auto würde dann etwa nach jedem Start die Identität wechseln.


Betrunken hinterm Lenkrad geht nicht

Ulrich Honeker von der Forschungsstelle Robot-Recht an der Universität Würzburg arbeitet gerade an einer Dissertation zum Thema automatisiertes Fahren. Der Jurist beschäftigt sich vor allem mit den Haftungsrisiken. Seit knapp einem Jahr sei das Straßenverkehrsgesetz (StVG) geändert, berichtet er. Hinzugekommen sind die Paragrafen 1a und 1b. Seither ist der Betrieb eines Kraftfahrzeugs mittels hoch- oder vollautomatisierter Fahrfunktion gesetzlich zulässig. Aber "die Rechtsicherheit für den Fahrer ist nicht so, wie sie eigentlich sein sollte", sagt Honeker. Der Fahrer müsse laut StVG jederzeit erkennen, wann das System an seine Grenzen kommt und unverzüglich eingreifen. Ein Autofahrer müsse also noch lange immer wahrnehmungsfähig sein.
Bis man sich betrunken hinters Lenkrad setzen könne, also beim fahrerlosen Fahren, sei es noch ein weiter Weg.


Wie viele testen, weiß keiner

Getestet wird derweil intensiv weiter. Auch auf der A 9. Wer dabei alles die Autobahn zwischen München und Nürnberg mit Roboterfahrzeugen rauf und runter fährt, ist schwer zu sagen. "Da am Digitalen Testfeld A 9 diverse Industriepartner vertreten sind, können wir nicht über alle Erprobungen und Hersteller Auskunft geben", teilte das zuständige bayerische Ministerium für Wohnen, Bau und Verkehr auf unsere Anfrage mit. Audi und BMW seien sehr aktiv vertreten, aber auch Siemens teste zum Beispiel mit Partnern die Anwendung kooperativer Radarsensoren.
Vielleicht wird analoges Fahren im Laufe der nächsten beiden Jahrzehnte zur nostalgischen Freizeitbeschäftigung - wie heute etwa die Fahrt mit der Dampflok.


Die fünf Stufen des automatisierten Fahrens


Stufe 1: Fahrassistenten

Der Fahrer lenkt, bremst und beschleunigt selbstständig. Einfache Systeme wie Abstandshalter unterstützen ihn.

Stufe 2: Teilautomatisiertes Fahren
Das elektronische System übernimmt bestimmte Funktionen wie etwa das automatische Einparken oder das Spurhalten. Der Fahrer bleibt aber weiter in der Verantwortung, die Hände bleiben am Lenkrad.

Stufe 3: Hochautomatisiertes Fahren
Das Fahrzeug fährt weitgehend autonom, der Fahrer muss nicht mehr alles dauerhaft überwachen. Er darf die Hände vom Lenkrad nehmen, muss aber in der Lage sein, nach Vorwarnung die Kontrolle wieder zu übernehmen.

Stufe 4: Vollautomatisiertes Fahren
Der Fahrer kann noch übernehmen, ist aber nicht mehr erforderlich, um das Auto zu steuern. Elektronische Systeme können alle Verkehrssituationen automatisch bewältigen.

Stufe 5: Fahrerloses Fahren
Das Lenkrad entfällt, das Auto wird nur noch vom System gesteuert. Der Mensch ist nicht mehr nötig.



Bosch, Audi und BMW sind die Treiber


In Deutschland wird intensiver am selbstfahrenden Auto geforscht und entwickelt als irgendwo sonst auf der Welt. Unter den Top Ten der Patentinhaber finden sich allein sechs deutsche Unternehmen. "Heute gehören Computer, Smartphone und Internet in unserer Gesellschaft zum Alltag. Genauso wird es im Jahr 2025 mit vernetzten Autos sein", sagt Dirk Hoheisel, Mitglied der Geschäftsführung des weltgrößten Autozulieferers Bosch. In seiner Studie "Connected Car Effect 2025" hat der Konzern aufgezeigt, welche Vorteile hochautomatisiertes Fahren ermöglicht. Zusammengefasst lässt sich sagen: Eine vernetzte Mobilität sorgt für weniger Unfälle, weniger Verbrauch und weniger Stress. All dies soll in weniger als zehn Jahren kommen.


Auch Leoni und Schaeffler

Bosch ist einer der großen Treiber dieses technologischen Meilensteins. Nicht nur in Deutschland, auch in den USA, Japan und China hat der Autozulieferer Erprobungsstandorte. Seit Anfang 2013 sind Bosch-Ingenieure hochautomatisiert auf öffentlichen Straßen unterwegs - mit Modellen von BMW und Tesla. Der Autobahnpilot soll schon in zwei Jahren serienreif sein, hat Bosch angekündigt - zumindest aus technischer Sicht.
Auf der A 9-Teststrecke testen vor allem Audi und BMW schon seit Jahren das autonome Fahren. Auf der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) im September hatte Audi den neuen A8 als erstes Serienauto der Welt für hochautomatisiertes Fahren auf Level 3 nach den internationalen Standards vorgestellt. BMW wiederum probiert weltweit derzeit 40 selbstfahrende Autos im Verkehr aus, die Hälfte davon in München. In drei Jahren will das Unternehmen sein erstes selbstfahrendes Serienauto auf den Markt bringen. In der Branche hat derzeit fast jeder irgendein Projekt zu diesem Thema zumindest in der Schublade. Der Nürnberger Kabelanbieter Leoni ist zum Beispiel gerade dabei, in Roth eine neue Fabrik zu bauen, in der Kabel entwickelt und hergestellt werden, die die großen Datenmengen in autonom fahrenden Autos bewältigen können. Und Schaeffler (Herzogenaurach) hat ein kompaktes Radmodul entwickelt, das komplett für Fahrzeuge im autonomen Betrieb ausgelegt ist.