Kurs für Senioren an der städtischen Musikschule Bamberg
Autor: Sarah Seewald
Bamberg, Sonntag, 08. März 2015
Es gibt immer mehr von ihnen: Menschen, die über 60 Jahre alt sind. Die städtische Musikschule reagiert darauf und bietet einen Kurs ausschließlich für Senioren an. Eine Stunde, die nicht nur musikalisch fit macht.
Erst wird der FT beim Frühstück gelesen, danach gibt es eine Zeitungs-Polonaise. So schnell kann eine Zeitung umfunktioniert werden. Im Kurs "Elementares Musizieren" wird das tagesaktuelle Blatt sogar mit Füßen getreten. Schließlich gilt: Sobald die Musik aufhört zu spielen, muss jeder einen Platz auf einer Zeitungsseite ergattern - da bringt der FT Menschen ganz nah zusammen. Genauer gesagt, drei Frauen und zwei Männer im besten Alter zum Musizieren. Das beste Alter deshalb, weil sich die Senioren ganz bewusst diese eine Stunde am Donnerstagvormittag gönnen. "Es ist etwas ganz Besonderes: Sie wollen unbedingt kommen und bringen Unmengen an Lebenserfahrung und Weisheit mit", sagt Dorothea Lieb. Seit Oktober vergangenen Jahres erlebt sie, wie in 60 Minuten Wangen rot, Hüften locker und Arme quicklebendig werden.
Seine Stärken ausschöpfen
Dorothea Lieb ist studierte Blockflötistin und ausgebildete Musikgeragogin. Also jemand, der speziell darin ausgebildet ist, sich musikalisch älteren Menschen zu nähern. "Es ist erwiesen, dass sich beispielsweise Demenzkranke noch relativ lange über die Musik ausdrücken können", sagt Lieb. Ihre Teilnehmer in diesem Kurs sind aber fit. Sicherlich zeigt das Alter auch diesen fünf Senioren körperliche Grenzen auf, sie liegen aber Liebs Beobachtungen zufolge sehr hoch.
Schon der Weg auf den Berg in die St.-Getreu-Straße ist Frühsport für die Senioren. Lilo hat ihre Walkingstöcke dabei, den Bus nimmt sie nämlich nur, wenn er zeitnah kommt. Und Marianne, die geht am liebsten nach der Musikstunde noch Bummeln, oder im Hain spazieren. Noch steht die Stunde aber bevor.
Ein neues Thema wird erarbeitet. Ein "Ra-la-la" zieht sich durch die Tageseinheit, wird von einer weiteren rhythmischen Floskel - "mta-mta-mtataaa" - unterstützt, und mit Stampfen, Schellenkranz und Singen ausgeschmückt. Mit jeder weiteren Übung werden die Teilnehmer lockerer, aufgekratzter, übermütiger - nicht im Sinne von übertrieben, sondern aufgeweckt und mutig.
Donnerstag: ein besonderer Tag
Marianne ist heute richtig "auf Trapp". Das sagt die 74-Jährige von sich selbst und fängt auch schon wieder an zu lachen. Die Aussicht, endlich mal trommeln zu können, hat sie hierher geführt. Mittlerweile ist dieser eine Tag in der Woche etwas besonderes für sie. Das spürt sie noch Stunden später. Der Traum vom Trommeln hat sich irgendwann auch erfüllt. An diesem Donnerstag ist sie jedoch ganz entzückt, abwechselnd mit Ellenbogen und der flachen Hand den Schellenkranz erklingen zu lassen. In Bamberg gehören Lilo, Marianne, Roswitha, Kalle und Joachim zu den ersten Senioren, die noch mit über 60 Jahren in einer Gruppe Musik (neu) kennenlernen. Es sind immer mehr ältere Menschen, die erst im Alter einen Zugang zur Musik finden. Der Verband deutscher Musikschulen zählt die Senioren-Schüler zwar immer noch als Randgruppe, aber die Zahl steigt wohl an. Bundesweit beträgt der Anteil von erwachsenen Schülern an Musikschulen etwa zehn Prozent, meldet der Verband.
In jeder Stunde von vorne
Wie genau das Musizieren im Alter aussieht - beziehungsweise sich anhört - ist ganz unterschiedlich. Die einen lernen von Grund auf ein Instrument neu, und spielen nach Noten. Die Senioren in Bamberg experimentieren vielmehr mit unterschiedlichen Klängen, Rhythmen und Instrumenten. "Der pädagogische Lerneffekt steht nicht im Mittelpunkt", erklärt Dorothea Lieb. Es ist ein "schöner Nebeneffekt", dass auch das Gedächtnis trainiert wird - mit viel Freude, viel Lachen und ohne Mühen. Wobei: Dorothea Lieb kann "schon kitzeln, aber niemand darf ständig überfordert sein", erklärt die Musikgeragogin.
Und wenn um kurz vor elf Uhr jeder ein Instrument bedient, dazu noch gesungen wird, jeder versucht seinen Takt zu halten, dann geht es nicht darum, ein fehlerfreies Lied zu spielen. Viel mehr ist jede Stunde ein abgeschlossenes Kunstwerk, das in der nächsten Woche möglicherweise schon wieder übertroffen werden kann.