Kunstdiskussion auf der Rolltreppe
Autor: Gertrud Glössner-Möschk
Schweisdorf, Montag, 04. April 2011
Das Bamberger Karstadt-Haus zeigt seit zwölf Jahren "Kunst im Treppenturm". Die Auswahl trifft ein Kunsthistoriker, der allein auf das Kriterium Qualität setzt. Bis 26. April zeigt Gudrun Brehm Spachtelbilder aus.
Gudrun Brehm hat sich nicht beworben, sie wurde "entdeckt": Als sich der Kunsthistoriker Matthias Liebel im vergangenen Herbst die Ausstellung im Turm der Giechburg angesehen hat, fielen ihm die Bilder der 53-jährigen Künstlerin aus Schweisdorf auf. Mit kräftigen Farben, die sie mit Pinsel oder Spachtel auf die Leinwand bringt, lässt sie persönliche Wahrnehmungen und Stimmungen zu Bildern werden. Meistens wählt sie abstrakte Motive. Ihre Bilder sind für sie "ein Stück Identifikation".
Liebel sagte sich bei ihr an, und Gudrun Brehm geriet in Stress. Obwohl sie in ihrer zehnjährigen Künstlerkarriere schon etliche Male ausgestellt hat, sah sich dieser Besucher ihre Bilder mit anderen Augen an: Er beurteilte sie streng nach Qualität, denn es gibt durchaus "auch objektive Auswahlkriterien", wie Liebel betont. Als promovierter Kunsthistoriker "bilde ich mir ein, dass ich das halbwegs beurteilen kann".
Gudrun Brehms Bilder hielten seiner kritischen Begutachtung stand. Zwölf davon hängen derzeit in der Galerie "Kunst im Treppenturm" des Kaufhauses Karstadt am Grünen Markt. Die Arbeiten sind noch bis zum 26. April zu sehen.
Sprung auf die Akademie
Es ist eine von fünf bis sechs Kunst-Schauen, die die Galerie pro Jahr präsentiert. Geschäftsführer Alfons Distler ist darauf mächtig stolz: Arrivierte Bamberger Künstler wie Eberhard Schütze und Mike Rose haben hier schon ausgestellt, aber auch hoffnungsvoller Nachwuchs, darunter eine Bamberger Schülerin, die den Sprung an die Kunstakademie in Berlin geschafft hat. Einer anderen Künstlerin wiederum kaufte ein begeisterter Besucher sämtliche Bilder ab, um damit seine Arztpraxis zu dekorieren.
Und warum die ganze Anstrengung, die auch noch Geld kostet? Das Kaufhaus kommt nämlich für die gesamte Organisation, die Einladungen und die Eröffnungsfeiern auf und lässt auf der anderen Seite den Künstlern die Verkaufserlöse ohne jeden Abzug. Für Distler ist das eine Image-Frage: "Wir wollen uns von anderen schlichtweg abheben" - und er meint auch und vor allem die Häuser im eigenen Konzern. Distler hat sogar ein Indiz dafür, dass das gelungen sein könnte: Als sich Arcandor im Insolvenzverfahren befand, stellte die Wirtschaftswoche alle Karstadt-Häuser vor - und hob die Galerie im Bamberger Haus lobend hervor.
2003 kam Matthias Liebel ins Spiel. Die Kunden kennen ihn als den freundlichen Herrn im Anzug an der Kasse in der Schreibwaren- und Bücherabteilung. Liebel ist studierter und promovierter Kunsthistoriker. Er betreut neben seinem Hauptberuf mehrere Kunstprojekte in der Region.
Besonders freut ihn natürlich, dass seine auf der Universität erworbenen Kenntnisse auch beim Arbeitgeber geschätzt und eingesetzt werden.
Bis zu 25 Bewerbungen
Liebel wählt die Künstler aus, die im Treppenturm ausstellen dürfen - und viele reißen sich darum. Bis zu 25 Bewerbungen kommen jährlich ins Haus. Zusammen mit den Kollegen aus der Dekorationsabteilung - "die schauen weniger vom Künstlerischen, sondern mehr vom Dekorativen her auf die Bilder" - entscheidet er und stellt Ende eines Jahres den Plan für das nächste zusammen. Wer nicht zum Zug kommt, kann sich wieder bewerben. Bei Gudrun Brehm gab es eine Ausnahme: "Manchmal erlaube ich mir, einen Künstler selbst einzuladen", sagt der Kunstexperte.
Eine Warteliste gibt es bei ihm nicht. Liebel braucht die Freiheit, auf Neues und Frisches reagieren zu können. Überhaupt Freiheit und Unabhängigkeit: Anders als ein Galerist, der von den Verkaufserlösen leben muss, ist die Galerie "Kunst im Treppenturm" völlig unabhängig, zeigt zuweilen auch Nicht-Konformes, Hässliches oder aber Kunst, für die kaum jemand Geld ausgeben will. Für Liebel und seinen Chef Distler gibt es nur ein einziges Kriterium: Qualität.
Die Dekoabteilung sorgt mit dem richtigen Licht, Farbe und nötigenfalls Vitrinen - wie bei der Keramikausstellung, die im März gezeigt wurde - für die perfekte Präsentation. "Die Professionalität, die ich den Künstlern abverlange, verlange ich auch von uns", sagt Liebel.
Für ihn und Distler ist ein Kaufhaus der richtige Platz für die Kunst, weil es nicht nur Kauftempel, sondern auch Kommunikationszentrum ist - und wahrscheinlich mehr Menschen anzieht als viele Museen für moderne Kunst: 3000 Besucher haben täglich die Chance, sich damit auseinanderzusetzen. Und viele tun es. Man muss nur mal die Rolltreppe vom ersten Stock hinunterfahren und den Gesprächen lauschen.