Kontrast der Kulturen und Künste
Autor: Rudolf Görtler
Bamberg, Donnerstag, 11. Juli 2019
In der Villa Dessauer in Bamberg sind bis 9. August Arbeiten chinesischer und fränkischer Künstler zu sehen.
Denkt man an China nicht nur in der Nacht, ist mancher um den Schlaf gebracht: Zu gewaltig scheint der explosionsartige wirtschaftliche Aufstieg des 1,4-Milliarden-Volks, zu träge im Gegensatz die westlichen Gesellschaften. Doch wie sieht's aus mit den schönen Künsten? Bekannt ist das Faible der Chinesen für deutsche Komponisten und Klassiker, aber umgekehrt? Ja, das Reich der Mitte hat auch eine blühende Szene für bildende Kunst, weit über das Schaffen des hierzulande zu Zeiten omnipräsenten Ai Weiwei hinausreichend.
Dies dokumentieren Ausstellungen nun nicht in Berlin oder Düsseldorf, sondern ausgerechnet in sechs fränkischen Städten: Roth, Erlangen, Bamberg, Schweinfurt, Ansbach, Bayreuth. Diese unter dem Signum "2. Deutsch-Chinesischer Kunstaustausch" fungierenden Expositionen namens "Amplitude der Differenz" haben eine Vorgeschichte. Bereits 2015 gab es einen Austausch zwischen sieben fränkischen Kulturinstitutionen, darunter der Kunstverein Bamberg und der Berufsverband Bildender Künstler in Oberfranken (BBK), mit der Yunnan Arts University in Kunming. Das ist die Hauptstadt der südwestchinesischen Provinz Yunnan, deren vier Millionen Einwohner etwa der Zahl in Franken entsprechen. 10 000 Studenten lernen an der Universität, an der Ma Ning lehrt, der Initiator der chinesisch-fränkischen Kunstkontakte.
Bereits vergangenen Herbst war in zwei Museen in Yunnan die zweite Welle von Werken chinesischer und fränkischer Künstler im Rahmen dieses Austauschprojekts zu sehen. Ausgewählt jeweils aus Werkserien hat sie eine deutsche und eine chinesische Jury. Von Frühjahr bis Herbst dieses Jahres ist "Amplitude der Differenz" nun in sechs fränkischen Städten zu sehen, und zwar wegen ihres Umfangs jeweils als Doppelausstellung - im Sommer in der Villa Dessauer und in der Kunsthalle Schweinfurt, wie BBK-Vorsitzender Gerhard Schlötzer erläutert, der für Bamberg federführende Kurator. Hauptorganisator ist der Vorsitzende des Bayreuther Kunstvereins, Hans-Hubertus Esser, der zusammen mit dem Präsidenten der Yunnan Arts University, Guo Hao, einen schön gestalteten Katalog herausgegeben hat.
Gegenständlichkeit überwiegt
Es sind etwa 130 Arbeiten von jeweils 26 deutschen und chinesischen Künstlern ausgewählt worden, davon zwei Drittel in der Villa Dessauer, ein Drittel in der Kunsthalle. Es sei versucht worden, Koinzidenzen zwischen Farbe, Form oder Material herzustellen, auch in Korrespondenz mit dem Raum, versichert Schlötzer. Beim Rundgang durch die Villa Dessauer beeindruckt zunächst das handwerkliche Niveau der chinesischen Arbeiten. Und: Im Großen und Ganzen beharren die Künstler aus Fernost auf der Gegenständlichkeit. Abstraktion, Fluxus, Performance werden entweder weitgehend ignoriert oder sind noch zu entdecken.
Vielleicht spielt auch die Geografie Yunnans eine Rolle: Die Provinz ist bekannt für ihre landschaftliche Schönheit, ihr angenehmes Klima und auch viele hier lebende ethnische Minderheiten. Eine Delegation fränkischer Künstler hat im Herbst die Kunstuniversität in Yunnan besucht und festgestellt, dass hier viel Wert auf eine traditionelle, handwerklich fundierte Ausbildung gelegt wird, auf Tusch-, Aquarell- und Ölmalerei und eine Druckwerkstatt. Jedoch heißt es im Katalog-Essay Ma Nings einmal lapidar: "Im Zuge des wirtschaftlichen Booms wurde die alte Stadt Kunming durch eine neue ersetzt."
Elegantes Ausweichen
Bereits im Foyer der Villa fällt ein großformatiges Ölbild auf. "Vergangenheit 1" von Chen Liu ist ein Farbfest, das realistisch gemalte Menschenköpfe und Tiere durcheinanderwirbelt. Der Fokus auf der Gegenständlichkeit heißt nun nicht, dass die chinesischen Künstler bieder oder altbacken arbeiteten: Surrealistische Motive finden sich im Gebäude auf dem Stuhl, "Sammlung der Memoria 2" von Anke Deng ebenso wie in den - beschädigten - "Fisch-Landschaften 1 und 2" Duan Yuhais oder in den Männern mit Tigerköpfen Wang Yangs. Da stellt sich die Frage nach politischen Anspielungen in einem autoritären System oder nach Zensur. Höflich und elegant pflegen Chinesen derlei auszuweichen mit dem Verweis, man sei noch nicht so weit oder gewisse Diskussionen seien nicht zu führen, sagt Schlötzer.
Subkutane Anspielungen könnte man durchaus in den Menschen mit Gasmasken vermuten, die eine Treppe hinaufgehen ("Treppenstufe" von Ying Borui), oder dem auf dem Bauch liegenden halbnackten Mann in "Gefalteter Raum 6" von Luan Xiaojie. Auch "Traum - Tigerfüttern mit dem eigenen Leib" von Gao Xiang öffnet solche Deutungsräume.