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Kochen mit Flüchtlingen in Walsdorf


Autor: Dieter Grams

Walsdorf, Sonntag, 30. August 2015

Menschen aus fünf Nationen machten in Walsdorf beim Projekt "Kochen für Weltbürger" mit. Ehrenamtliche Helfer bereiteten gemeinsam mit Asylbewerbern typische Speisen aus deren Herkunftsländern zu. Dabei wurden auch ernste Gespräche nicht vom Tisch gewischt.
Im Sportheim des SV Walsdorf standen Menschen verschiedener Nationen gemeinsam in der Küche. Foto: Dieter Grams


Folgt man den Worten von Bundespräsident Joachim Gauck, dann hat Deutschland eine helle und eine dunkle Seite: das Engagement für Flüchtlinge auf der einen, rechtsextreme Anschläge, Gewalt und Hetze auf der anderen. "Es gibt ein helles Deutschland, das sich leuchtend darstellt gegenüber dem Dunkeldeutschland", sagte Gauck bei seinem Besuch einer Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Wilmersdorf.

Gauck fand lobende, anerkennende Worte für die vielen Initiativen, "ein Netzwerk von Ad-Hoc-Gruppierungen von Menschen, die helfen wollen", die Präsenz von "Hunderttausenden, die sich ehrenamtlich engagieren" und die Arbeit der verschiedensten sozialen Träger.

Dazu gehört auch die Veranstaltungsreihe "Kochen für Weltbürger". "Vorurteile und Berührungsängste abbauen kann man nur durch kennenlernen, und Liebe geht ja bekanntlich durch den Magen", so Maria Gräbner vom Schmetterlingseffekt e. V. aus Coburg.

In Walsdorf sind aktuell 26 Flüchtlinge aus Armenien, Aserbaidschan, Afghanistan und Syrien untergebracht, die gemeinsam am vergangenen "Shanbeh" (armenisch für Samstag) ab 9 Uhr morgens ein kulinarisches Abenteuer vorbereiteten.


Bis zu 15 Stunden Vorlauf

Für manche der landestypischen Gerichte war ein noch länger dauernder Vorlauf nötig, mitunter bis zu 15 Stunden. "Ein bisschen Generalstabsarbeit ist schon angesagt", sagte Gräbner, denn an Töpfen, Pfannen, Tischen und Herdplatten im Sportheim des SV Walsdorf drängte sich eine Vielzahl von Menschen aus fünf Nationen.
Es sei schon erstaunlich und eine Freude zu beobachten, wie viele, besonders auch junge Männer, sich freiwillig zum Küchendienst gemeldet haben. Weltbürger eben, die für Weltbürger kochen. Das für alle Besucher kostenlose, internationale Buffet wurde um 18 Uhr eröffnet. "Nursch Olsun", "guten Appetit."


Das Besteck wurde knapp

Es war wie an einer mittelalterlichen Königstafel. Da gab es auch alles, und alles auf einmal. Von deftig-kräftig über herzhaft bis mild, süß und sauer, ganz schön scharf ("Das ist afghanisch", sagte ein Aserbaidschaner) bis ausgesprochen lieblich. Der Andrang war groß. So groß, dass für zu spät gekommene an Essgeräten nur noch Kuchengabeln zur Verfügung standen. Dennoch - auch dem an nicht eben kleine Portionen gewöhnten Landkreisbewohner war es nicht möglich, das kaum überschaubare, mit einem Höchstmaß an Liebe und Kunstfertigkeit zubereitete Angebot zu bewältigen.

Begonnen hatte es mit 15 Asylbewerbern, deren Zahl sich an einem "Bazar" (aserbaidschanisch für Sonntag), am 19. Juli um 8.13 Uhr, auf eine sehr natürliche Art und Weise erhöhte. Gamaz Rahimli aus Aserbaidschan schenkte einem Sohn das Leben. Der neue Weltbürger heißt Adam und macht nicht nur Papa Ali stolz, sondern auch Großvater Valeh.

Dieser liebt nicht nur seinen Enkel, sondern ganz offenkundig auch den sechs Monate alten Leonardo di Filippo aus Stegaurach. Mutter Julia war ganz einfach in das Walsdorfer Flüchtlingsheim marschiert und hatte Adams Eltern Babysachen geschenkt. "Ich würde diesen Menschen bedenkenlos das Leben meines Sohnes anvertrauen", sagte die junge Mutter schon nach ihrem ersten Besuch. "Die Herzlichkeit und Gastfreundschaft, mit der wir dort wie selbstverständlich empfangen wurden, das gibt es in vielen deutschen Haushalten gar nicht."

Seitdem haben Besucher und "Freunde" ihres Facebook-Accounts, die sich abfällig über Asylbewerber äußern oder fremdenfeindliche Thesen nachplappern, dort nichts mehr verloren. Sie werden konsequent aussortiert, rausgeworfen und "Freundschaften" rigoros gekündigt.

Zu den Menschen, die Deutschland "hell erstrahlen" lassen, gehört auch Michael Roth von der Awo. Roth betreut neben Walsdorf auch die Flüchtlingsunterkünfte in Scheßlitz und Heiligenstadt, in Walsdorf seit kurzem zusätzlich zehn syrische Asylbewerber. Er gehört zu den Sozialarbeitern, die sich vor Ort kümmern. Deren Zahl steigt: "Menschenrechtsprofession. Nur auf dieser Basis ist diese Arbeit überhaupt möglich. Wir würden gerne mehr tun, aber wir stoßen an Grenzen. 150 Flüchtlinge pro Betreuer sind eigentlich schon zu viele."
Zu seinen Schutzbefohlenen gehört Mehemmed Shinichli, ein aus Aserbaidschan geflüchteter Journalist, der seit fast vier Jahren auf die Bearbeitung seines Antrages wartet. Das Wort "Pressefreiheit" kommt im Vokabular der Machthaber in seiner Heimat nicht vor.

Regimekritische Berichterstatter haben im besten Fall mit Repressalien zu rechnen. Manche missliebige Journalisten verschwinden dagegen plötzlich aus dem Leben der Menschen - oder werden erschossen. Auch Adams Großvater Valeh hat zu Hause als Journalist gearbeitet.

Aserbaidschan und Armenien befinden sich seit über 20 Jahren im Kriegszustand. In Walsdorf sitzen Bürger beider Nationen friedlich an einem Tisch und kommunizieren miteinander auf deutsch. "Wir wollen keinen Krieg. Wir wollen nicht schießen", sagte Ali Rahimli. "Das ist Politik. Das sind nicht wir."