Druckartikel: Kirchenasyl ist "unerlaubter Aufenthalt"

Kirchenasyl ist "unerlaubter Aufenthalt"


Autor: Marion Krüger-Hundrup

Bamberg, Dienstag, 17. Oktober 2017

Um der drohenden Abschiebung nach Afghanistan zu entgehen, floh ein 26-Jähriger in die Pfarrei St. Stephan. Das Amtsgericht sprach ihn schuldig.
Die Kirche als Ort des Schutzes: Das Amtsgericht Bamberg hat einen jungen Afghanen  nach dem Aufenthaltsgesetz jetzt  schuldig gesprochen. Symbolbild: pixabay.com


Eigentlich sollte es nach den Worten von Walter Neunhoeffer ein "stilles Kirchenasyl" sein. Also eines ohne öffentliche Aktionen oder Proteste. Doch nun blieb dem geschäftsführenden Pfarrer von St. Stephan nichts anderes übrig, als dazu zu stehen, dass das Kirchenasyl für Khalid G. (Name geändert) publik wird. Nämlich durch das Verfahren vor dem Amtsgericht Bamberg, das am Dienstag etliche Zuhörer anlockte.

Der 26-jährige afghanische Staatsangehörige Khalid G. war nach einer Anzeige durch das Zentrale Ausländeramt angeklagt, sich "im Bundesgebiet ohne den erforderlichen Aufenthaltstitel nach Paragraf 4 Absatz 1 Satz 1 Aufenthaltsgesetz aufgehalten zu haben", obwohl er "vollziehbar
ausreisepflichtig" war, eine Ausreisepflicht nicht gewährt und die Abschiebung nicht ausgesetzt wurde - strafbar als "unerlaubter Aufenthalt". Gegen diesen Strafbefehl vom 29. Mai 2017 hatte Khalid G. Einspruch eingelegt.

In Abwesenheit des Angeklagten - er wurde durch Rechtsanwältin Martina Walter vertreten - sprach Richter Florian Kratzer ihn schuldig und verurteilte ihn zu 60 Tagessätzen à 10 Euro sowie die Übernahme der Verfahrenskosten. Das Kirchenasyl stehe "außerhalb der Rechtsordnung, daraus
kann keine Duldung abgeleitet werden". Damit folgte der Richter dem Plädoyer von Staatsanwalt Stephan Schäl: "Ein Kirchenasyl kann niemals Regelungen des Aufenthaltsgesetzes unterlaufen", erklärte er. Khalid G. sei "vollziehbar abschiebepflichtig", eine "Duldung kann nicht erteilt werden".

Rechtsanwältin Walter wollte dagegen "keine Strafbarkeit feststellen", da den einschlägigen Behörden der Aufenthalt von Khalid G. im Kirchenasyl mitgeteilt worden sei und dieses somit nicht als ein Untertauchen angesehen werden könne. Walter wies auf eine entsprechende Vereinbarung zwischen den Kirchen und den Behörden bezüglich gemeldeter Kirchenasyle hin. Den
Sachverhalt als solchen stellte die Verteidigerin nicht in Abrede.

Demnach wurde bereits 2012 der von Khaild G. gestellte Asylantrag mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge als unbegründet abgelehnt. Zugleich erfolgte die Aufforderung, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe des Bescheids zu
verlassen. Anderenfalls wurde die Abschiebung nach Afghanistan angedroht. Die von Khalid G. hiergegen eingereichte Klage wies das Bayerische Verwaltungsgericht Bayreuth mit Urteil von 2014 als unbegründet ab. Letztmalig erhielt der Afghane durch die Regierung von Oberbayern eine
Duldung bis zum 11. Januar 2017.

Der Versuch einer Abschiebung schlug am 23. Januar 2017 fehl: Khalid G. unternahm einen Suizidversuch und kam in ein Krankenhaus. Nach der Entlassung floh er ins Kirchenasyl, das ihm die Pfarrei St. Stephan in ihren Räumlichkeiten der Filiale Philippus gewährte. Pfarrer Neunhoeffer hatte
umgehend die Behörden darüber informiert. Wegen "Beihilfe zum illegalen Aufenthalt" wurde das inzwischen in Bayern in Kirchenasylfällen übliche Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet und dann wegen geringer Schuld nach Paragraf 153 Strafprozessordnung wieder eingestellt. Khalid G. wurde zur Festnahme ausgeschrieben, "doch die Polizei geht nicht ins Kirchenasyl", erklärte eine Vertreterin des Ausländeramtes, die als Zeugin in die Hauptverhandlung gegen Khalid G. geladen war.

Richter Kratzer verlas einige Passagen aus der aktenkundigen Biografie des Afghanen. Danach war er und seine Familie als Angehörige einer bestimmten Volksgruppe an Leib und Leben bedroht und floh zunächst in den Iran. Dass Khalid G. von Taliban massiv gefoltert worden war, bescheinigen ihm Ärzte aufgrund von bleibenden Folgeschäden. Nach einer Odyssee über Griechenland, Italien, Schweden gelangte Khalid G. nach Deutschland.

"Wie stellt sich Ihr Mandant seine Zukunft vor?" wollte Richter Kratzer von Rechtsanwältin Walter wissen. Sie wies darauf hin, dass Khalid G. unter einer psychischen Erkrankung leidet und in ärztlicher Behandlung ist. Inwieweit der medizinische Aspekt einen Aufenthaltsstatus erwirken könnte,
"ist noch offen", so Walter. Ein entsprechendes psychiatrisches Gutachten werde jedenfalls erstellt und solle vor dem Verwaltungsgericht Bayreuth im weiteren Verfahren zum Tragen kommen.