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Japanischer Faschingszug zog 1914 durch Bamberg


Autor: Petra Mayer

Bamberg, Montag, 17. Februar 2014

Ein japanischer Faschingszug tobte am 22. Februar 1914 durch Bamberg. Ausgelassen feierten fränkische Pappnasen und tanzten um den "Mikado" auf dem närrischen Thron. Keiner ahnte, dass einige Monate später der Erste Weltkrieg beginnen und das Ende der alten Weltordnung bringen würde.
Einer der Faschingswagen, die vor 100 Jahren - zum Teil noch von Pferden gezogen- durch Bamberg fuhren. Foto: MTV-Archiv


"Bürger Yokohamas, kommt in Massen zum festlichen Empfang des Mikados!", lasen Faschingsfans im Bamberger Tagblatt: Ein Ruf, dem Tausende auch aus dem Umland folgten, um dem "japanischen Kaiser" am Karnevalssonntag zu huldigen. Zumal die "schönsten und reizendsten Geishas" lockten - "lebendig gewordene Blumen", wie die Propagandisten des Männer-Turn-Vereins schwärmten, der in dem bunten Treiben den Ton angab.
So hoben vor einem Jahrhundert fränkische Karnevalisten zu einer Zeit, als es im Deutschen Reich noch einen Kaiser gab, einen Exoten auf den närrischen Thron und feierten einen Höhepunkt der "tollen Tage", wie ihn Bamberg nie zuvor gesehen hatte - wenige Monate vor den Todesschüssen auf das österreichische Thronfolgerpaar, mit denen der Serbe Gavrilo Princip den Ersten Weltkrieg auslöste.


Hetze gegen die "gelbe Gefahr"

Jubel, Trubel, Heiterkeit - der Frohsinn regierte. Wer hätte auch ahnen sollen, dass es die letzte ausgelassene "Fünfte Jahreszeit" im Kaiserreich würde, wo Wilhelm II. gegen die "gelbe Gefahr" hetzte. "50 Nummern" umfasste der Zug, der sich am 22. Februar 1914 nach dem Eintreffen des "Mikados" vom Bahnhof aus kreuz und quer durch die Innenstadt schlängelte - bis in den Hain und wieder zurück über den Schillerplatz zu den Zentralsälen.

Was hatten sich die Veranstalter vom Bamberger Männer-Turnverein nicht alles einfallen lassen, um fernöstliches Flair über den "Mikado" nach Franken zu bringen. Die gleichnamige Operette weckte in Romantikern Jahre zuvor schon die Sehnsucht nach dem fernen Land, obwohl der japanische Kaiser des 15. Jahrhunderts in dem Werk das Flirten unter Todesstrafe stellt (was in Bamberg glücklicherweise nicht geschah).

Notariatsgehilfe als Mikado

Von der japanischen Botschaft hatten sich die Organisatoren die Schnitte der Kostüme besorgt, um die "exotische Hoheit" und ihr Gefolgte stilsicher einzukleiden. Wobei nicht etwa der Vorsitzende des Männer-Turnvereins oder eine andere hochrangige Bamberger Persönlichkeit in des Kaisers neue Kleider schlüpfte, sondern Max Müller, ein Notariatsgehilfe. Im Fasching gelten eben andere Gesetze.

Mit sanftem Druck hatten die Initiatoren des MTV, dem etliche Bamberger Honoratioren und die namhaftesten Geschäftsleute angehörten, bereits im Vorfeld dafür gesorgt, dass der "Wurm des Gaudiums" nicht zum Würmchen schrumpft. "Als Mitglieder mussten alle hiesigen Geschäftsleute den ,Mikado' mit einem eigenen Prunkwagen begleiten", berichtet der heutige Vorsitzende des MTV: Peter Röckelein, der im Vereinsarchiv auf alte Fotos, Zeitungsausschnitte und Werbeplakate stieß, die überall in Bamberg aushingen.

Mit Raffinesse rührte auch das Tagblatt die Spendentrommel: "Angesehene Bürger und Korporationen haben bereits reiche Zuwendungen für diese in allen Kreisen der Bevölkerung äußerst sympathisch begrüßte Veranstaltung gemacht. Und so wird - wenn noch weiter (!) notwendige Mittel flüssig gemacht werden, wieder ein Faschingszug zustande kommen, der beifälligsten Aufnahme im vornehinein sicher."

Vom Kuli bis zum Scharfrichter

Nachdem noch ein weiterer Artikel der Bamberger Geschäftswelt verklickert hatte, dass dank entsprechender "Propaganda in der näheren und weiteren Umgebung ein größerer Fremdenzuzug garantiert" sei (und ihre Kassen klingen lässt), tobte am 22. Februar ein entsprechend prächtig ausgestatteter japanischer Karnevalszug durch die Domstadt: mit fahnenschwenkenden Reitern, Offizieren, Kulis, Teehändlern, dem Leibarzt des "Mikado", einem Priester, Kistenträgern, Straßensprengern und einem Scharfrichter.

Wie staunten die Bürger Yokohamas, als sie all die "fremdländischen" Menschen hoch zu Pferd oder mit einem Ochsen im Schlepptau, in geschmückten "Automobilen", Kutschen und anderen Fuhrwerken an sich vorbeikommen sahen. Wobei die meisten den krönenden Schluss der Zeremonie im Zentralsaal nicht mitbekamen, wo der "Blumentag" stattfand.
Für 2 Mark kamen Nichtmitglieder zum "japanischen Kostüm- und Volksfest", für 4 Mark vierköpfige Familien - "inklusive Lustbarkeitsabgabe". Der Bürgermeister "Yokohamas" (zu dieser Zeit Adolf Wächter) begrüßte den "Kaiser", um anschließend tanzenden Geishas, Kunstturnern, Keulenschwingern, Kraftsportlern, "urkomischen" Pantomimen, Sängern und anderen Protagonisten das Feld zu überlassen. Nach einem "Huldigungszug vor dem Mikado" klang das Fest im "kaiserlichen Thronsaal" zu später Stunde aus: beim letzten großen Faschingstrubel vor dem Krieg, in dem über 4 Millionen deutsche Soldaten verletzt oder verstümmelt wurden und 2 Millionen fielen: darunter 1330 Bamberger, die nie zu ihren Frauen, Kindern, Eltern, Geschwistern und Freunden zurückkehrten.