Druckartikel: Invasion der Comichelden in Bamberg

Invasion der Comichelden in Bamberg


Autor: Natalie Schalk

Bamberg, Samstag, 06. Juli 2013

Ein gelbäugiger Irrer vor der Konzerthalle, eine Lolita im Damenklo und ein Dämon vorm Getränkeausschank: Die erste "Franco-Convention" brachte am Samstag allerlei seltsame Gestalten in den Tempel der Bamberger Symphoniker. Wesen mit Flügeln, die nicht durch eine normale Tür passen, mussten allerdings draußen bleiben. Worauf es beim Cosplay ankommt, erklärten die amtierenden deutschen Meister: Zwei Fränkinnen, denen wir bei ihrer "Verwandlung" zuschauen durften.
Alexandra Marbuch (18) aus Lichteneiche verkörpert Ran-Mao aus "Black Butler". "Leider", sagt sie, "ist das Kostüm bis auf Kleinigkeiten gekauft". Foto: nat


Tanja Keller flucht. "Nie wieder wasserbasierte Schminke!" Sie blinzelt, für einen Augenblick verschwinden ihre gelben Augen unter weiß-schwarz-verschmierten Lidern. "Das sind die Leiden eines Cosplayers", erklärt sie und wischt das fast fertige Make-up wieder weg. Tanja Keller verwandelt sich gerade in den üblen "Cäsar Clown", eine Figur aus "One Piece", einem der berühmtesten japanischen Manga-Comics. Die 28-Jährige lacht: "Ich bin wirklich böse. Ich bin ein durchgeknallter Wissenschaftler, der die Weltherrschaft an sich reißen will."

Böse und irre sieht sie aber bisher nur auf einer Seite aus. Auf der anderen ist die Schminke verlaufen. "Lass mich mal, du machst es nur schlimmer", sagt Anita Hemala und tupft den schwarzen Schmodder weg. Hemala ist die Mitbewohnerin von Keller und ihre Cosplay-Partnerin. Die beiden haben in Lauf an der Pegnitz eine WG und so normale Berufe wie Kinderpflegerin. In ihrer Freizeit schlüpfen sie in die Rollen von Comicfiguren.

Cosplay ist die Abkürzung des Begriffs "costume play" (Kostümspiel) und steht für einen Trend, der aus Japan kommt: Die Spieler stellen eine Figur aus einem Manga-Comic, einem Film oder Computerspiel dar. Es gibt immer mehr Conventions, Treffen für die Fans dieses Hobbys. In Bamberg mit der "Franco" an diesem Samstag zum ersten Mal. Im "Gamesroom" in der Konzerthalle konnten die Cosplayer die neuesten Videospiele ausprobieren, es gab einen Zeichen-Wettbewerb und im Saal neben der Prämierung des besten Cosplayers und anderen Wettbewerben auch Showeinlagen: Das "Flying Sushi Theatre" aus Wien zeigte, wie Comic als großes Schauspiel funktionieren kann.



Hörner aus Bauschaum

Als der Cosplay-Trend begann, waren nur Charaktere aus Mangas oder der filmischen Variante Anime erlaubt. "Inzwischen geht alles, auch eine Medusa oder ein Faun aus der Mythologie", sagt Keller. Larissa Paulus, eine der vier Organisatoren, die für die Franco verantwortlich sind, ergänzt: "Fast alles." Echte Waffen und Waffen über zwei Meter Höhe sind nicht zugelassen. Die Kleider dürfen keinen Durchmesser von mehr als drei Metern haben. Und Flügel müssen durch eine normale Tür passen. Sonst kämen die Cosplayer im Gedränge einer Convention nicht aneinander vorbei. Aber so eng war's in Bamberg noch nicht. Organisatorin Paulus sagt, dass bei der ersten Veranstaltung dieser Art mit etwa 300 bis 400 Besuchern gerechnet wird. Die 21-Jährige ist im richtigen Leben Hörgeräteakustikerin und kommt aus Rentweinsdorf. Sie findet es wichtig, dass den meist jugendlichen Fans so etwas geboten wird und hätte sich deshalb etwas mehr Unterstützung von der Stadt Bamberg gewünscht. Cosplay sei schließlich nicht nur die Kostümierung, sondern eine sehr vielseitiges, soziales und kreatives Hobby. An manchen Kostümen arbeiten die Cosplayer bis zu einem Jahr, es wird genäht, geschnitzt, Folie mit dem Heißluftfön gebogen und Hörner aus Bauschaum gefertigt. Viele stecken ihr ganzes Taschengeld in dieses Hobby. "Die meisten fangen so mit 12 an. So mit 40 hören die meisten auf."

Alles voller Busen

Auf etwa 50.000 Cosplayer wird die deutsche Szene inzwischen geschätzt. Tanja Keller und Anita Hemala wurden bei der deutschen Meisterschaft auf der Frankfurter Buchmesse als Team zum deutschen Meister gekürt. Das ermöglichte ihnen, heuer zum ersten Mal nach Japan zu reisen. Dort ist die Szene groß und einige Cosplayer richtig berühmt. "Hach, man wird eben auch immer perfektionistischer", erklärt Keller, während ihr Augen-Make-Up langsam wieder Form annimmt. Der böse Clown wird langsam sichtbar, die 28-jährige Frau verschwindet mehr und mehr unter seiner fiesen Visage. Der kleine Raum der Konzerthalle ist denen vorbehalten, die mit dem Orga-Team zu tun haben. Alles ist vollgestopft mit Taschen und Kisten, Perücken, Kostümen und herumschießenden Flüchen.

Es klopft: "Dürfte ich mal - " Gabi Jeschke schüttelt ihre lange pinkfarbene Comichelden-Mähne, brüllt ein "Nein!" und ergänzt: "Hier ist alles voller Busen!" Klebeband ist in dem stickigen Kabuff eines der begehrtesten Objekte: Anita Hemala hat ihren Busen abgebunden, ein paar andere verkörpern ebenfalls männliche Charaktere und müssen die weiblichen Rundungen verstecken. Hemala hat sogar einen richtigen Sixpack. "Geairbrusht", erklärt die 27-Jährige. Sie schlüpft gerade in den Charakter des Marinesoldaten "Smoker" aus dem Piraten-Manga "One Piece" - und der hat nun mal einen kräftigen Männerbody, den er gern zeigt. Die Jacke seines weißen Offiziersmantels trägt er immer offen, im Mund hat er meist zwei Zigarren gleichzeitig.Durch irgendwelche Teufelskräfte ist er in der Lage, seine Gliedmaßen durch Rauch zu verlängern und den Gegner im Qualm festzuhalten.

Außerdem hat er meist schlechte Laune. Hemala hingegen lächelt liebenswürdig - noch. Sie greift zu den Schminkutensilien und ihre Mitbewohnerin Tanja Keller raunt: "So, weg mit den Lippen." Dann pinselt sie mit Eyeliner einen Bart ins Piratengesicht und verpasst ihrer Freundin mit Lipliner ein paar Narben. "Wir haben's auch schon mit einem Stoppelschwamm probiert, aber das sieht zu stoppelig aus." Zu echt. Beim Cosplay geht es nicht darum, dass der Bart aussieht wie bei einem Mann, sondern er soll aussehen, wie bei dem gezeichneten Vorbild aus dem Manga.

Warum die Rheinländerin den Karneval nicht mag

Keller erklärt all das mit unverkennbar rheinischen Akzent. Mit Karneval will sie aber nichts zu tun haben: "Die machen irgend ein Kostüm: Cowboy, Pirat, Prinzessin - und dann besaufen sie sich. Die spielen die Rolle nicht. Bei uns hat mehr mit Theater zu tun." Aber sei ist auch kein Lebensstil wie bei Punks oder Gothics. "Ich geh ja so nicht einkaufen. Es ist ein Hobby." Und selbst auf der Convention sei sie nicht die ganze Zeit "in-charakter" - die Cosplayer verkörpern ihre Rolle vor allem auf der Bühne. Oder wenn sie bei jemanden treffen, der aus der gleichen Manga-Welt stammt wie ihr eigener Charakter.

Aus Tüll wird ein Körper aus Schleim

Als Keller sich nach der abgeschlossenen Metamorphose als Bösewicht unters Comic-Volk mischt, begegnet ihr tatsächlich ziemlich schnell eine Figur aus "One Piece": und zwar ebenfalls ein Cäsar Clown. Dieser Typ ist irrer Wissenschaftler. Bei irgendeinem Experiment mit irgendwelchen Teufelskräften hat sein Körper wohl die feste Form verloren und besteht nun aus einer Art Schleim. Bei Tanja Keller sind das 30 Meter Tüll, die sie sich als Mantel übers Clownskostüm geworfen hat. Der andere Cäsar Clown ist sofort als solcher erkennbar - aber sein Outfit besteht aus völlig anderen Materialien. Und das macht den Reiz des Cosplay aus. Natürlich gibt es Kostüme zu kaufen, auch bei der Franco sind einige Stände. Aber viele Cosplayer lieben ihr Hobby, weil sie ihre Kostüme selbst machen und dabei ziemlich kreativ sein müssen. Zum Beispiel, wenn sie jemand sein wollen, der zu einem großen Teil aus dickflüssigem Schleim besteht.

Mehr dazu: www.franco-convention.lima-city.de


Cosplay Der japanische Verkleidungstrend kam in den 90er Jahren mit dem Manga- und Anime-Boom nach Europa. Beim Cosplay stellt man einen Charakter - aus Manga, Anime, Computerspiel oder Film - durch Kostüm, Mimik und Bewegung originalgetreu dar.

Larp Bei Liverollenspielen (Live Action Role Playing) wird - im Gegensatz zum Cosplay - nicht nur der Charakter physisch dargestellt, sondern auch in verschiedenen Szenen in dieser Rolle gespielt.

Conventions Die Animagic Con ist mit etwa 20 000 Besuchern die größte Messe für Anime und Manga in Deutschland, die Connichi ist hierzulande die größte Convention. In Japan kommen zu solchen Treffen auch mal 150 000 Besucher.