Innere Stimmen befahlen - Räuber war schuldunfähig
Autor: Jutta Behr-Groh
Bamberg, Mittwoch, 31. Juli 2013
Ein 20-jähriger Bamberger überfiel Ende 2012 eine Altenpflegerin, weil innere Stimmen ihm dies befahlen. Nach dem Willen der Jugendkammer des Landgerichts muss der Beschuldigte bis auf Weiteres in der Psychiatrie bleiben.
Unausgesprochen stand der Name von Gustl Mollath im Raum, als es vor der Jugendkammer am Landgericht um die Unterbringung des 20-jährigen Michael Z. (Name von der Redaktion geändert) ging. Denn der junge Mann ist seit Ende 2012 im selben Bezirkskrankenhaus untergebracht wie der derzeit bekannteste deutsche Psychiatrie-Patient, in Bayreuth. Und: Wie Mollath hoffte er darauf, dass die Justiz ihm die weitere Unterbringung erspart.
Vergeblich. Die Richter folgten dem Antrag von Staatsanwältin Nora Reim und zückten das - wie sie es nannte - "scharfe Schwert" des Paragraphen 63 Strafgesetzbuch, die Unterbringung: Z. wurde nach der Urteilsverkündung zurück ins Bezirkskrankenhaus gebracht, auf vorerst unbestimmte Zeit.
Der 20-Jährige ist psychisch krank und nach Überzeugung der Jugendkammer eine Gefahr für die Allgemeinheit. Jedenfalls so lange, bis sein Alltag klar strukturiert verläuft und sicher gestellt ist, dass er seine Medikamente einnimmt. Weil das in seinem schwierigen privaten Umfeld nach Sicht der Richter nicht gewährleistet ist, musste er wieder in die Psychiatrie.
Keine Anklage, keine Strafe
Wegen einer Schizophrenie war Z. bei der Tat schuldunfähig. Das stand vor Prozessbeginn fest. Er saß daher nicht als Angeklagter vor Gericht, sondern als Beschuldigter. Und es ging nicht um eine Anklageschrift und um eine Strafe, sondern um eine Antragsschrift und eben die Unterbringung.
Unstrittig ist die Tat: Michael Z. überfiel am 29. Dezember 2012 eine Frau, die kurz nach 23.30 Uhr in der Nähe des Klinikums auf den Nachtbus wartete. Er entriss der völlig überraschten Altenpflegerin die Handtasche. Dabei stürzte sie so unglücklich, dass sie eine Vielzahl von Prellungen und Blutergüssen erlitt und 13 Tage lang arbeitsunfähig war. Die erfüllten Straftatbestände sind Raub und vorsätzliche Körperverletzung.
Z. berichtete der Jugendkammer von inneren Stimmen, die ihn schon länger beeinflusst und zu dieser Tat aufgefordert hätten. Als er mit dem Geld der Frau nach Hause gegangen war, versuchte er, sich das Leben zu nehmen. Auch das sollen ihm die Stimmen befohlen haben.
Möglicherweise verdankt er der guten Täterbeschreibung der Altenpflegerin, dass er noch am Leben ist. Die Polizei spürte ihn nämlich relativ schnell daheim in Klinikums-Nähe auf. Als er den Beamten die Tür öffnete, war er Blut überströmt und hielt noch das Messer in der Hand, mit dem er sich die Pulsadern aufgeschnitten hatte. Auf Geheiß der Polizisten ließ er das Messer fallen und sich widerstandslos fest nehmen.
Z. hatte knapp 32 Euro erbeutet. Die Frau sei ihm wie die verhasste Lebensgefährtin seines Vaters erschienen; die Stimmen hätten ihm gesagt, er solle sie "bestrafen" und ihr das Geld wegnehmen, sagte er vor Gericht.
Ihr Hab und Gut bekam die Geschädigte schnell zurück. Die innere Ruhe hat sie bis heute nicht wieder gefunden. Im Zeugenstand gab sie zu Protokoll: "Seitdem habe ich Angst, wenn ich in die Dunkelheit 'raus muss." Die Frau nahm im Gerichtssaal die persönliche Entschuldigung des 20-Jährigen - "mir tut das unfassbar leid!" - zur Kenntnis; schriftlich hatte er sie früher schon um Verzeihung gebeten.
Sachverständiger macht Mut
Dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Johannes Steinmann, Bayreuth, zufolge hat Z. Aussichten, eines Tages ein Symptom freies Leben zu führen. Wichtig seien für ihn neben den richtigen Medikamenten feste Strukturen im Alltag.
Verteidiger Norbert Brandl hatte dafür plädiert, Z. wenig stens auf Probe beim Vater einziehen zu lassen. Der Mann ist zur Zeit selbst schwer krank und auf Hilfe Dritter angewiesen. Der Rechtsanwalt glaubt, in der Sorge um den Vater könnte der 20-Jährige die nötigen Inhalte und Aufgaben seiner Tage finden. Vorsitzender Richter Manfred Schmidt drückte die Skepsis der Kammer aus: Das werde "keine fruchtbare Symbiose".
Der 20-Jährige will erstmals innere Stimmen gehört haben, nachdem er im Jahr 2011 ein oder zwei Monate lang halluzinogene Pilze geraucht hat. Der Sachverständige schloss einen Zusammenhang nicht aus, wies aber auch auf eine genetische Veranlagung in der väterlichen Linie des jungen Mannes hin.
Michael Z. saß nicht zum ersten Mal vor Gericht. Schon sechs Mal ist er wegen Eigentumsdelikten vorbestraft. Das letzte Urteil fällte das Amtsgericht Erlangen im Mai 2011: eineinhalb Jahre Jugendstrafe, die auf Bewährung ausgesetzt wurden. Er hatte mit einer Vielzahl von Betrügereien und Urkundenfälschungen, begangen mit Hilfe des Internets, fast 20 000 Euro Schaden angerichtet. Beim Raub Ende 2012 stand er noch unter Bewährung. Ohne seine Erkrankung und die daraus resultierende Schuldunfähigkeit hätte Z. jetzt eine ganz erhebliche Strafe zu erwarten gehabt.