In Wagners Wachsfigurenkabinett
Autor: Monika Beer
Würzburg, Dienstag, 28. Mai 2019
Das Mainfranken Theater in Würzburg bringt sukzessive Wagners "Ring des Nibelungen" heraus: Das ambitionierte Projekt startete mit der "Götterdämmerung" in der Regie von Tomo Sugao.
"Warum Frau Grimhild Alberich außerehelich Gunst gewährte" heißt ein launiger Essay von Eckhard Henscheid, der 1995 erstmals im Druck erschien. Fünf Jahre später tauchte in Jürgen Flimms "Ring"-Inszenierung zum ersten Mal in Bayreuth Hagen als Kind auf, was auf den Bühnen landauf landab bald inflationär aufgegriffen wurde.
Und jetzt - endlich? - darf man auch in Würzburg Zeuge seiner Zeugung werden. Es handelt sich dabei - ohne #MeToo-Abgleich geht in der Oper nichts mehr! - sichtlich nicht um Grimhilds Gunst, sondern um eine Vergewaltigung. Dass das Opfer die Mutter von Hagen, Gunther und Gutrune ist, teilt sich allen, die weder Wagners Werke haarklein kennen noch ins Programmheft geguckt haben, bestenfalls gegen Ende mit, wenn im finalen Wirrwarr Hagen just auf Grimhild trifft, vor ihr in die Knie gehen und seinen Kopf an ihren Schoß schmiegen darf.
Malträtiertes Kind
Das ist szenisch dann allerdings schon das Höchste der Gefühle. Denn in seiner Fokussierung auf den Bösewicht vom Dienst und dessen überreich bebildertes Kindheitstrauma hat Regisseur Tomo Sugao leider übersehen, dass die Hauptfiguren der "Götterdämmerung" Brünnhilde und Siegfried sind.
Sie gehen in seinem Konzept zwar nicht sang- und klanglos, aber dennoch unter, weil sie stets nur Kunstfiguren sind und beim Betrachter mitnichten Empathie auslösen.
Gezeigt wird eine heutige, grell überzeichnete Gibichungenwelt, in der der doppelte Hagen - er ist als Erwachsener und als immer wieder von Alberich malträtiertes Kind vorhanden - der einzige Normalo zu sein scheint. Alle Nicht-Gibichungen sind im Wortsinn museal und stammen aus einer Art grämlich-grauem Wagner-Wachsfigurenkabinett, in dem es ganz schön hoch hergehen kann. Nicht nur die vom Komponisten vorgesehenen Protagonisten und zentrale Requisiten werden ausgestellt, sondern fast alle Figuren, die im "Ring"-Vierteiler vorkommen: Teils sieht man sie als Exponate auf der Drehbühne rotieren, teils steigen sie aus den Vitrinen und mischen mit: Wotan ist da, sogar die Weltesche, die Rheintöchter samt Goldbarren, Fafner, Siegfried mit Nothung und Brünnhilde, deren Felspodest von dem gestürzten Pferd Grane dominiert wird.
Flut der Bilder
Dank namhafter Finanzspritzen durch die Herbert Hillmann und Margot Müller Stiftung und den Richard-Wagner-Verband Würzburg konnten die Ausstatter Paul Zoller (Bühne) und Carola Volles (Kostüme) aus dem Vollen schöpfen: Selbst der Bühnenvorhang spielt mit und wird leider viel zu oft von den drei Nornen auf- und zugezogen, während das Vorhanghalbrund des Gibichungen-Herrenzimmers wiederum zu oft, aber ohne sichtbares Hilfspersonal rauf und runter geht. Die Bilderflut nutzt sich ab und kulminiert vorhersehbar im 3. Akt, wenn Klein-Siegfried herumgeistert.
Damit ja kein Generationenkonflikt ausgelassen wird, wollen zur Trauermusik im Schnelldurchgang auch noch Siegfrieds Lebenswelt samt Eltern und Vorgeschichte vorgeführt sein.