Druckartikel: Hirschaid will mit Volldampf voraus

Hirschaid will mit Volldampf voraus


Autor: Werner Baier

Hirschaid, Samstag, 30. März 2013

Sechs Arbeitskreise legten Konzepte für den Fortschritt der Marktgemeinde vor. Trotz beachtlicher Investitionen sollen die Schulden bis 2030 getilgt sein.
Ein Hauptproblem in Hirschaid: Der dichte Verkehr im Bereich Nürnberger und Maximilianstraße. Foto: Michael Gründel


Haben die Marktgemeinderäte in den letzten Jahren geschlafen? Fehlt ihnen Kreativität? Wissen sie nicht, wo ihre Mitbürger der Schuh drückt? Solche Fragen drängten sich dem Beobachter auf, der sich Dienstagabend drei Stunden lang sechs Vorträge mit ellenlangen Wunschlisten der Hirschaider anhörte.

Die Antwort auf die drei Fragen ist: Nein. Denn es kam, wie es kommen musste: Ausgerechnet im Vorfeld der nächsten Kommunalwahl (2014) ließ ebenjener Marktgemeinderat sechs Arbeitskreise Ideen zur Entwicklung Hirschaids sammeln, noch bevor in den diversen Wahlprogrammen Zukunftsmusik niedergeschrieben wird. Man will noch in diesem Jahr ein städtebauliches Entwicklungskonzept erstellen und dazu die Bürger ins Boot holen. Das gelingt zuverlässig dann, wenn sie von Anfang an eingebunden sind.



Dass die Ideen der Hirschaider nur so sprudeln konnten, hängt außerdem am Faktor Geld: Wer nicht in der Zwickmühle steckt, die zur Verwirklichung seiner Vorschläge erforderlichen Euros bereitzustellen, tut sich leichter als Bürgermeister, Gemeinderäte und Verwaltung zusammen. Die würden sofort beim Wort genommen, wenn sie mal laut zum Beispiel von einem Indoor-Spielplatz im Gewerbegebiet träumen würden.

Und so fasste sich mittendrin der SPD-Marktgemeinderat Josef Haas ein Herz, um darauf hinzuweisen, dass etwa die Forderung des Arbeitskreises Wirtschaft, Hirschaid solle 2030 schuldenfrei sein, nicht so recht in Einklang zu bringen ist mit all dem, was da an famosen Ideen auf die Großleinwand gebeamt worden ist. Haas sieht denn eher ein Blendwerk in den Zielen dieses Arbeitskreises, "mehr Illusion als Vision". Und musste sich prompt eines Besseren belehren lassen: AK-Leiter Dirk van Elk, ein überregional operierender Unternehmensberater, gab einen Schnellkurs in zeitgemäßem Management.

Die Quintessenz: Hirschaid ist nicht schlecht aufgestellt, macht aber zu wenig aus sich. Besser wird die Situation mit beherztem Unternehmungsgeist. Zu dieser Einsicht kamen auch die anderen fünf Arbeitskreise mit weit über 100 engagierten Ratgebern aus der Bürgerschaft. Wenn selbst nur ein Teil der Vorschläge umgesetzt wird, wird Hirschaid noch lebens- und liebenswerter. Davon äußerte sich Bürgermeister Andreas Schlund (CSU) am Ende der harmonisch verlaufenen Veranstaltung überzeugt.

Kultur

Barbara Krebs stellte das Ergebnis des Arbeitskreises "Kultur" unter das Leitwort: "Bewahren, fördern, beleben". Großer Handlungsbedarf wird für die Bücherei in Sassanfahrt gesehen, während im Schloss Sassanfahrt nicht nur eine "Filiale des Rathauses", zumindest für standesamtliche Hochzeiten, reift. Das Baudenkmal, das gerade saniert wird, böte sich auch für "Welcome-Veranstaltungen" an, um neue Hirschaider mit ihrem Wohnort vertraut zu machen.

Eine große Bedeutung misst der Arbeitskreis Kultur der anvisierten Sanierung der ehemaligen Judenschule an der Nürnberger Straße bei. Das vielleicht älteste Wohnhaus Hirschaids soll ein Dokumentationszentrum zur Erinnerung an die von den Nazis ausgelöschte jüdische Gemeinde werden. Für Hirschaid schlug der AK ein Bürgercafé vor, einen Treffpunkt für Jung und Alt. Bei den kulturellen Angeboten wurde "zu viel Vielfalt und zu wenig Koordination" festgestellt.

Es mangele an einer Buchungsstelle, an Terminabsprachen, beklagte Barbara Krebs und empfahl die Beschäftigung eines Kultur- bzw. sogar eines Citymanagers. Auf der Wunschliste finden sich Angebote für den Familiensport, ein Badesee, eine Eislaufbahn oder auch ein Kneipp-Becken.

Soziales Leben

Einige Defizite deckte der Arbeitskreis "Soziales Leben und Generationen" auf. Dessen Sprecherin Margit Nun wies auf Schwierigkeiten hin, die die 13 Prozent Behinderten unter den 12 000 Gemeindebürgern in Hirschaid häufig zu überwinden hätten. Als Manko nannte sie das Fehlen von Obdachlosenunterkünften, das aber bei 128 leer stehenden Häusern in der Gemeinde zu beheben sein müsste. Um alle vier Generationen einer Dorfgemeinschaft zusammenzubringen, fehlen in Hirschaid ein "Mehrgenerationen- oder Bürgerspielplatz" sowie ein "Mehrgenerationen- oder Bürgerhaus".

In zentraler Lage, nahe einem Parkplatz und vielleicht im Zusammenwirken mit dem "Netzwerk e. V.", der VHS-Außenstelle sowie einem Quartiersmanager könnte ein lebhaftes Bürgerzentrum entstehen. Der AK hatte sogar eine Idee, wo: "Der alte Super 2000 wäre dafür gut geeignet," ließ die Sprecherin durchblicken. Die Gemeinschaft stärken, neue Bürger besser integrieren müssten die Ziele im Sozialbereich sein.

Wirtschaft

Dem schon erwähnten Arbeitskreis "Wirtschaft" geht es um die Standortsicherung, den Zuzug junger Familien, die Ansiedlung von Gewerbe und Industrie und die Erhöhung des Freizeitwertes. Als AK-Sprecher verwandte sich Dirk van Elk für die Einführung eines zuverlässigen Risikomanagements in Finanzverwaltung und Projektcontrolling. Einsparpotenziale müssten konsequent genutzt werden.

Van Elk brannte im Stile eines Unternehmensberaters ein Feuerwerk an Vorschlägen ab, deren Umsetzung nicht zwingend zur finanziellen Belastung der Gemeinde führen müsste. Die Stärkung der Wirtschaft beginne zum Beispiel mit einem dynamischen Ortsverein des Bundes der Selbstständigen, der vom Standortmarketing zum zentralen Einkauf, vom Personalmanagement bis zur Buchhaltung für kleine Unternehmen so manches organisieren könne. Eine Immobiliendatenbank könnte helfen, Leerstände abzubauen; ein Zentrum für Forschung, Entwicklung und Existenzgründung im Bereich Zukunftstechnologie könnte Hirschaid ein neues Standbein bescheren. Weitere Perspektiven des Arbeitskreises Wirtschaft: Eventmanagement, Mittelstands-Dienstleistungszen

trum, Kfz-Service-Center, Schließung von Lücken im Facharztbereich. Die zentrale Lage Hirschaids zwischen Fränkischer Schweiz und Steigerwald, Bamberg und Nürnberg sollte für die Steigerung des Freizeitwertes genutzt werden, empfahl van Elk. Das beginnt mit der Optimierung der Übernachtungsmöglichkeiten und reicht bis zum Indoor-Spielplatz, wo sich die Kinder bei jedem Wetter tummeln können, während die Eltern in Hirschaid ihre Großeinkäufe tätigen. Nach einer deutlichen Verbesserung des Wohnraumangebotes würde es sich für die Marktgemeinde sogar lohnen, mit einem Messestand durch die Lande zu ziehen und für Hirschaid zu werben - um neue Bürger oder neue Unternehmen.

Energie

Der Arbeitskreis "Energie" hat unter dem Gesichtspunkt, dass die Gemeinde jährlich rund eine Million Euro für Wärme und Strom ausgibt, nach Einsparmöglichkeiten geforscht - und solche gefunden. Die Sprecher Sebastian Frank und Friedrich Enkert empfahlen den Bau eines Blockheizkraftwerkes für den Wärmeverbund Frankenlagune, zu dem unter anderem das Hallenbad, die Sauna, das Restaurant und der Hirschaider Schulkomplex gehören.

Dabei wäre es von Vorteil, nicht nur die erzeugte Wärme, sondern auch den Strom selbst in diesen Einrichtungen zu verbrauchen und den Überschuss zu verkaufen. Oder: Wenn die Durchleitungsfrage geklärt ist, könnten die voraussichtlich übrigen 500 000 Kilowattstunden im Klärwerk verbraucht werden. Die Kläranlage selbst könnte mit Hilfe der Faulgasnutzung in Kombination mit einem Blockheizkraftwerk zum Wärme- und Energielieferanten werden. Das Einsparpotenzial in 15 Jahren bezifferte der AK mit rund vier Millionen Euro.

Vielerorts, auf öffentlichen und gewerblichen Flächen, böten sich noch Möglichkeiten der Wind- und Solarnutzung, machte Sebastian Frank deutlich. Hirschaid könne das Ziel, bis 2035 energieautark zu werden, verwirklichen. Auch durch den Kauf von Elektro-Fahrzeugen sollte die Gemeinde mit gutem Beispiel vorangehen.

Verkehr

Der Arbeitskreis "Verkehr" bestätigt dem Gemeinderat, dass eine nachhaltige Verkehrsentlastung Hirschaids hauptsächlich durch den Neubau einer Ost-Umgehung von der Staatsstraße südlich dem Hotel Göller zur Autobahnanschlussstelle erreicht werden kann. Darauf könnten täglich bis zu 9500 Fahrzeuge umgelenkt werden.

Anwohner der Nürnberger- und Bamberger Straße beklagten sich zunehmend über mautflüchtige Lastwagenfahrer, vor allem in den Abend- und Nachtstunden, berichtete Ralf Micklin. Darüber hinaus würden die Innerortsstraßen stark durch Quell- und Zielverkehr belastet. Die Pendlerströme führten in den Stoßzeiten zu Verkehrsstaus. Abhilfe könne hier, so der AK-Sprecher Micklin, der Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs schaffen. Dazu zählt der Arbeitskreis den "Gämaaflitzer", der mit einer Variante "Flexi Plus" aufgewertet werden soll. Neben detaillierten Vorschlägen zum Umbau von Verkehrskreiseln oder Anlegung von Grün- und Mittelstreifen zur Entschleunigung beschäftige sich der Arbeitskreis Verkehr auch mit dem Ausbau der ICE-Strecke.

Man sieht Hirschaid eng an das Bamberger Konzept geknüpft: Kommt für Bamberg eine östliche Umgehung, dann müsse die Trasse auch an der Autobahn entlang bis Forchheim geführt werden. Andernfalls verlangt Hirschaid den Ausbau der jetzigen Strecke mit dem größtmöglichen Lärmschutz, am besten durch Tieferlegung der Gleise im Ortsbereich.

Ortsbild

Hans-Joachim Schumm informierte, worum es dem Arbeitskreis "Landschaft, Ortsbild, Siedlungsentwicklung" geht: um eine nachhaltige Flächennutzung. Es gelte, die vorhandene Infrastruktur besser zu nutzen, darauf zu achten, dass sich Neubaugebiete rasch refinanzieren und dass ökologisch wertvolle Flächen wie etwa das ehemalige Vogt-Gelände in Friesen nicht bebaut werden.

Hinsichtlich der Ausweisung von Neubaugebieten riet der Arbeitskreis generell zur Zurückhaltung: Angesichts von 25 Hektar erschlossenem Bauland habe die Innerortsentwicklung Vorrang. Sogar im kleinen Ortsteil Friesen hat der AK 20 freie Bauparzellen aufgespürt. Der Neubert-See könnte als Badegewässer genutzt werden, wenn sich die hygienischen Verhältnisse im Umgriff verbessern ließen. Ein weiteres Naturbad sei in der Regnitzschleife südlich von Sassanfahrt denkbar. Allerdings werden dort noch Bodenschätze ausgebeutet.

Durch fachgerechte Pflege des öffentlichen Grüns, Patenschaften für Bäume, eine Baumschutzverordnung, die Einschränkung von Werbetafeln, einen Masterplan für die Beleuchtung oder auch eine bessere Beschilderung der Radwege ließen sich Fortschritte für Natur- und Umwelt erreichen. Der Arbeitskreis hatte auch einigen Handlungsbedarf auf den "Nebenflächen" entdeckt: Die Container-Standorte, das Bahnhofsareal und so mancher unzureichend begrünter Parkplatz sind negativ in Erinnerung geblieben.

Schumm richtete das Augenmerk ferner auf die Ortsränder. Sie sollten einladender gestaltet sein, aber auch einen harmonischen Übergang von Siedlungsbereichen zur freien Natur darstellen. Im Interesse des Ortsbildes müsse auf den Erhalt wertvoller Bausubstanz geachtet und vor allem im Hirschaider Altort für mehr öffentliches Grün gesorgt werden.

Zur Verschönerung und nicht für die Hinterlassenschaften der vierbeinigen Mitbewohner! "Ausreichend Mülltüten und Abfallgefäße bereithalten, für die am anderen Ende der Hundeleine!" forderte Schumm im Angesicht der ärgerlichen Hundehaufen. Umweltschutz fängt eben ganz klein an.

Steuerung

Und Hirschaid geht auf große Fahrt: Als nächstes beschäftigen sich die Städteplaner mit den Vorschlägen der Bürger und bringen sie mit ihren Überlegungen in Einklang. Dann liegt es am Gemeinderat, Hirschaids Erfolgskurs zu steuern. Und am Ruder steht ab Mai nächsten Jahres nicht mehr Andreas Schlund.