Druckartikel: Henker, Hofnarren und ein Heiliger mit Hinkefuß

Henker, Hofnarren und ein Heiliger mit Hinkefuß


Autor: Petra Mayer

Bamberg, Mittwoch, 12. Dezember 2012

Gruselig sind manche Episoden, andere zum Schmunzeln. Langweilig wird die Lektüre bei "Bamberger Männergeschichten" aber sicher nicht, die Schicksale aus zwölf Jahrhunderten erzählt. Unser Geschenktipp im Advent.
Die Hinrichtung einer Nürnbergerin, wie sie die Chronika der löblichen kaiserlichen Reichsstadt darstellte. Der aus Bamberg stammende Scharfrichter Franz Schmidt ging in der fränkischen Stadt zu jener Zeit seinem blutigen Gewerbe nach. Unfreiwillig.  Fotos: Heinrichs-Verlag


Hinkefuß nannte man ihn zu Lebzeiten und verspottete den "lahmen" Heinrich. Ja, vom Bistumsgründer ist hier die Rede, dem letzten Kaiser der Ottonen, der durchs Leben wie der Leibhaftige humpelte. So brauchte man einige Raffinesse, um den verstorbenen Herrscher heilig sprechen zu lassen, wie Christine Freise-Wonka in "Bamberger Männergeschichten" berichtet. Eine passende Legende aber verwandelte das Zeichen des Bösen in eine göttliche Gabe, was Skeptiker verstummen ließ.


Originelle Randaspekte


Nein, mit trockener Geschichtsschreibung haben die 232 Seiten der Neuerscheinung nichts gemein. Statt wie andere Autoren um trockene Zahlen und Fakten zu kreisen, punktet Freise-Wonka mit Witz und einem ausgeprägten Sinn für originelle Randaspekte.

Darum wandert ihr Werk, das Fenster in elf vergangene Jahrhunderte öffnet (ohne zu langweilen), auch in die Reihe unserer Geschenk-Tipps. Zumal sich die Kunsthistorikerin in "Bamberger Männergeschichten" keineswegs nur mit geistlichen und weltlichen Herrschern befasst, wie sie wieder und wieder beschrieben wurden. Sie widmet sich ebenso dem einfachen Volk, über das sich die meisten Kollegen mangels Quellen bekanntlich ausschweigen.


Dem Narr einen Einlauf gegeben


Betrachten wir den Hofnarren Peter Porsch, der einem manches über seinen wenig spaßigen Broterwerb erzählen könnte. Aus bitterarmen Verhältnissen stammend, stieg der Waisenjunge im 18. Jahrhundert vom Hütebub zur einflussreichen Persönlichkeit auf, die vom Papst und Marie Antoinette empfangen wurde. Welche Demütigungen aber hatte der "geachtete Hofnarr" deutscher Fürstenhäuser über sich ergehen lassen: Man "feuerte" ihn "an", bis Porsch beinahe in Flammen aufging. Man klistierte den Ärmsten, der die adelige Langeweile mit Duldsamkeit ebenso wie seinem komischen Talent vertrieb. In eigenen Aufzeichnungen beschrieb der ergebene Diener des Fürsten von Seinsheim, wie er bei einem Diner neben dem Juden Nathan Fischerl bäuchlings auf einer Tafel landete: "Ich wurde mit kaltem, der Jud' mit warmen Wasser bedient. Au weh! Wie schrien wir, da alle übrigen in ein lautes Gelächter ausbrachen."


Kindsmörderinnen ertränkt


"Meister Franz", der Scharfrichter, lebt in "Männergeschichten" auf: Ein mitfühlender Mensch, der sich im 16. Jahrhundert gegen grausige Hinrichtungsmethoden wie das Ertränken von Kindsmörderinnen wandte. Gerade das Beispiel des human denkenden Henkers, der sein blutiges Handwerk vom Vater erbte, zeigt die Doppelmoral, mit der man Menschen in jene Rolle drängte und zugleich verurteilte. Zum Verlust der bürgerlichen Ehre führte jeder Kontakt mit dem Scharfrichter, dessen Nachkommen keine Zunft aufnahm. Wie aber johlten die Schaulustigen, wenn wieder ein Verurteilter zum Richtplatz geschleift, gerädert oder gevierteilt wurde, wovon Franz Schmidt ebenfalls berichtete.


Im Stollen verschollen


Natürlich dürfen unter über 60 Protagonisten, deren Leben die Kunsthistorikerin beleuchtet, Prominente wie Thomas Dehler, Hans Ehard, Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Georg Wilhelm Friedrich Hegel und E.T.A. Hoffmann nicht fehlen. Wir aber widmen uns an dieser Stelle weiter jenen, deren Namen in keiner Festschrift und keiner Jubelrede zu den großen Söhnen der Domstadt erscheinen. Wer macht sich schließlich die Mühe, an einfache Arbeiter wie Jakob Körner zu erinnern, den Sandschürfer vom Kaulberg? Dabei illustrieren solche Geschichten den Alltag vergangener Jahrhunderte mehr als jeder Bericht aus Herrscherhäusern. So wenden wir uns also dem letzten Sandmann zu, der im 19. Jahrhundert ein tristes Dasein fristete - und mit Hoffmanns Monster, das Kindern nachts die Augen raubt, wenig gemein hatte. "Wie die Maulwürfe gruben sich die Schürfer Gänge in den Berg", berichtet Christine Freise-Wonka. Bis moderne Putzmittel den Scheuersand zu ersetzen begannen und sich der Abbau erübrigte. Ein 68-jähriger Bamberger aber stieg weiter Tag für Tag in die "einsamen, dunklen und stillen Stollen". Während die Kinder den Sandmann fürchteten, der mit nackten Füßen über das Pflaster schlurfte und seinen kleinen Wagen zog. "Das schauerliche Schleifen der ledergegerbten Fußsohlen jagte ihnen Angst ein", schreibt die Autorin. Bis der letzte Sandgräber in einem acht Meter tiefen Stollen unter dem Anwesen Oberer Kaulberg 19 sein Ende fand. Erschlagen von einem herabfallenden Stein des Kellerfundaments.


Erster orthopädischer Schuh


Zuletzt noch die Geschichte, die man Heinrich II. ein Jahrhundert nach seinem Tod zwecks Heiligsprechung andichtete. Demnach berührte Erzengel Michael das Bein des Bistumsgründers, der freudig das Zeichen des Friedens und seiner göttlichen Berufung empfing, fortan aber hinkend durchs Leben ging. Politik des 12. Jahrhunderts. Übrigens trug Heinrich Freise-Wonka zufolge auch den "ersten nachweislichen orthopädischen Schuh". Mittels Keil erhöhte man eine Sohle, wie bei der Darstellung des Kaisers am Adamsportal des Doms unschwer zu sehen ist.