Bosch, Brose, Michelin: Hiobsbotschaften erschüttern die Zulieferbetriebe in der Stadt und dem Landkreis Bamberg - und damit die gesamte regionale Wirtschaft. Zwei Fachmänner diskutieren, ob diese Abhängigkeit vermeidbar wäre.
Das Erdbeben in der Automobilindustrie lässt die großen Säulen der Bamberger Wirtschaft wackeln. Die Krise trifft die Top-Firmen in der Region. Erst kündigt der mit 7300 Stellen größte Arbeitgeber Bosch an, massiv Personal abbauen zu müssen. Dann folgt die Nummer 3: Brose will sich deutschlandweit von 2000 Mitarbeitern trennen - 400 der 2200 Arbeitnehmer in Bamberg und Hallstadt sind betroffen. Bei Michelin in Hallstadt gehen die Lichter ganz aus - 860 Beschäftigte könnten ihre Jobs verlieren. Und bei Schaeffler, mit 1400 Mitarbeitern allein in Hirschaid, wird Kurzarbeit ausgerufen. Bamberg bildet also zweifellos ein Epizentrum des Erdbebens in der Automobilindustrie. Mindestens 40 Unternehmen sind in Stadt und Landkreis als Zulieferer in der langen Produktionskette aktiv. Rund 20 000 Arbeitsplätze hängen direkt oder indirekt am Auto - jeder fünfte Arbeitsplatz.
Diskussion der Fachleute
Und wie immer bei Erdbeben gibt es Streit über die Frage, ob es vorhersehbar war. Hätte man die seismographischen Schwingungen früher erkennen können? Hätte man besser reagieren können? War nicht absehbar, dass sich die Wirtschaft zu stark an den Verbrennungsmotor klammert? Konkret: Hat man in Bamberg die Entwicklung verschlafen, um sich breit aufzustellen, und sich dadurch zu abhängig von der Automobilindustrie gemacht?
Diese Fragen sind Tagesgespräch in Bamberg. Wir haben sie zwei Fachmännern gestellt, die dazu ganz unterschiedliche Meinungen vertreten.
Stefan Goller ist Referent für Wirtschaft, Beteiligungen und Digitalisierung der Stadt Bamberg. Der promovierte Diplomkaufmann verfügt über langjährige Erfahrung im Wirkungsfeld der Wirtschaft. Laut Stadt war er zum Beispiel mitverantwortlich für die erfolgreiche Ansiedlung der Firma Brose. Für Goller ist Bamberg weiter die Lokomotive der oberfränkischen Wirtschaft. Die Autofirmen nennt er einen "Glücksfall" für die Stadtentwicklung.
Heribert Trunk ist Logistikunternehmer und ehemaliger Präsident der Industrie- und Handelskammer (IHK) für Oberfranken. Der geschäftsführende Gesellschafter der BI-LOG Service Group gilt als scharfer Kritiker der Bamberger Wirtschaftspolitik. Um die Problematik auf den Punkt zu bringen, bedient er sich eines Witzes: "Wo gehen Sie hin, wenn morgen die Welt untergeht?" Antwort: "Nach Bamberg! Wohin sonst?" Nachfrage: "Und warum?" Antwort: "Weil dort alles zehn Jahre länger dauert!" Diesen scherzhaften Dialog haben sich laut Trunk mittlerweile viele führende Kommunalpolitiker Bambergs zu Eigen gemacht. Ein Beispiel: Der Regionale Busbahnhof schon zur Landesgartenschau 2012 verwirklicht sein. Im aktuellen Wahlkampf sollte es aus Trunks Sicht stärker um Inhalte gehen. Konzepte, etwa für ein Technologie-Transfer-Zentrum, lägen bereits vor - man müsse sie nur anpacken.
PRO von Heribert Trunk: Mehltau hat sich über die Entwicklung dieser früher so innovativen Stadt gelegt. Die "Klumpenrisiken" der Auto- und Maschinenbauindustrie wurden schon vor Jahren vom Zukunftsrat der bayerischen Wirtschaft ausgemacht. Leistungsfähige Investitionen für den ÖPNV blieben aus, stattdessen wurden riesige Flächen erneut für Automobilzulieferer freigemacht. Ein Großteil der Flächen wird nun brachliegen und sollte aus Gründen der Fairness, weil die Stadt einen zweistelligen Millionenbetrag "draufgelegt" hat, für Wohnungsbau verwendet werden, damit man endlich wieder "in Bamberg leben kann". Was meine ich damit? In Bamberg arbeiten ist kein Problem, denn die Arbeitsplätze übersteigen die Nachfrage derer, die in Bamberg wohnen und leben können, deutlich. Dies führt dazu, dass jene Steuerkraft aus der Arbeitsleistung nicht in die Stadt, sondern weitestgehend ins Umland fließt. Der Niedergang der Stadtfinanzen ist selbst über die Verlagerung auf die städtischen Töchter nicht mehr kaschierbar. Das macht dringende Zukunftsinvestitionen für bezahlbaren Wohnraum, Angebote für Kinder und Schulen unmöglich. Die Bamberger waren sich einig, dass der historische Fehlschuss der Gebietsreform in den 70er-Jahren nicht zu toppen sei! Die Agonie bei der Jahrhundertchance Konversion war jedoch ein noch deutlich größerer Fauxpas. Statt Wohnungen bekam man ein Abschiebezentrum. Die Chance der qualifizierten Migration wurde vertan zu Gunsten von Menschen, die Bamberg nur so erleben, dass man sie so schnell wie möglich loshaben möchte! Die Ideen der Kammern, über Technologietransferzentren dem Freistaat einen Ausgleich abzufordern, wurden weitestgehend verschlafen, weil man auf traditionelle Industrien setzte. Eine vernünftige Entwicklung von Gewerbeflächen soll gegen die berechtigten Interessen der Natur in der Muna durchgesetzt werden und ist erfreulicherweise gescheitert. Bemühungen des Freistaats, das Gebiet nördlich der B 26 mit der Stadt zu entwickeln, wurden ähnlich wenig forciert, wie die notwendige Aufwertung der Innenstadt.
CONTRA von Stefan Goller: Stadt und Landkreis Bamberg haben viele Jahre von der Investitionskraft und der hohen Beschäftigung der Automobilzulieferer in der Region profitiert. Insofern waren Ansiedlungen wie die der Firma Bosch vor vielen Jahren oder jüngst der Firma Brose für Bamberg und die heimische Wirtschaft echte Glücksfälle und Erfolge. Doch darauf ruhen wir uns nicht aus. Die Zahl der Beschäftigten in der Stadt steigt kontinuierlich auf zuletzt über 54 000 Menschen. Damit ist Bamberg die Lokomotive der oberfränkischen Wirtschaft. Neue Arbeitsplätze werden dabei vor allem von erfolgreichen kleinen und mittelständischen Unternehmen verschiedenster Branchen geschaffen. Die Wirtschaftsförderung stärkt seit vielen Jahren aktiv die Diversifikation der Unternehmenslandschaft in Bamberg. Hierbei setzen wir erfolgreich auf Zukunftsbranchen wie Informationstechnik und Gesundheit: Unsere IT-Dienstleister mit über 2000 Beschäftigten prosperieren. Die knappen Flächenressourcen wurden gezielt für neue Ansiedlungen und Erweiterungen in diesem Bereich genutzt. Mit dem Digitalen Gründerzentrum - genannt "Lagarde1" - im Bamberger Osten schaffen wir konkrete Angebote für Existenzgründungen der Digitalbranche und fördern zugleich das notwendige Gründerökosystem. In unserer anderen Fokusbranche Gesundheit verzeichnen wir inzwischen über 9000 Beschäftigte. Mit dem neuen "Medical Valley Center Bamberg", das hochinnovative Unternehmen aus den Bereichen Infektionsprävention, Digitalisierung und Telemedizin unter einem Dach vereint, haben wir auch hier wesentliche Weichen für die wirtschaftliche Zukunft gestellt. Wir tun also beides: Bestmögliche Unterstützung unserer Automobilzulieferer bei der Bewältigung des aktuellen Transformationsprozesses, um bestehende Arbeitsplätze zu sichern. Und gleichzeitig Nutzung aller zur Verfügung stehenden Instrumente, um neue und zukunftssichere Arbeitsplätze in Bamberg zu schaffen.
Schön wäre, wenn Bamberg sich nicht die Möglichkeiten der Industrieansiedlung hätte, von ein paar Spinnern der BI Muna und den Grünen, nehmen lassen.