Großbirkachs Konturen gewinnen von Woche zu Woche
Autor: Anette Schreiber
Großbirkach, Samstag, 15. Oktober 2011
Hans Ziegelmeier und Reinhard Schierer sind für Dorfbewohner vor Ort, um mit Fachleuten Details zu klären.
Die blaue Mappe ist immer dabei. Hans Ziegelmeier hat sie so unter den Arm geklemmt, dass sie fast wie ein Teil von ihm selbst wirkt. Mindestens einmal wöchentlich schnappt sich der Pensionär das gute Stück - um abzugleichen, ob das in der Mappe mit dem in der Realität draußen übereinstimmt. Auch für Reinhold Schierer ist es ganz selbstverständlich, dass sein Vorstands-kollege die Mappe mitbringt. Deren Inhalt: Die Dorferneuerung Großbirkachs. Jede Woche ist in dem zur Baustelle gewordenen Ebracher Gemeindeteil einmal ein Termin, bei dem die Beteiligten die nächsten Schritte absprechen.
Ziegelmeier und Schierer gehören zum Vorstand der Teilnehmergemeinschaft, die für die Umsetzung von Flurbereinigungs- und Dorferneuerungsverfahren zuständig sind. Neben den Großbirkachern gehört diesem Organ die Projektbetreuerin vom Amt für Ländliche Entwicklung, Planer Wolfgang Müller, Baufirmenchef Kasper und Bürgermeister Max-Dieter Schneider (SPD) an. Auf den warten Schierer und Ziegelmeier vor der Kirche. "Der ältesten im Steigerwald", merkt Ziegelmeier stolz an. Der Kirchenumgriff soll ein Schmuckstück werden, sind sich die Großbirkacher einig. Und: "Das Pflaster haben die super hingekriegt", bescheinigt Fachmann Schierer, er ist Mitarbeiter des gemeindlichen Bauhofes und somit, was Bauliches betrifft, vom Fach. "Malta Quartett, koloriert", fügt Ziegelmeier hinzu. Er hat die blaue Mappe kurz aufs Pflaster gelegt hat, und fährt mit der Hand sachte darüber. "Glatt und eben", nickt Schierer zustimmend. Scharfe Kanten wählten die Großbirkacher aus, statt der gebrochenen, damit das Ganze pflegeleichter wird. Die Konturen des Busparkplatzes sind bereits gut zu erkennen, ebenso die hinter die Hecke verlegten Parkplätze für Autos, damit der Platz vor der Kirche größer und somit für Veranstaltungen bei der Johanniskirche besser zu nutzen ist, führen die beiden stolz aus. Zur Verdeutlichung holt Ziegelmeier den Plan aus der blauen Mappe, Papier gewordenes Ergebnis vieler Überlegungen. Jetzt muss noch die Tragschicht auf die kleine Straße hoch zur Kirche. Den Parkplätzen fehlt noch die oberste Schicht.
Von dem Kirchlein auf der Höhe wandern die zwei Herren hinunter in den Ort. Schritt für Schritt wird es lauter, Baumaschinen bestimmen die Geräuschkulisse im Kleinbirkacher Weg. Der hat seinen neuen Unterbau erhalten, Bord- und Rinnensteine sind verlegt, auf der rechten Seite entsteht ein Gehweg und man trifft wieder auf Vertrautes - Malta-Pflaster. Vor den Häusern frisst sich die Flex durch überstehende Steinkanten. Schierer und Ziegelmeier gehen mit dem Stolz der Kreativen über die Baustelle. Ziegelneier weiß, er läuft auf Teilen dessen, was er maßstabsgetreu unterm Arm trägt. "Petra, gell gibst ihm" - er deutet auf einen Arbeiter - "einen Kaffee", grüßt er eine Anwohnerin, die eben das vorhat. "Das Verhältnis zu den Mitarbeitern der Baufirma ist super", sagt Schierer. "Die haben auch Nüsse von uns bekommen", merkt Schierer an. "Hier hat der Frost nicht so zugeschlagen", meldet sich der Bürgermeister zu Wort. Die kleine Kommission macht sich ein Bild vom Fortschritt seit der vorherigen Woche.
Wort gehalten
Beim Wahlkampf vor seiner ersten Amtszeit habe Schneider den Großbirkachern versprochen sich um die Wiederaufnahme des Flurbereinigungsverfahrens zu kümmern, erklärt Ziegelmeier. Wiederaufnahme? Ziegelmeier verdreht die Augen. 1976 kam der gebürtige Schwabe über seine Frau in den Ort. Wenig später war die Flurbereinigung angelaufen, aber in den 80ern hatten die kleineren Landwirte Angst, dass sie in dem Verfahren "überfahren werden würden", so Ziegelmeier. Alles schaukelte sich irgendwie hoch bis zum Petitionsausschuss. In den 90ern wurde alles eingestellt. Ziegelmeier gehörte damals zu den in einer Bürgerinitiative organisierten Gegnern, Schierers Vater war auf der Seite der Befürworter. Um die Jahrtausendwende hatte sich die Situation entspannt. Weil der Gemeindeteil mit seinen 60 Einwohnern neue Wasser- und Abwasserleitungen erhalten sollte, die Straßen somit aufgerissen werden mussten, kam der Gedanke auf, dass man dabei dann gleich den Ort attraktiver neu gestalten könnte. Die Dorferneuerung schien hier ein probates Verfahren, auch wegen der Fördermittel, fassen Ziegelmeier und Schierer zusammen. Vor diesem Hintergrund sprachen die Großbirkacher den Bürgermeisterkandidaten Schneider an. Der wurde 2002 Bürgermeister und hielt Wort. 2004 fand der erste Dorferneuerungstermin statt, danach wurde das Verfahren beantragt, nun Dorferneuerung und Flurbereinigung. Aus dem einstigen Gegner Ziegelmeier war ein Befürworter und sogar ein Mitglied der Vorstandschaft geworden.
Gemeinsam erarbeiteten die Großbirkacher dann ein Konzept, um ihren Ort für die Zukunft attraktiv zu gestalten. Viele Detailpläne hat Ziegelmeier in seine blaue Mappe gesteckt und wieder in den großen schwarzen Ordnern abgelegt - "um den Verlauf zu dokumentieren".
"Die Großbirkacher haben sich viele Gedanken gemacht", lobt Bürgermeister Schneider, während die Kommission Richtung Kirche läuft. "Der Baum da", Schneider deutet auf die Kastanie, "kann nur dank der Dorferneuerung erhalten werden". Ziegelmeier und Schierer nicken zustimmend. Den daneben befindlichen alten Brunnen möchte die Dorfgemeineschaft reaktivieren, erlebbar machen und Sitzsteine anlegen. Erneuert werden die Steine auf dem Weg zur Kirche ebenso wie der Weg selbst. Die Planung sieht außerdem die Neuanlage eines kleinen Dorfplatzes beim Spielplatz vor. "Aber da können wir heute noch nichts zeigen", sagt Schierer. Bis nächstes Jahr jedoch sollen die 600 000 Euro teuren Dorferneuerungsmaßnahmen fertig sein, die Flurbereinigung dauert noch etwas länger, aber zum Glück herrscht hier Einigkeit, freut sich Ziegelmeier.
Am Vorplatz vor der Kirche wird seine blaue Mappe gebraucht, um die Pläne mit dem Istzustand zu vergleichen. "Welche Farbe ihr für den Belag vom Vorplatz wollt, müsst ihr selbst entscheiden", erklärt der Bürgermeister. Kein Problem signalisieren Schierer und Ziegelmeier. Bis zum Termin nächste Woche hat seine blaue Mappe nun Pause.