Gold als Krankheit des Herzens
Autor: Rudolf Görtler
Bamberg, Freitag, 01. Februar 2019
Die freie Truppe von "Wildwuchs" macht aus der (Geld-)Not eine Tugend und aus Molières "Geizigem" eine schrille Groteske.
So viel Aufrichtigkeit erlebt man selten. Der Programmzettel verzeichnet nicht nur die sechs gespielten Rollen (von drei Schauspielern), sondern auch die gestrichenen - und das sind viele. Auf dem Titel heißt es ehrlich "nach Molière", und eine Interpretationshilfe gibt es auch noch. Nach einer korrekten Inhaltsangabe des Originals heißt es lapidar: "Der Großteil dieser Handlung wurde gestrichen oder übermäßig verfremdet."
Wohl wahr. Halt, zwei Klassiker-Zitate im Programm führen hin zum Stück. Einmal Lenin, der von goldenen Toiletten nach der Weltrevolution träumt. Was aus solchen Träumen geworden ist, wissen wir. Dann der Marx des "Kapitals": "Der Schatzbildner opfert daher dem Goldfetisch seine Fleischeslust." Ein Satz, der zum Ausgangspunkt für Spekulationen über den autoritären (Adorno) bzw. analen (Freud) Charakter geworden ist.
Bis ins Groteske
Das muss man alles nicht wissen, um in der "Wildwuchs"-Bearbeitung von "Der Geizige", die in den Haas-Sälen zu sehen ist, einen Mordsspaß zu haben. Regisseur Frederic Heisig hat Grundmotive des Dramas von 1668 benutzt, auch einige Szenen durchaus textgetreu behalten, um den Stoff weiter- und überzudrehen in eine im Verlauf der Handlung zunehmend ins Groteske lappende Reflexion über Geld und was es mit den Menschen anrichtet.
Damals, als der Geizige einem adligen Publikum als Karikatur des Bürgers diente und heute in Zeiten der Selbstoptimierung. Harpagon (Johannes Haussner), der Geizige, ist eine klassische Komödienfigur - wobei schon Goethe sich nicht entscheiden konnte, ob er es mit einer Komödie oder Tragödie zu tun hatte -, ein analer und autoritärer Charakter par excellence. Haussner als etwas schmuddliger Späthippie spielt ihn als die lächerliche Figur, die er ist. Cléante, Valère und Meister Jacques verkörpert alle Daniel Reichelt, während die Frauenfiguren Elise und Mariane ("aus dem Plattenbau") Kristina Kroll spielt. Die Bühne mit goldener Toilette und floral bedrucktem Wandschirm besorgte Johannes Haussner, für die zeitgenössischen Barock karikierenden Kostüme war Lena Lorang zuständig.
Wild und witzig
Es gelingen den Dreien, die aus der mehrmals angesprochenen Geldnot kleiner Theater eine Tugend machen, indem sie sich auf Spielfreude und -witz zurückbesinnen, schöne, lustige Szenen. Wie die Mariane Kristina Krolls mit russischem Akzent spricht, wie Harpagon Geldscheine aus der Toilettenschüssel holt, wie die Personen sich mit Etikettiermaschinen markieren: So viel ist jedes Körperteil wert! Höhepunkt ist ein Tanz ums goldene Kalb, das auch leibhaftig auf der Bühne steht, Bibel-Zitate inklusive, halt wild, der Kalauer sei erlaubt, wildwüchsig. Das Happy End der Vorlage wird ruiniert, verkündet eine Stimme aus dem Off. Nicht ruiniert ist dieser "Geizige", das Experiment einer kleinen, engagierten Truppe. Das Experiment hat viele gerade auch junge Zuschauer verdient.
Weitere Vorstellungen: 2., 15. Februar, 1., 2. März, Haas-Säle, Ob. Sandstr. 7 Karten: Buchhandlung Collibri, Austraße 12, bvd, Lange Straße 39, Telefon 0951/98082-20
Dauer ca. 90 Minuten, eine Pause