Messerattacke in Bamberg: Situation in der Tatnacht stellt sich anders dar
Autor: Gertrud Glössner-Möschk
Bamberg, Donnerstag, 01. Sept. 2016
Nach Ende des siebten Verhandlungstages stellt sich der Ablauf der Bluttat vom 26. Juni 2015 für den Angeklagten deutlich ungünstiger dar.
"Jetzt hat er sich ein gewaltiges Eigentor geschossen." Das war die spontane Reaktion von Rechtsanwalt Dieter Widmann auf das überraschende Ende des siebten Verhandlungstages im Mordprozess gegen den 36-jährigen Bamberger Alexander L. Dieser hat am 26. Juni 2015 im Treppenhaus seines Elternhauses in der Langen Straße einen Maurer niedergemetzelt und getötet.
Gemünzt war die Äußerung des Nebenklägervertreters auf L.s Verteidiger Klaus Bernsmann - mit dem Widmann im sogenannten Chefarzt-Prozess zur Riege der Verteidiger gehört. Gestern hatte Bernsmann nach dem psychiatrischen Gutachten von Dr. Christoph Mattern wissen wollen, wie sein Mandant den Tatablauf bei der nervenärztlichen Untersuchung geschildert habe.
Warum nicht der direkte Weg?
Bis Mittwoch konnten die Prozessbeteiligten davon ausgehen, dass L. in der Tatnacht schon auf seinem Heimweg über die rückwärtige Treppe ins Obergeschoss des Schuhhauses im vorderen Treppenhaus Geräusche hörte, weshalb er umkehrte und durch den Laden ging, um im vorderen Treppenhaus nach dem Rechten zu sehen. Jetzt stellt sich die Situation anders dar: Dem Psychiater hat Alexander geschildert, er habe sich bereits im ersten Stock befunden, als er die Geräusche wahrnahm. Dort gibt es eine Tür, die die Sozialräume der Angestellten vom vorderen Treppenhaus der Mieter abgrenzt. Durch diese Tür hätte L. schnell zur Quelle des Lärms gelangen können. Warum also ist er nicht gleich durch die Tür gegangen, wenn er nur nach dem Rechten sehen wollte, sondern hat den längeren Weg über die rückwärtige Treppe durch den Laden gewählt und damit dem späteren Opfer den (Flucht)Weg abgeschnitten? Im Hinblick auf die Beurteilung, ob die Tat ein Mord oder nur eine Notwehrhandlung war, wie es der Angeklagte und die Verteidigung behaupten, ist die Frage des Ablaufs von entscheidender Bedeutung.
Spätestens als dieses Thema am siebten Verhandlungstag überraschend wieder im Raum stand, war klar, dass die Beweisaufnahme unmöglich an diesem siebten Verhandlungstag geschlossen werden konnte. Das aber hatte sich Verteidiger Klaus Bernsmann so ausgemalt. Im Chefarzt-Prozess scheint er alle Zeit der Welt zu haben, aber im Prozess gegen Alexander L. drückt er aufs Tempo. Es gebe ein Beschleunigungsgebot, sagte er: "Der nächste Termin ist erst in drei Wochen und wir haben Haft." Oberstaatsanwalt Otto Heyder wandte sich entschieden dagegen, einen "kurzen Prozess" zu machen. Es gebe noch eine ganze Reihe von Fragen zu klären. Vorsitzender Richter Manfred Schmidt machte darauf aufmerksam, dass die Verteidiger Bernsmann und Katharina Rausch ja auch nicht auf ihren mehrwöchigen Urlaub verzichtet hatten.
Sicher ist bis jetzt nur, wann der Prozess weiter gehen wird, nämlich am 22. September. Völlig offen ist aber, wie. Die Zweite Strafkammer muss sich noch mit einer Reihe von Anträgen beziehungsweise Anregungen der Nebenklage und der Staatsanwaltschaft befassen, denn in diesem Indizienprozess müssen viele Facetten ausgeleuchtet werden.
Zu diesen Facetten gehörte am Beginn des Verhandlungstages die Vernehmung eines Zeugen zu einem Vorfall vom 24. Januar 2015 in der Hornthalstraße. Am Abend dieses Tages hatte Alexander L. seine Fahrerin angewiesen, sich mit ihrem Auto vor einen gerade haltenden Pkw zu stellen und dessen Fahrerin am Wegfahren zu hindern. Ein Bekannter von L. saß in dem Wagen, außerdem dessen Mutter und seine beiden Kinder. Als der Mann sah, dass L. einen Baseballschläger aus dem Kofferraum holte und auf ihn zuging, stieg er aus und schlug als erster zu. In dem Gerangel gingen beide Männer zu Boden. Als sie wieder aufgestanden waren, hatte L. ein Messer in der Hand. Davon sei seine Jacke leicht beschädigt worden, gab der Zeuge an. Aus dieser Rangelei ging er für die Ermittlungsbehörden selbst als Schuldiger hervor und kassierte einen Strafbefehl über 60 Tagessätze.
Kein Abhängigkeit von Crystal
Weshalb L. ihn mit dem Baseballschläger angegriffen habe, konnte oder wollte der Mann nicht sagen. Er habe Alexander L. kein Geld geschuldet. Zur Sprache kam dann ein noch mysteriöserer Vorfall: Alexander L. hat an einem anderen Tag demselben Mann von vier Paar Schuhen, die im Hausplatz vor dessen Wohnung standen, jeweils einen Schuh gestohlen. Eine Überwachungskamera hat ihn dabei gefilmt.Auf die Frage des Vorsitzenden Richters Manfred Schmidt, ob es bei diesen Auseinandersetzungen um Rauschgiftgeschäfte gegangen sei, schwieg der Zeuge. Seine Mutter, die das Geschehen vom Fahrersitz aus mitbekommen hatte, berichtete, dass L. gerufen habe: "Ich stech' euch alle ab."
Der Psychiater Christoph Mattern sprach in seinem Gutachten zwar von "dissozialen Persönlichkeitszügen" und "erhöhter Impulsivität" bei L., konnte aber keine Störungen von Krankheitswert finden.
"Kaschberltheater"
Der Konsum von Crystal sei beim Angeklagten lediglich als Missbrauch zu werten; eine Abhängigkeit sei nicht feststellbar. Er nutze den Stoff hauptsächlich, um sich bei Konflikten in der Partnerschaft zu beruhigen. Für den Zeitpunkt der Tat bejahte er die Voraussetzungen für verminderte Schuldfähigkeit.Ansonsten war der Prozesstag von den inzwischen üblichen Schreiereien zwischen Verteidigern und Staatsanwalt geprägt. "Ich kann nicht mehr, er quatscht immer dazwischen", ließ Verteidiger Bernsmann lautstark wissen. Staatsanwalt Heyder nahm für sich in Anspruch, von Albernheiten und "Kaschberltheater" zu sprechen, als Bernsmann von ihm verlangte, sich mit seinen Fragen nicht direkt an den Angeklagten zu wenden, sondern sie über den Richter stellen zu lassen.