Druckartikel: Geographie-Professor wirft Landkreisen Egoismus vor

Geographie-Professor wirft Landkreisen Egoismus vor


Autor: Matthias Litzlfelder

Erlangen, Dienstag, 08. Juli 2014

19 Jahre lang hat Werner Bätzing den ländlichen Raum in Franken erforscht. Am Freitag hält der Professor für Geographie an der Universität Erlangen seine Abschiedsvorlesung. Er stellt den Politikern ein schlechtes Zeugnis aus.
Professor Werner Bätzing Foto: Matthias Hoch


Vor genau zehn Jahren habe es angefangen, sagt Werner Bätzing. "Ein Trend nicht nur in Franken, sondern in ganz Deutschland." Der Professor für Kulturgeographie an der Universität Erlangen zeigt auf eine Bayernkarte, in die seine Daten zur Bevölkerungsentwicklung eingeflossen sind. Seit 2004 zeige sich: Nur noch in den Metropolen gibt es Wachstum und im direkt anschließenden suburbanen Raum. Der Rest verliert Bevölkerung.

Als Bätzing 1995 einem Ruf an das Institut für Geographie nach Erlangen folgte, galt sein Forschungsschwerpunkt in erster Linie den Alpen. Der Nordhesse wollte aber noch weiter forschen - und entschied sich für das Naheliegende: den ländlichen Raum in der Umgebung. Knapp zwei Jahrzehnte hat er genau hingesehen, den Wandel verfolgt, rund 150 Examensarbeiten zu diesem Thema betreut.

Wenn der 65-Jährige in zwei Tagen nun mit einer Abschlussvorlesung in den Ruhestand geht, malt er bewusst ein düsteres Bild von der Entwicklung des fränkischen Landlebens. "Der ländliche Raum steht heute schlechter da als 1995." Wirtschaft und Umwelt hätten sich negativ entwickelt. "Ein positiver Faktor ist lediglich die kulturelle Identität", meint Bätzing. "Man fühlt sich wieder zuhause auf dem Land und ist stolz darauf."

Zu stark auf Zentralorte fixiert

Wenn die Bayerische Staatsregierung es wollte, so könnte man hier direkt ansetzen. "Doch die Staatsregierung hält immer noch zu stark am Konzept der Zen tralorte fest. Das stärkt zwar die Knotenpunkte, reicht aber nicht aus, um die Entwicklung insgesamt voranzutreiben", sagt Bätzing.

Der Experte für den ländlichen Raum kritisiert in diesem Zusammenhang die bisherigen Regionalmanagementstrukturen. Der ländliche Raum in Franken werde streng durch Landkreisgrenzen zerschnitten. Das erschwere es, gemeinsame Potenziale zu nutzen. Ein Beispiel sei die Fränkische Schweiz, die auf die Landkreise Forchheim, Bamberg, Kulmbach, Bayreuth, Nürnberger Land und Erlangen-Höchstadt aufgeteilt sei. Hier wäre eine übergreifende Zusammenarbeit dringend geboten. Lediglich für den Tourismus in der Fränkischen Schweiz gebe es eine Zentralstelle in Forchheim. Anderswo, wie zum Beispiel im Steigerwald, fehle auch das, berichtet Bätzing. Eine übergreifende Zusammenarbeit wie etwa die Wirtschaftsregion Bamberg-Forchheim kümmere sich dagegen nur um die Entwicklungsachse entlang der A 73. "Da ist der ländliche Raum auch wieder außen vor", bemängelt der Professor.

Bätzings Ratschlag: Das Netz der dezentralen Knoten im ländlichen Raum könne beibehalten werden. Nur müssten zusätzlich durch Maßnahmen der Regionalentwicklung vorhandene Potenziale aufgewertet werden. Geeignet sind laut Bätzing multifunktionale Infrastrukturen. Zum Beispiel ein Dorfladen für alles: Lebensmittel, Post, Bankgeschäfte, Imbiss- oder Café-Treffpunkt. Schulen auf den Dörfern müssten erhalten bleiben, auch bei wenigen Schülern. "Die Schule ist wichtig für das Dorf. Wir brauchen neue dezentrale Lösungen", fordert Bätzing. Es könne zum Beispiel, wie früher praktiziert, jahrgangsübergreifend unterrichtet werden. Auch Konzepte wie drei Tage Schulunterricht vor Ort und zwei Tage in einem zentralen Schulzentrum seien denkbar.

Was die Wirtschaft angehe, so bleibe der ländliche Raum nur über dezentrale Arbeitsplätze attraktiv. "Als reiner Wohnstandort fehlt die Lebendigkeit", sagt Bätzing.
Der scheidende Professor warnt die Städte vor Überheblichkeit: "Die meisten Innenstädte sind heute austauschbar, da ist kaum noch Identität zu spüren."

Heimat contra Zentralisierung

Zentralismus ist ein Phänomen, das nicht erst in den vergangenen Jahrzehnten auftaucht. Schon vor Jahrhunderten war es den Entscheidungsträgern gerade recht, wenn sie spezielle Orte oder Projekte mit sämtlichen (Geld-)Mitteln fördern konnten - zulasten der restlichen Bevölkerung. Heute ist es vielfach nicht anders. Absichtserklärungen der Staatsregierung gibt es zuhauf. Was fehlt, sind zeitnahe und konkrete Taten. Beispiel Bildungspolitik: Jedem ist klar, was passiert, wenn die Schule aus dem Dorf verschwindet. Der Anreiz für junge Familien, hier sesshaft zu werden, schwindet - und ein Teufelskreis setzt ein: leer stehende Häuser, Rückgang der Bevölkerung, Überalterung, Verlust von Arbeitsplätzen, weniger Infrastrukur.

Der Vorteil ländlicher Gebiete ist ihr hoher Anteil an sozialer Nähe. Hier gilt es anzusetzen. Reine Wohnbebauung hat auf Dauer keine Zukunft. Ebenso ist die ärztliche Versorgung ein entscheidendes Kriterium für den Fortbestand ländlichen Lebens. Es muss nicht der Spezialist sein. Aber eine erste Anlaufstelle für die medizinische Grundversorgung muss möglich bleiben. Sonst ist das Leben auf dem Land ein Leben zweiter Klasse.

Heimat sei das Gegenstück zur Globalisierung und zur Zentralisierung, sagte Ministerpräsident Horst Seehofer vergangenes Jahr zur Einführung des neuen Ministeriums. Sein Heimatminister Markus Söder muss noch zeigen, dass dies keine leeren Worte sind.