Freispruch in Bamberg: Beweis für Angriff im Rausch fehlt
Autor: Sebastian Martin
Bamberg, Montag, 21. November 2016
Paukenschlag vor dem Landgericht: Ein 45-Jähriger wurde überraschend freigesprochen. Er wurde beschuldigt, mit einer Camping-Axt zugeschlagen zu haben.
Der Totschlag-Prozess am Landgericht Bamberg gegen einen 45-Jährigen ist am Montag mit einer faustdicken Überraschung zu Ende gegangen: Die Zweite Strafkammer um Vorsitzenden Richter Manfred Schmidt sprach den Angeklagten frei. Es habe sich "kein klares Bild" über den Tathergang ergeben, sagte Schmidt in der Urteilsbegründung. "Die Kammer ist der Meinung, dass der Angeklagte nicht zu verurteilen ist, da gegen ihn ein Tatnachweis nicht sicher zu führen ist."
Lange sah es so aus, als ob das Urteil womöglich auf fahrlässigen Vollrausch lauten könnte. Denn das Gericht verbrachte große Zeit damit, herauszufinden, ob der Mann überhaupt schuldfähig ist. Sogar ein zweiter Gutachter wurde dazu vom Gericht beauftragt, den schwer Alkohol und Drogen abhängigen Mann zu beurteilen.
Kräuter machten ihn aggressiv
Der Forchheimer, der seit seinem zehnten Lebensjahr alkoholabhängig ist, hatte angegeben, in der Tatnacht, in der er eine Bekannte und deren Freund mit einem Camping-Beil verletzt hatte, neben Alkohol und Benzodiazepinen auch eine Kräutermischung konsumiert zu haben. Das Gericht wollte geklärt haben, ob der Mann zum Tatzeitpunkt womöglich gar nicht mehr bei Sinnen war. Im Gutachten wurde ihm eine erhöhte Aggressivität durch die synthetischen Cannabinoide bescheinigt, die nachträglich in einer Blutprobe des Beschuldigten gefunden worden waren. Doch sollten diese Erkenntnisse für das Urteil gar keine Rolle mehr spielen. Das Gericht sei zu keiner sicheren Überzeugung gelangt, sagte der Vorsitzende Richter in der Urteilsbegründung: "Es kann wie in der Anklageschrift gewesen sein oder so, wie es der Angeklagte schildert." Dem 45-Jährigen war von der Staatsanwaltschaft Bamberg vorgeworfen worden, im Januar spätabends in einer schmalen Seitengasse der Hornschuchallee, dem sogenannten Hexengässla mitten in Forchheim, die junge Frau und deren Freund mit dem 30 Zentimeter langen Beil angegriffen zu haben. Der Mann wollte geliehenes Geld (50 Euro) von der damals 36-Jährigen zurück haben. Laut Version des Angeklagten schuldete ihm auch deren damals 28-jähriger Freund Geld. Demnach soll der Beschuldigte die beiden zu Hause aufgesucht haben, um die Schulden einzufordern.
Verschiedene Versionen
Laut Anklage, die zunächst auf versuchten Totschlag in einem und gefährliche Körperverletzung in zwei Fällen lautete, war der Beschuldigte dabei äußerst aggressiv aufgetreten: Mit fast drei Promille, dem Beruhigungsmittel und den Cannabinoiden im Blut soll er mit der kleinen Axt, die er laut eigenen Angaben zum Sammeln von Wurzeln ständig bei sich trägt, auf die beiden Geschädigten losgegangen sein. Das männliche Opfer wurde dabei schwer an der Hand verletzt und blutete stark, die Frau trug nur leichte Verletzungen davon."Es tut mir leid, wie es gelaufen ist", sagte der Angeklagte zum Ende des Prozesses. Doch gab er zum Tatablauf eine völlig andere Version zu Protokoll. Demnach sei er angegriffen worden, das kleine Beil habe er nur zur Verteidigung eingesetzt. Die beiden Geschädigten sollen also auf ihn losgegangen sein, er habe zuerst Pfefferspray ins Gesicht bekommen. Verteidiger Oliver Teichmann plädierte deshalb auf Notwehr, Staatsanwaltschaft und Nebenklage auf vier Jahre Freiheitsstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung. Der Vorwurf der versuchten Tötung war nicht mehr haltbar.
Das Gericht glaubte den beiden Opferzeugen nicht mehr und nicht weniger als dem Angeklagten. Denn zu viele Dinge seien unklar geblieben. In einer früheren Aussage hatte die Zeugin angegeben, der Angreifer habe vor der Attacke zu ihr gesagt: "Ich mach dich weg." Doch hatte sie diese Aussage vor Gericht nicht mehr wiederholt. Die Richter sahen weitere Ungereimtheiten. Einer wesentlichen Aussage des Angeklagten schenkten die Richter dagegen Glauben, nämlich, dass er mit Pfefferspray attackiert worden sei. Das habe der 45-Jährige sofort nach seiner Festnahme wenige Stunden nach dem Vorfall ausgesagt, erklärte Schmidt. Was glaubhaft wirke: Dem Angeklagten wurde vom Gutachter ein niedriger Intelligenzquotient von knapp über 70, damit wenig Kreativität attestiert. Den Einsatz von Pfefferspray hatten die ebenso alkoholisierten Geschädigten bestritten, doch wurden bei einer Untersuchung entsprechende Spuren auf der Jacke des Beschuldigten gefunden.
Staatsanwaltschaft und Nebenklage waren vom Freispruch überrumpelt. Oberstaatsanwalt Otto Heyder kündigte Rechtsmittel gegen das Urteil an.