Flüchtlinge gegen Obdachlose - Bamberg stellt sich gegen Vorurteile
Autor: Corinna Tübel
Bamberg, Dienstag, 27. Oktober 2015
Gibt es den angeprangerten Konflikt zwischen sozial benachteiligten Einheimischen und geflüchteten Fremden, die hier Schutz suchen? Rechtsgerichtete Gruppierungen wollen genau das suggerieren. In Bamberg gibt es ein breites Bündnis, das sich gegen diese Entwicklung stellt.
Einen Rückgang der Hilfen im eigenen Land mahnen Asylgegner in diesen Tagen an und wollen damit Bevölkerungsgruppen gegeneinander ausspielen. Fakt ist: Durch den Flüchtlingsstrom entstand ein neues Nachdenken über mehr Wohnraum und Sozialleistungen in Deutschland.
"Heimische Obdachlose bitte um Asyl - Bittsteller abgewiesen", so und ähnlich titeln in diesen Tagen Asylgegner auf der Online-Plattform volksbetrugpunktnet.wordpress.com und möchten vor allem Unzufriedenheit in der Bevölkerung schüren. Mahlzeiten, Decken und Schlafsäcke will beispielsweise die NPD Hessen im Rahmen ihrer "Deutschen Winterhilfe" an Frankfurts Obdachlose verteilen, da diese durch die "Angriffe fremder Kriegsstrategen" vergessen würden.
Wir sprachen mit Peter Klein, Leiter des Projekts "Menschen in Not. Gemeinsam gegen Armut und Obdachlosigkeit", Bamberg, und Klaus Will, Bereichsleiter Sozialarbeit beim Caritasverband für die Stadt Bamberg, der unter anderem für die Asylsozialberatung zuständig ist, über Vorurteile, politische Denkanstöße und neue Chancen auf dem Konversionsgelände.
Keine Konkurrenz um Wohnraum
"Wo war der Ruf nach einer Verbesserung der Situation von Obdachlosen vor dem aktuellen Flüchtlingsstrom?", fragt sich Klaus Will. "Die Obdachlosen werden nun plötzlich herausgegriffen, was sich natürlich anbietet, wenn man die Bemühungen um Flüchtlinge derzeit sieht," bemerkt er sarkastisch. Es sei zum Beispiel nicht immer ein "komfortables" Dach über dem Kopf, das man diesen Menschen bieten könne. Gerade in den Zwischenstationen sei die Unterbringung in Zelten oftmals an der Tagesordnung. Auch in den Gemeinschaftsunterkünften gebe es nicht nur "Vorzeigeunterkünfte", wie in Bamberg diejenige an der Breitenau, sondern auch "Unterkünfte, die das Wort Wohnung nicht verdienen". Es könnten die Menschen damit lediglich geschützt werden, zum Beispiel gegen Überfälle.Peter Klein von "Menschen in Not" sagt: "In der Obdachlosenhilfe hat sich seit dem aktuellen Flüchtlingsstrom nicht viel verändert." Das Thema Wohnraumknappheit sei in Bamberg viel diskutiert und diene oft der Hetze gegen Asylbewerber. "Wenn man es nüchtern betrachtet, nimmt kein Flüchtling einem Nicht-Flüchtling etwas weg. Wir befinden uns momentan zwar in einer Situation, in der wir gezwungen sind, den Flüchtlingen notwendige Hilfen zukommen zu lassen, aber das geschieht nicht auf Kosten eines anderen", betont Klaus Will.
Entscheidung für die Straße
Generell muss man zwischen "Obdachlosen" und "Wohnungslosen" unterscheiden. Erstere haben keine Schlafgelegenheit und verbringen die Nächte auf der Straße, unter Brücken oder in Parkhäusern. "Wohnungslose" besitzen keine eigene Wohnung, können aber vorübergehend bei Freunden oder anderen Bezugspersonen übernachten. "Grundsätzlich ist jede Kommune in Deutschland dazu verpflichtet, einem obdachlosen Menschen eine Unterkunft zu gewähren. Das ist nicht immer eine eigene Wohnung, sondern oftmals eine Notunterkunft", erklärt Peter Klein. In der Praxis nehme dies aber nicht jeder in Anspruch: Ein Hundeverbot in den Notunterkünften, psychische Erkrankungen oder Angst vor einer Stigmatisierung beispielsweise ließen Menschen sich "für die Straße" entscheiden. Die Angebote des überwiegend spendenfinanzierten Projekts "Menschen in Not" wie die Wärmestube mit Dusch-, Ess-, Austausch- und Freizeitmöglichkeiten würden dennoch gerne angenommen - sowohl von wohnungslosen als auch armen Menschen mit eigener Wohnung.
Neue Dynamik
Klaus Will sieht durch den immensen Zustrom von Flüchtlingen in diesen Tagen eine neue Dynamik der Diskussion um bezahlbaren Wohnraum: "Wie sieht es in Deutschland damit aus?" Vor Beginn der großen Flucht aus Kriegs- und Krisengebieten sei der Appell verschiedenster Initiativen, zu handeln und günstige Wohnungen zu bauen, verhallt. Will: "Nun redet man in der Politik zum Beispiel endlich auch über eine Aufstockung der Mittel für den sozialen Wohnungsbau."Neue Chancen könnte die Nutzung des Konversionsgeländes mit sich bringen. Das Areal als "neuen Stadtteil" ausschließlich mit Flüchtlingen zu besetzen, wäre fatal, die Gefahr einer Ghettoisierung zu groß, mahnt Klaus Will. Dennoch bleibe wohl für die Zeit nach dem Erstaufnahmelager die Frage im Raum: Wäre die Bausubstanz ohne eine Zwischennutzung für die Unterbringung von Flüchtlingen ebenso erhalten geblieben? "Ich denke nicht. Vielleicht war das eine Art Rettungsring für so manches Gebäude. Wenn die Häuser anschließend erhalten werden, sollten sie auch für jeden nutzbar und zugänglich sein, zum Beispiel für Wohnraum suchende Familien ..." - "Oder für Besucher des Treffpunkts ,Menschen in Not‘", wünscht sich Peter Klein.
Kein Rückgang an Spenden
Eine andere Befürchtung, die deutlich den Sozialneid seiner Vertreter erkennen lässt, ist die angeprangerte angebliche Umverteilung von Spenden- oder Almosengeldern. So meldet etwa der dreibeinblog.de: "Skandal in Ellwangen. Kleine Kinder werden in die Fußgängerzone der beschaulichen Stadt Ellwangen geschickt, um von deutschen Steuerzahlern Almosen zu erbetteln." An anderer Stelle: "Selbst deutsche Bettler und Obdachlose merken die Flüchtlingskrise: ,Bei uns landet nichts mehr im Hut! Die Asylanten betteln uns alles weg‘, sagt Jupp K., beinamputierter Bettler aus Köln." Peter Klein dagegen kann für sein Projekt bisher aber keinen Rückgang an Spenden feststellen. In Bamberg bettle kaum noch ein Obdachloser. "Solche Hetze wendet sich an die latente Unzufriedenheit der Bevölkerungsteile, die sich benachteiligt fühlen. Dennoch ist es so: Keine bestehende Sozialleistung im Land wurde aufgrund der Aufnahme von Flüchtlingen gekürzt. Flüchtlinge erhalten auch nicht mehr an gesetzlichen Sozialleistungen als deutsche Bürger", sagt Klaus Will.