Experte Drossel: "Noch können wir Pflege gewährleisten, aber es gibt Engpässe"
Autor: Stephan Großmann
Bamberg, Mittwoch, 26. Sept. 2018
Professionelle Fachkräfte reichen nicht aus, um die steigende Zahl an Pflegebedürftigen zu versorgen. Daher rückt die informelle Pflege zu Hause mit Hilfe von Angehörigen weiter in den Fokus. Wie genau informelle Pflege aussehen kann, erklärt Matthias Drossel im Interview.
Die Oma mit dem Auto mitnehmen, der Nachbarin beim Tragen helfen oder seelisch beistehen: Was professionelle Pflegekräfte aus Zeitgründen nicht schaffen, könnten Angehörige leisten. Matthias Drossel, Gesamtschulleiter der Bamberger Akademien für Gesundheits- und Pflegeberufe, erforscht die Chancen der "informellen Pflege":
Herr Drossel: Unterfinanziert, fehlkonstruiert - ist die Altenpflege in Deutschland am Ende? Matthias Drossel: Na klar ist sie am Ende. Wir werden 2020 mit einem neuen Ausbildungsprodukt starten: der Generalistik. Man hat endlich erkannt, dass man die Ausbildungen nicht künstlich trennen muss, sondern dass der Bereich Pflege gesamt gesehen werden muss. Der Bereich Altenpflege ist nicht am Ende, es wird ihn immer geben. Er wird sich aber schrittweise aus dem stationären Setting in den Bereich ambulante Pflege verlagern. Wir werden mehr Pflege zu Hause haben, ist auch politisch so gewünscht. Dann brauchen wir Menschen, die auch zu Hause pflegen.
Was bewirken die Vereinbarungen des aktuellen Koalitionsvertrages? Es ist ganz viel passiert. In den letzten Jahren gab es Pflegestärkungsgesetze. Diese tragen wirklich dazu bei, dass die professionell und nicht professionell Pflegenden (informell Pflegenden) gestärkt werden. Was in diesen Pflegestärkungsgesetzen angedeutet wird, kommt aber wenig bei den Leuten an. Es werden viele tolle Angebote geschaffen, die aber in der Umsetzung nicht funktionieren.
Woran hapert es dabei? Man denkt von oben, also vom Gesetzgeber her, genau richtig, was es braucht. Aber man schafft die Voraussetzungen nicht. Das Management, das für die Umsetzung verantwortlich ist, ist nicht gut und speziell genug ausgebildet. Sie wissen oft nicht gut genug, was die wirklichen Pflegeschwerpunkte sind. Etwa Beratung und Anleitung.
Also liegt das Problem gar nicht bei den Pflegenden selbst? Die Ebene darüber ist das entscheidende. Bei Pflege denkt man schnell an praktisch-technische Dinge, etwas Medizinorientiertes: Eine Pflegeperson erneuert einen Verband oder begleitet bei der Körperpflege. Tatsächlich wird es aber immer wichtiger, die Menschen gut zu beraten und anzuleiten, dass sie mit ihren vorhandenen Ressourcen selbst gut umgehen oder Einschränkungen kompensieren können. Oder es beispielsweise ihren Angehörigen beibringen zu können.
Blickpunkt Bayern: Das Landespflegegeld soll die Pflegenden entlasten. Reicht das aus? Es ist eine tolle Sache, dass es so etwas in Bayern gibt. Da unterscheiden wirs uns von den anderen Bundesländern. Aber wenn ich 1000 Euro auf ein Gesamtjahr sehe, dann sind das nicht einmal 100 Euro im Monat. Das ist viel zu wenig. Der Schwerpunkt sollte gar nicht auf finanzieller Unterstützung liegen, sondern auf Hilfen im Alltag, Unterstützung und Entlastung. Wichtiger sind passende Angebote, die die Menschen tatsächlich erreichen und entlasten.
Häufig wird der Einsatz halblegaler Arbeitskräfte vor allem aus Osteuropa kritisiert. Sehen Sie darin ein Problem? Absolut. Dieser Graubereich der illegal beschäftigen Pflegepersonen ist ein großes Problem. Sie sind häufig nicht gut oder mit einer anderen Zielstellung ausgebildet, eher in Richtung Medizinassistenz oder Ähnliches. Sie kennen das Gesundheits- und Pflegesystem in Deutschland nicht, sind also verirrt in dem System. Dadurch können sie oft gar nicht die richtigen Hilfen leisten. Was sie gut leisten können, ist da zu sein für die Personen. Dabei trübt jedoch die sprachliche Hürde die Situation oft.