Experiment an vier offenen Herzen
Autor: Irmtraud Fenn-Nebel
Bamberg, Dienstag, 04. April 2017
Das Theater im Gärtnerviertel interpretiert Goethes Wahlverwandtschaften erfrischend neu. Neu ist auch die Spielstätte im Krackhardthaus.
Es war in doppelter Hinsicht eine Premiere: Das Theater im Gärtnerviertel (TiG) führte am Wochenende nicht nur zum ersten Mal seine Version von Goethes "Wahlverwandtschaften" auf, es gastierte auch zum ersten Mal im Salon des Krackhardthauses. Und um bei Zahlen zu bleiben: Diese Spielstätte mitten in der Bamberger Innenstadt wird bald in vierfacher Hinsicht von sich reden machen.
Hausbesitzer Ulrich Krackhardt hat bereits konkrete Pläne, die er zur Begrüßung der Premierengäste vorstellte. Im Salon - ältere Bamberger werden sich erinnern - gab Krackhardts Vater bis in die 1990er Klavierkonzerte auf dem Flügel, der nach wie vor an seinem Platz steht. Dies, die repräsentativen Räume und Innenhöfe, die Front zum Maxplatz und ein Bezug zu E.T.A. Hoffmanns Aufenthalten in den vom ihm selbst so beschriebenen "herrlichen Katakomben" des wahrlich beeindruckenden Anwesens aus dem 18. Jahrhundert "schreien nach mehr", sagte Krackhardt.
Neue Kulturstätte in Bambergs Mitte
Dieses "mehr" ist ein Konzept für einen neuen Kulturort in Bambergs Mitte. Krackhardt wird den Salon wieder eröffnen und zusätzlich im Keller sowie im original erhaltenen Pferdestall nach entsprechender Renovierung jeweils 50 Plätze für Theater, Konzerte und Lesungen haben. Außerdem plant er ein Café samt Freiflächen auf dem Maxplatz und im Innenhof des Hauses. "Die Stadt hat uns ihre Unterstützung zugesagt", freute sich Krackhardt. "Zum Jahreswechsel 2018 können wir mit unserem Programm loslegen."Gut gewählt waren Goethes "Wahlverwandtschaften" als erster Programmpunkt des neuen Konzepts. Der Salon bietet den idealen Rahmen für eine spannende Auseinandersetzung zwischen historischem Raum und moderner Inszenierung, was gleichfalls für den zweiten Spielort gelten wird: Das Aufseßhöflein in der Bamberger Nordflur. Das barocke Kleinod aus dem 15. Jahrhundert ist seit Kauf und Renovierung durch Familie Fiedler wieder für die Allgemeinheit zugänglich.
Nah dran am Publikum
Nina Lorenz, die sich als Chefin des TiG-Wanderensembles bei Ulrich Krackhardt für die Aufnahme im Salon bedankte, bringt Goethes berühmten Roman über die Naturgesetze des Herzens und die Anarchie der Gefühle mit zum Teil aus der Lewandowski-Ära des E.T.A.-Hoffmann-Theaters noch wohlbekannten Schauspielern auf die Bühne. Sie haben ihre Spielfläche selbst gestaltet und schaffen mit wenigen Mitteln wie einer Trittleiter und Tüchern reichlich Effekte. Viel Platz haben sie nicht zwischen Flügel, Kamin und Publikum, nutzen diesen aber gut und ohne Scheu vor Nähe aus. Genau diese Nähe ist es, die den zunächst leichten, dann immer dramatischeren Stoff direkt erlebbar macht. Er geht so: Eduard und Charlotte (Felix Piel-meier und Aline Joers) holen Otto und Ottilie (Martin Habermeyer und Olga Seehafer) in die idyllische Abgeschiedenheit ihrer Ehe. Das setzt eine Kettenreaktion aus Leidenschaft und Verzicht in Gang, denn natürlich kommt es zu - folgenschweren - Verwicklungen. In abgefahren roten Klamotten (Kostüme: Lena Lorang) arbeiten sich die Protagonisten durch Goethes Experiment an vier offenen Herzen. Ein jeder von ihnen holt das Beste aus sich heraus. Ihre Mimik, Körpersprache und Stimmen spiegeln alle Facetten zwischen zunächst verzückten Gefühlen und hernach nackter Verzweiflung.
Gänsehaut, wenn sie sich nach der Pause im Stakkato die Sätze zuwerfen, Gänsehaut, wenn Ottilie singt, und vor allem Gänsehaut, wenn Jakob Fischer mit Gitarre und sphärischen Klängen das Stück live untermalt. Auch wenn das Leid mit der Liebe das alte bleibt - diese Interpretation der Wahlverwandtschaften ist erfrischend neu.
Termine und Karten
Aufführung Spielort 1 im Krackhardt-Haus, Bamberg, Grüner Markt 31/Ecke Maxplatz: 9. und 20. April. Spielort 2 im Aufseßhöflein, Bamberger Nordflur/Hallstadt (Anfahrt von der Coburger Straße über den Bahnübergang, dann dem Weg ca. 450 Meter folgen): 21. und 26. April, 4./10. und 11. Mai. Die Vorstellungen beginnen jeweils um 20 Uhr.Karten gibt es im Vorverkauf im Geschäft Betten Friedrich, Bamberg, Obere Königstraße 43, Tel. 0951/27578, und beim BVD, Bamberg, Lange Straße 39/41, Tel. 0951/9808220.