Druckartikel: EU will die Plastiktüte verbieten: Wie schlecht ist ihre Ökobilanz wirklich?

EU will die Plastiktüte verbieten: Wie schlecht ist ihre Ökobilanz wirklich?


Autor: Günter Flegel

Bamberg, Donnerstag, 27. November 2014

Die Europäische Union hat die Einkaufstaschen aus Plastik im Visier. Zu viele der massenhaft produzierten Tragebeutel landen als unverrottbarer Müll in der Natur. Dabei ist die Ökobilanz der verpönten Säcke gar nicht so schlecht. Erfunden wurden sie in Franken.
Foto: Patrick Seeger, dpa


Als die Grünen noch richtig grün waren und die deutschen Wälder starben, wurde ein Slogan geboren, der offenbar fast so unverwüstlich ist wie die dieser Tage wieder ins Gerede gekommene Einkaufstasche aus Kunststoff: Jute statt Plastik. Das Markenzeichen der Umweltbewegung steuert stramm auf seinen 40. Geburtstag zu.
Es war gar nicht in erster Linie der Umweltgedanke, der vor fast einem halben Jahrhundert das Straßenbild verändert hat: Statt bunter Plastiktaschen waren plötzlich Säcke aus grobem braunen Stoff chic. Selbstgestricktes und Müsli - die Urzeit der Ökobewegung generierte ihren eigenen Lebensstil, der heute ein bisschen angestaubt wirkt.

Folgerichtig wurde die Welt nicht in Jute verpackt, sie erstickt im Plastikmüll. Ein gigantischer Strudel aus Verpackungen, geschätzt 150 Millionen Tonnen, schwimmt in den Weltmeeren, fast jeder Vogel in der Nordsee hat Plastikstückchen im Magen; die Tiere halten die schwimmenden Teilchen für Beute und verschlucken sie, viele gehen elend zugrunde, beklagen Umweltschutzverbände.

Auch in Frankens Landschaften gilt vielfach das Motto "Plastik statt Jute". Die Straßenmeister sammeln regelmäßig containerweise den Müll ein, den Autofahrer aus dem Fenster werfen. "Das Allermeiste ist Plastik, Tüten, Becher, Flaschen, also Verpackungsmüll", heißt es bei der Autobahnmeisterei in Knetzgau.

450 Jahre lang unkaputtbar

Plastik verrottet angsam. Erst nach 450 Jahren, so erklärt das Umweltbundesamt, löst sich eine PE-Flasche (PE steht für Polyethylen) auf. 2,7 Millionen Tonnen Plastikmüll produzieren die Bundesbürger jedes Jahr, so die Behörde weiter. Die Plastik-Einkaufstaschen sind angesichts dieser Müllberge zwar nur so etwas wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber Tropfen können bekanntlich Fässer zum Überlaufen bringen.

Deswegen will Europa die Plastiktüten aus dem Straßenbild verbannen. Die 28 EU-Staaten haben sich auf ein Stufenziel verständigt: Aktuell verbraucht jeder Bürger in Europa 175 Plastiktüten im Jahr. 2019 sollen es 90, 2025 nur noch 40 sein. Die Bundesbürgern sind da schon sehr weit: In Deutschland gehen jährlich durchschnittlich 75 Einwegtüten pro Kopf über die Ladentheke.

Erklärung von Bern

Als Einwegtüten gelten Beutel mit einer Wanddicke von weniger als 0,05 Millimetern. Nur für hauchdünne Obst- und Gemüsetüten gelten die Regeln nicht - sie dürfen aus hygienischen Gründen weiter unbegrenzt benutzt werden - müssen teilweise sogar, Direktvermarkter etwa haben gar keine andere Wahl.
Erlebt also der grüne Slogan "Jute statt Plastik" eine Renaissance? Die Idee dazu hatte in den 70er Jahren der Schweizer Verein "Erklärung von Bern", sagt Christine Baumgartner von der "Organisation für Eine solidarische Welt". Die Schweizer setzten sich für gerechte Entwicklungshilfe ein. Dazu kamen das wachsende Bewusstsein für die Rohstoffverknappung nach der Ölkrise und die Erkenntnis, dass das Wachstum Grenzen hat (Club of Rome).

In Bangladesch, einem der ärmsten Länder der Welt, löste der Jutetaschen-Boom in den 80er Jahren einen nachhaltigen Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft aus. Jeder Bauer in Bangladesch baut Jute an, die Verarbeitung mit Nadel und Faden ist einfach. "Jute statt Plastik" sicherte den Familien ein Grundeinkommen.
Trotzdem bleibt die Plastiktüte ein Massenprodukt. Sie ist leicht und robust, billig herzustellen und in der Umweltbilanz sogar besser als eine Papiertüte, die bei der Herstellung mehr Rohstoffe und Energie verschlingt und weniger haltbar ist.

Ein Kind des Erdölzeitalters

Wandern die Plastiktüten (sortenrein) in der Wiederverwertung oder via Hausmüll wenigstens in der Verbrennung, bleiben die negativen Umweltfolgen überschaubar. Allerdings: Plastik - PE - wird aus Erdöl hergestellt. Die Ölreserven sind endlich und der Plastikhunger der Welt unstillbar: China verbraucht für den Tütenkonsum seiner 1,3 Milliarden Einwohner jedes Jahr fünf Millionen Tonnen Rohöl. In Deutschland werden jedes Jahr 5,3 Milliarden Plastiktüten hergestellt, weit mehr als 1978. Beide, die Plastiktüte und die Jutetasche, haben einen Platz im Museum.

Und da, und nur da ist nach Ansicht der europäischen Umweltpolitiker auch der richtige Platz für die Plastikbeutel. "Wir können jetzt ein sehr ernstes Umweltproblem angehen", sagt der italienische Umweltminister Gian Luca Galletti, dessen Land derzeit die EU-Präsidentschaft inne hat. Staaten, die sich nicht auf das 90- und 40-Tüten-Ziel festlegen wollen, können darauf verzichten. Sie müssen dafür aber spätestens ab Anfang 2019 eine generelle Gebühr auf Plastiktüten einführen.

Der Naturschutzbund Deutschland fordert, in Deutschland eine Plastiktütensteuer nach dem Vorbild Irlands einzuführen. "Dort ist es gelungen, innerhalb von neun Jahren die Tütenzahl auf weniger als 20 Stück pro Jahr und Einwohner zu senken", unterstreicht der Bundesgeschäftsführer Leif Miller.

Das Juteland Bangladesch ist noch konsequenter: Dort (und in wenigen anderen Staaten) sind Plastiktüten komplett verboten. Sie verstopfen während des Monsuns die Kanäle und erhöhen so das Überschwemmungsrisiko. Die Regeln in der EU sollen 2016 in Kraft treten. dpa

Fränkischer Erfinder

Der Plastikmüll, der heute einglobales Problem ist, hat fränkische Wurzeln: Der Nürnberger Chemiker Hans von Pechmann (1850 - 1902) entdeckte 1898 den Kunststoff Polyethylen (PE) und beschrieb seine Eigenschaften. Aus den langen Molkeülketten lassen sich leichte und haltbare Fasern herstellen - die Grundlage für die Plastiktüte, aber auch für zahllose andere Kunststoffprodukte, etwa Abwasserrohre. Großtechnisch hergestellt werden konnte PE erst ab 1940. Die Kaufhauskette Horten (heute Galeria) gab 1961 die ersten Plastiktüten aus.

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