Druckartikel: Erzbischof Ludwig Schick geht in den "Knast"

Erzbischof Ludwig Schick geht in den "Knast"


Autor: Anette Schreiber

Ebrach, Sonntag, 21. Dezember 2014

Der vierte Advent gehört dem Gefängnis. Jedes Jahr. In diesem besuchte Ludwig Schick die JVA Ebrach. Er hatte Kerzen und Minikrippen dabei. Im Gegenzug bescherten ihm Gefangenen einen Weihnachts-Rap.
Jedem der jungen Gottesdienstbesucher hat Erzbischof Ludwig Schick eine Kerze und eine kleine Krippe geschenkt. Fotos: Matthias Hoch


Vor Gott und der Torwache sind alle gleich: Dass Gott die Gefangenen hier genauso schätzt wie alle anderen Menschen, diese frohe Botschaft hat Ludwig Schick zusammen mit Kerzen und Minikrippen im Gepäck. Das Licht aus Bethlehem in der Laterne darf Ludwig Schick gerne mit ins Gefängnis nehmen.

Autoschlüssel und Handy allerdings muss seine Exzellenz vor dem Zugang zum Sicherheitsbereich abgeben wie jeder andere, der hier Einlass haben möchte. Kein Problem für das geistliche Oberhaupt von 730.000 Katholiken, das sich auch für die Nicht-Katholiken in seinem über zwei Millionen Menschen zählenden Einzugsbereich - dem Bistum - zuständig fühlt. Und für die acht Gefängnisse.

Für sie in besonderem Maße: Der vierte Advent eines jeden Jahres gehört den Menschen dort. In diesem Jahr ist Ebrach wieder an der Reihe.


Ebrach war Schicks erstes Gefängnis

Ebrach war das erste Gefängnis, in das der Erzbischof gekommen ist: vor 45 Jahren, als Student. Vor zehn Jahren war Schick, der 2002 Bamberger Erzbischhof geworden war, erneut hier: Er hat den Gefangenen zu Weihnachten einen Besuch abgestattet. Ein paar Jahre später hat er die weihnachtliche Radiosendung mitgestaltet. Am intensivsten hat sich die Beifallsbekundung à la Knast eingeprägt, das Klopfen an die Eisentüren, "da hat ganz Ebrach gescheppert".

In diesem Jahr ist es wohl der Weihnachts-Rap, der sich in Schicks Erinnerung eingräbt. Im Kapitelsaal haben sich gut 30 junge Männer zum Gottesdienst mit dem Erzbischof eingefunden. Erstaunlich ruhig und konzentriert folgen sie Schicks Ausführungen, wie der katholische Gefängnisseelsorger Hans Lyer später loben wird. In seiner Predigt erklärt Schick, warum er gekommen ist: Um den jungen Leuten zu sagen, dass sie wichtig und wertvoll sind, dass sie wieder auf die richtige Spur finden können und sollen, dass das Gefängnis für jeden eine Hilfsveranstaltung ist und dass wer hier rauskommt, nicht wieder reinkommen soll.


Weihnachten hier drinnen

Was Weihnachten hier drinnen bedeutet, packt Mac in seinen Weihnachts-Rap. "Es ist ein heiliges Fest," bekennt der 23-Jährige darin, "doch hier drin hat es wenig Glanz. ... Was uns bleibt ist nicht viel, außer der Hoffung, dass es besser wird". Für jeden der jungen Männer hier hat Schick eine Kerze dabei, um das Licht aus Bethlehem in jeder Zelle leuchten zu lassen und eine kleine Ebenholz-Krippe. Am Ende des Gottesdienstes dürfen sie dem Erzbischof Fragen stellen. Was er mit seinem Besuch hier beabsichtigt, möchte einer wissen. "Ihnen Hoffnung zu bringen" sagt Schick und erklärt.

Wie er ohne Frau und Familie leben kann, fragt ein anderer junger Mann. Das gehe, führt Schick, der zunächst Medizin studiert und eine Freundin gehabt hatte, souverän aus. Er sei den ganzen Tag mit Menschen zusammen. Die "etwas andere" Gemeinde hier scheint das zumindest zu respektieren. Einer aus der Runde dankt dem Erzbischof ausdrücklich dafür, dass er in der Vorweihnachtszeit hierher gekommen ist. Beim Hinausgehen sagt ein 21-Jähriger, dessen erste Weihnachten hier bevorstehen, dass er es nach diesem Gottensdienst vielleicht etwas besser überstehen wird. Ob er sich für die Gottesdienste von Hans Lyer anmelden wird? Das ist für den Besuch hier erforderlich.


Besuch vertieft

Nach diesem Gottesdienst jedenfalls vertieft das Bistums-Oberhaupt seinen Gefängnis-Besuch noch im Gespräch mit dem Leiter der Justizvollzugsanstalt (JVA), Gerhard Weigand, und einigen seiner Mitarbeiter, während die Besucher wieder "auf Zelle" kommen.

Der Erzbischof will alles ganz genau wissen. Wie viele Gefangene gerade hier sind, zum Beispiel. Mit "nur" 260 sei das mit 318 Haftplätzen ausgestattete Gefängnis sozusagen unterbelegt, führt Weigand aus. Das entzerre die Lage. So dass möglichst viele Gefangene, die im Durchschnitt so um die 20 Jahre jung sind, eine Einzelzelle haben und nicht in Gemeinschaftszellen müssen. Für manche freilich sei dies von Vorteil, für Insulin-Patienten oder für Langzeit- Selbstmordgefährdete.

Beim Stichwort Gemeinschaftszellen kann der Erzbischof mitreden. Überhaupt beim Gefängnis. Die acht in seinem Zuständigkeitsbereich besucht er regelmäßig: Nürnberg, Erlangen, Hof, Kronach, Ansbach, Bayreuth, Bamberg und natürlich Ebrach. "Wenn ich einmal einsitzen müsste und aussuchen dürfte, würde ich Bamberg ausschließen," erklärt Schick nach der Schilderung seines Besuchs einer dortigen Sechs-Mann-Zelle. Im Jugendvollzug sei vieles anders, ergänzt Weigand Schicks Gefängniswissen. Der Schwerpunkt liege hier auf der Ausbildung - schulischer und beruflicher Art. Das vernimmt der Erzbischof gerne. Die Beamten hier seien sehr nah am Gefangenen, seien oft Vorbild, bisweilen Vaterersatz. Sie hätten - auch ohne spezifische Ausbildung - pädagogische Kompetenz und ersetzen oft auch noch den Seelsorger. Wobei die Beamten froh seien, hier Seelsorger zu haben, die dann traurige Nachrichten überbringen.

Verwaltungsdienstleiter Heinrich Lechner, der schon 42 Jahre hier arbeitet, stellt aber auch klar: "Die meisten sind neun Monate hier." Man könne nicht zurechtbiegen, was in 20 Jahren vorher schief gelaufen ist. Was es bedeutet, sich im Vier-Schicht-Dienst um die jungen Gefangenen zu kümmern, schildern die Vollzugsbeamten Georg Haag, Andreas Jung und Bernd Neukamm. Gerade die Vorweihnachtszeit sei für viele schwer. Auch für die Bediensteten. Allen, die sich hier im Gefängnis engagieren, spricht der Erzbischof einen großen Dank aus. Damit will er es aber noch nicht bewenden lassen und bohrt noch ein bisschen nach.


Nachgebohrt

Wie es mit Sprachschwierigkeiten, Gewalt und mit der Ausreißerquote stehe, möchte der Erzbischof weiter erfahren. Sprachlich seien die Gefangenen angekommen, bis auf einen gebe es momentan keinen Gefangenen, der nicht Deutsch spricht. Die Ausreißerquote sei niedrig, im langjährigen Verlauf ein bis zwei. Die kämen aber meist nicht weit auf den Rundwegen des Steigerwaldes. Gewalt könne man nicht ganz verleugnen. Im Gefängnis sei die aber bei weitem nicht in dem Maße ausgeprägt wie draußen.

Nach über zwei Stunden im Gefängnis wird es dann doch wider Zeit, dass Chauffeur Johannes Röhrer des Erzbischofs Utensilien zusammenpackt. An der Torwache ist das Friedenslicht in der Laterne erloschen. Wie alle anderen Besucher sortiert der Erzbischof sein Handy und seine Schlüssel aus der Sammelbox. Das wuchtige Gefängnistor schlägt hinter Ludwig Schick zu. Der Erzbischof verabschiedet sich vom Gefängnisleiter, wohl nicht zum letzten Mal.