Erzähl mir nichts vom Krieg, Mama
Autor: Sabine Christofzik
Bamberg, Mittwoch, 30. Sept. 2015
Die Not der Flüchtlinge heute löst bei vielen Menschen, die selbst Krieg und Flucht erlebt haben, Erinnerungen und Ängste aus. Wie kann man ihnen helfen?
Sie haben gewartet, bis die Kinder "verständig" genug sind. Dann haben sie angefangen darüber zu reden. Über den Krieg, die Flucht, den Hunger, die Angst. Die Kinder haben zugehört. Anfangs fasziniert, später bestürzt.
Kinder waren sie damals auch, in der "schweren Zeit" - die Angehörigen der letzten Generation, die noch von selbst erlebter Kriegsnot berichten kann. Sie haben ihre eigenen Kinder zu Erben der Erinnerung gemacht.
Es ist ein Erbe, das einige Nachkommen gerne ausgeschlagen hätten, wenn das möglich gewesen wäre. Nicht aus Eigennutz, weil sie sich mit solch unangenehmen Dingen einfach nicht auseinandersetzen wollten, sondern zum Eigenschutz.
In der Altersgruppe der heute 40- bis 65-Jähigen haben oft beide Elternteile während Krieg und Vertreibung Grauenhaftes erlebt. Um es zu verarbeiten, wurde auch mit den Kindern darüber geredet, und wird es heute noch. Die Art, wie dies geschieht, hängt vom Naturell des Erzählenden und von dem ab, was ihm widerfahren ist. Ebenso der Zeitpunkt und die Intensität.
Ein Tabuthema
In vielen Familien wird nicht darüber gesprochen, dass die Kinder zu früh und zu nachdrücklich mit den Kriegserlebnissen der Eltern konfrontiert wurden. Es ist ein Tabuthema. Das wird in vielen Gesprächen mit Menschen deutlich, deren Eltern Flüchtlinge waren. Öffentlich darüber reden möchte niemand."Zu Anfang fand ich die Erzählungen sogar spannend. Ich konnte ihnen aber keine Bilder zuordnen. Als wir dann in der Schule erste Filme zum Thema Krieg gezeigt bekamen, war das wie ein Schock. So etwas war meinem Vater passiert? Wochenlang stellte ich mir vor, wie er als Junge weinend an der Hand seiner Mutter weitergezogen wurde, während das schreiende Pferd und der Wagen der Familie unter dem doch nicht tragfähigen Eis der Ostsee versanken.
Auch von den Flucht-Erlebnissen meiner Mutter machte ich mir ähnliche eigene Bilder. Ich kann sie heute noch abrufen. Ich glaube, dass ich zu zeitig von all dem erfahren habe", sagt eine 48-Jährige.
Die Klassenkameraden beneidet
"Ich habe Klassenkameraden, mit Eltern, die nicht so viel Schlimmes im Krieg erlebt hatten, manchmal regelrecht beneidet," bekennt ein 53-Jähriger. "Mit diesen Schilderungen von Leid und Not, von Sterbenden und Toten kam ich nicht gut klar. Und wenn ich ehrlich bin, trifft das auch jetzt noch zu. Es war nicht irgend jemand Fremdes, der das erlebt hat, es waren meine Mutter und mein Vater. Ich wollte als Kind auch nicht so viel nachfragen, weil ich gemerkt habe, dass meine Mutter das loswerden wollte, es ihr aber doch schwer fiel, darüber zu sprechen."
Bei einer 50-Jährigen war es die Großmutter, die sie am zehnten Geburtstag zum ersten Mal "gemahnt" hat. "Ein Kind muss Lehre annehmen, hat meine Oma immer gesagt. Und eine Lehre sollte das sein, was sie mir erzählte. Sie hat es auf sehr eindringliche Weise getan. Immer verbunden mit der Warnung, nicht wieder auf einen wie Hitler hereinzufallen.
Diese Lehren hätte ich gern etwas später angenommen. In jungen Jahren hat mich das sehr belastet. Ich habe mich auch nicht getraut zu sagen: Ich will das nicht mehr hören".
"Wir wären damals froh gewesen, wenn..."
Wer der Generation Flüchtlingskinder-Kinder angehört und Eltern hat, die noch am Weltgeschehen Anteil nehmen können, muss sich spätestens jetzt mit seinem "Erbe" ausein andersetzen. Kaum ein Foto oder ein Fernsehbeitrag, in denen es um die neuen Flüchtlinge geht, bleibt von den alten Leuten unkommentiert. Erinnerungen kommen hoch, teilweise brechen seelische Wunden wieder auf. Fast jede Anmerkung beginnt mit "wir wären froh gewesen, wenn wir damals..."In den Familien haben sich - das bedingt die Zeit - oft die Rollen gewandelt. Aus den Fürsorgenden von damals sind Umsorgte geworden. Warum es wichtig ist, dass die "Erben der Erinnerung" über die Erzählungen der Eltern, die lange zurückliegen, jetzt besonders intensiv nachdenken sollten, erklären ein Psychiater und eine Pflegekraft.
Im Pflegealltag das Thema nicht ausklammern
Nahezu täglich kommt Ergotherapeutin und Pflegekraft Petra Weisgerber im Seniotel Gewo-Seniorenwohnopark in Lichteneiche mit dem Thema Flüchtlinge in Berührung. Und sie spricht es auch selbst an. "Bei einigen unser Bewohner sind Ängste da. Unsere Aufgabe ist es, Sicherheit zu vermitten und ihnen die Angst zu nehmen. Deshalb klammern wir das Flüchtlingsthema beispielsweise in unseren Zeitungsrunden auch nicht aus. Denn es ist eine Gelegenheit, klarzumachen, dass die Situation, die die Senioren aus eigenem Erleben kennen, damals eine andere war. Aufregung und Unsicherheit besteht jedoch nicht nur bei denen, die damals als Flüchtlinge herkamen, sondern auch bei denen, die die Einquartierung wildfremder Menschen in ihre Wohnungen hinnehmen mussten. Auch die fragen ,Passiert das jetzt etwa wieder?' Es ist wichtig, die Diskussion dann auf die Sachthemen zu lenken und einen konkreten Bamberg-Bezug zu schaffen, wenn es um das Thema Wohnraum geht.
Ganz besonders bei dementen Bewohnern ist es wichtig, die Biografie zu kennen. Wenn man weiß, was die Leute erlebt haben, weiß man manchmal auch warum sie so reagieren, wie sie reagieren. Wir dürfen das Thema nicht wegschieben, sondern müssen Hilfe leisten dabei, die Erinnerungen aufzuarbeiten und mit ihnen zurechtzukommen. Auch die Angehörigen sollten sich dieser Aufgabe nicht entziehen".
Man hatte sich "zusammenzureißen"
Viele Menschen, die Krieg, Flucht und Vertreibung erlebt haben, leiden unter einer posttraumatischen Belastungsstörung", erklärt Robert Meyrer, Leitender Oberarzt am Klinikum am Michaelsberg in Bamberg. Er ist Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Klinische Geriatrie und Somnologie. Einer seiner Arbeitsschwerpunkte ist die Gerontopsychiatrie.Auch in seinem Arbeitsalltag hat er mit Patienten zu tun, bei denen die aktuelle Nachrichtenlage Erinnerungen wachruft. Bei manchen führt das auch dazu, erstmalig über Ähnliches aus ihrer Vergangenheit zu reden. "Sie stammen nun mal aus einer Generation, in der es psychisch krank sein quasi gar nicht gab. Es wurde nicht zugelassen und verneint - weil man sich ja damals zusammenreißen musste.
Wichtig für die Betroffenen ist, dass mit ihnen versucht wird, Erlebtes aufzuarbeiten. Auch Familienangehörige sollten das nicht wegschieben und für Entlastung sorgen, dadurch, dass sie mit den alten Menschen über das reden, was sie beschäftigt.
Gut ist immer, wenn man versucht, das Gespräch auf positive Aspekte zu lenken, wenn es denn in der Situation um die es geht,welche gab. Frauen übrigens reden untereinander viel offener über Traumata als Männer und gemischte Therapiegruppen."
Wenn das Trauma reaktiviert wird
Bei Menschen, in ihrer Kindheit und Jugend belastende Erlebnisse hatten, kann es nach vielen Jahren zu einer eine Traumareaktivierung kommen. Die Symptome können ebenso belastend sein, wie bei jemandem, der das Ereignis erst vor Kurzem erlebt hat.Die posttraumatische Belastungsstörung ist eine spezielle Form der Traumafolgeerkrankung. Symptome sind unter anderem belastende Gedanken und und Erinnerungen an das Trauma (Bilder, Albträume) oder Erinnerungslücken, Übererregungssymptome (Schlafstörungen, Schreckhaftig, Reizbarkeit, Konzentrationsstörungen) und emotionale Taubheit. Auch körperliche Beschwerden können darauf zurückzuführen sein.