Elf Zentner Sehnsucht nach Heimat
Autor: Marion Krüger-Hundrup
Bamberg, Donnerstag, 18. Juni 2020
Eine Glocke ist das größte Exponat einer bemerkenswerten Ausstellung in der Bamberger Auferstehungskirche.
Fünf starke Worte, die starke Gefühle wecken: Sehnsucht, Heimat, Flucht, Vertreibung, Neuanfang. So gereiht zeichnen sie auch eine Zeitreise nach. Von wehmütiger Erinnerung an den biografischen Herkunftsort, den man unter Zwang oder aus Selbstschutz verlassen musste bis hin zur Hoffnung auf ein sicheres Zuhause und eine bessere Zukunft woanders. Und in diesem Woanders kann Heimweh schmerzhaft deutlich machen, wo die Heimat liegt. Selbst wenn man sich am neuen Wohnort wohl fühlt.
Von eben "Sehnsucht Heimat. Flucht-Vertreibung-Neuanfang" erzählt die bemerkenswerte Ausstellung in der Auferstehungskirche. Mit ihrer eigenen Geschichte als ein Stück Heimat in der Fremde und ihrer Nähe zum Ankerzentrum ist dieses Gotteshaus in der Bamberger Gartenstadt ein idealer Ort für diese Schau. "Wir machen nichts Revanchistisches, sondern wollen das kulturelle Gedächtnis nicht verlieren", begründet Pfarrerin Doris Schirmer-Henzler, warum sie mit ihrem Ehemann, Pfarrer Christof Henzler, diese Zusammenschau von großformatigen Fotos und biografischen Texten nach Bamberg geholt hat.
Einblick in Lebensgeschichten
Menschen, die fliehen müssen vor Krieg, vor sexueller, religiöser, ethnischer Gewalt, vor Bedrängnis in totalitären Regimen, erleben dies sehr intensiv. Die Ausstellung gewährt einen Einblick in sehr konkrete Lebensgeschichten. Offen und verletzlich erzählen zwanzig Männer Und Frauen unterschiedlichen Alters ihre Fluchtgeschichte anhand eines liebgewordenen Gegenstandes. Eine Puppe, ein Stoffteddy, ein Pullover, eine Kette oder eine Bibel werden so zu einem Zeichen von Heimat als einzige Verbindung zum Verlorenen.
Freimütig berichtet etwa die 91-jährige Eleonore aus Breslau (Polen), wie sie ein goldenes, aufklappbares Herzchen seit ihrer Vertreibung begleitet. Ein Jugendfoto ihres Vaters befindet sich darin. Da ist Lalise, 25 Jahre, aus Nekamte (Äthiopien), die nach einer Odyssee über den Sudan und Libyeni im überfüllten Boot über das Mittelmeer nach Europa gelangte. "In dieser Nacht hatte ich Todesangst. Ich habe eine kleine Bibel angefasst, die ich unter meiner Kleidung an meiner Brust versteckt hatte", sagt Lalise. "Meine kleine Bibel ist eines der wenigen Dinge, die ich aus meiner Heimat mitnehmen konnte. Sie ist ein Stück Heimat für mich."
Die Lebensläufe von Sofie (94 Jahre, aus Rumänien), von Ali (19 Jahre, aus Afghanistan), von Kamill (92 Jahre, aus Tschechien), von Fahima (32 Jahre, aus Kurdistan/Irak) und von all den anderen ermöglichen Identifikation, Mitgefühl, aber auch Respekt gegenüber den emotionalen Herausforderungen Heimatverlust und Neuanfang. "Wo sind meine Wurzeln? Wo ist jemand daheim, der sich zuhause nicht wohlfühlt? Ist Heimat mehr als Landschaft, Geruch, Klang, Gefühl?" Das Pfarrerehepaar Schirmer-Henzler möchte zum Nachdenken anregen. Gerade auch in der Corona-Zeit, "in der Heimat, Zuhause, ein Thema ist".
Greifbare Objekte
Die Pandemie hat verhindert, dass das ausgefeilte Begleitprogramm zu dieser Ausstellung stattfinden kann. Dafür hat Pfarrerin Schirmer-Henzler dafür gesorgt, dass die Foto-/Textpräsentation mit einigen greifbaren Objekten bereichert wird. So zum Beispiel durch einen hölzernen Handwagen - eine Leihgabe des Bauernmuseums Frensdorf -, der für eine Familie nach 1945 eine große Rolle spielte auf dem 165 Kilometer langen Fluchtweg zu Fuß von Stettin nach Rostock. Und den diese Familie, die 1954 nach Burgebrach kam, in die neue Heimat begleitete: als eine Art Heiligtum.