Eine Stunde lang die Not vergessen
Autor: Marion Krüger-Hundrup
Bamberg, Montag, 24. August 2015
Bürgermeister Wolfgang Metzner ist im Hauptberuf Lehrer. In den Sommerferien erteilt er wochentags unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen ehrenamtlich Deutschunterricht. Die jungen Leute leben in Wohngruppen des Don Bosco Jugendwerks Bamberg.
Khaled gluckst vor Vergnügen. Ihm floss gerade ein Satz in perfektem Deutsch über die Lippen: "Ich bin zehn Jahre alt und komme aus Afghanistan." Geschwind dreht der Bub seine rote Baseballkappe so auf dem Kopf herum, dass ihm der Schirm im Nacken sitzt. Lobheischend schaut er Wolfgang Metzner an. "Sehr gut, Khaled!", reagiert dieser auch prompt und blickt in die Runde: "Wie heißt Du? Woher kommst Du?", fragt er sein Gegenüber am Tisch. "Ich heiße Mohammad und komme aus Syrien", lautet die klare Antwort des 17-Jährigen.
Deutschunterricht für zehn unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ist angesagt, den Wolfgang Metzner in den Sommerferien ehrenamtlich von montags bis freitags erteilt. Am E.T.A.-Hoffmann-Gymnasium ist der Studiendirektor Lehrer für Deutsch, Geschichte und Sozialkunde - und den Bambergern als Dritter Bürgermeister (SPD) gut bekannt. Kurz vor dem Schuljahresende hatte Oberbürgermeister Andreas Starke (SPD) Lehrer angeschrieben und sie für junge Asylbewerber um Hilfe gebeten. "Da wollte ich mitmachen", sagt Metzner und wählte aus verschiedenen Adressen das Don Bosco Jugendwerk Bamberg.
Das Jugendwerk unterhält die beiden Wohngruppen "Moglia" und "Villa Don Bosco" für derzeit 22 Kinder und Jugendliche bis 17 Jahren aus Eritrea, Benin, Sierra Leone, Gambia, Afghanistan, Syrien. Nach dramatischen Erlebnissen in ihren Herkunftsländern sind sie in Bamberg gestrandet. Krieg, Verfolgung, Hunger, sexuelle Gewalt liegen hinter ihnen, eine Odyssee auf der gefährlichen Flucht durch die Welt. Die Minderjährigen sind die verletztlichste Gruppe unter den Flüchtlingen: herausgelöst aus dem sozialen Umfeld, getrennt von der Familie, traumatisiert gerade in der Entwicklungsphase - und das alles mit unsicheren Zukunftsperspektiven im Aufnahmeland.
Das Erlebte verarbeiten
"Wir haben sie in Obhut genommen und begleiten sie im Clearingprozess", erklärt Sozialpädagoge Lukas Parzych, der die Wohngruppe "Moglia" leitet. Der Bamberger Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) wird in absehbarer Zeit dann dafür sorgen, dass die jungen Flüchtlinge jeweils einen Vormund bekommen. Parzych und die Erzieher kümmern sich rund um die Uhr um ihre Schützlinge. Sie sorgen dafür, dass alltägliche Dinge wie Bildung, Kochen, Waschen und Putzen funktionieren. Vor allem aber helfen sie den Jungen, das Erlebte zu verarbeiten und Schritt für Schritt in Bamberg Fuß zu fassen.Khaled, Mohammad, Hassan, Amir und wie sie alle heißen, sind mit Feuereifer beim Deutschlernen dabei. Für eine gute Stunde können sie ihre Not vergessen, einfach nur wissbegierig und neugierig sein. Wolfgang Metzner beweist ein glückliches Händchen im Umgang mit den Schülern, die förmlich an seinen Lippen hängen.
Zu Beginn des Unterrichts wiederholt der Lehrer den Lernstoff des vergangenen Tages, stellt Fragen wie "Welcher Wochentag ist heute? Wie geht es Dir? Wann bist Du geboren? Wie heißen die Jahreszeiten?" Und die Buben geben auf Deutsch die richtigen Antworten und stellen damit unter Beweis, wie aufmerksam und schnell sie die fremden Vokabeln intus haben.
Jetzt ist die Uhrzeit an der Reihe, Metzner malt eine große Uhr auf den Block. "Was ist 8.35 Uhr?", will er wissen. Rahim murmelt erst in Paschtu, seiner Muttersprache, die Antwort, dann sagt er: "Fünf Minuten nach halb neun." Wieder ein Volltreffer, und seine Mitschüler lachen freudig über diesen Erfolg des Kameraden auf.
Jeder Bub hat das Heft "Deutschkurs für Asylbewerber" vor sich, ein spezielles Unterrichtsmaterial ("Thannhauser Modell"), das Wolfgang Metzner ausgewählt hat, "weil es einen Alltagsbezug hat". Kapitel für Kapitel geht er vor, bringt neue Wörter ins Spiel wie Bleistift, Kugelschreiber, Rucksack, Tasche.
Mit leuchtenden Augen saugen die Schüler alles auf wie ein Schwamm: "Vorbildliches Lernverhalten", nennt Metzner diese Haltung, "die mir Spaß macht". Es sei für ihn ein "großes Erfolgserlebnis" zu sehen, wie begeistert die Buben bei der Sache sind. Und sich mit der einen täglichen Unterrichtsstunde nicht zufrieden geben: "Sie lernen später weiter, helfen sich gegenseitig, alle sind motiviert", bestätigt Claudia Mantel, Fachdienstleiterin im Don Bosco Jugendwerk.
Patenschaft
"Die Kinder sind sehr freundlich und respektvoll, seid also auch freundlich und offen zu ihnen", will Metzner den Bambergern sagen. Und: "Fällt nicht Vorurteile, sondern setzt euch mit diesen Menschen auseinander, redet mit ihnen!" Der Pädagoge geht mit gutem Beispiel voran: Er möchte für den kleinen Khaled die Patenschaft übernehmen, wie sie das Don Bosco Jugendwerk für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge vermittelt. "Ich will für Khaled Ansprechpartner sein, mir für ihn Zeit nehmen, seine Hausaufgaben betreuen", blickt Wolfgang Metzner voraus.Nach den Sommerferien besuchen die Jungen erst den regulären Deutschkurs an der Volkshochschule in der Tränkgasse, dann herrscht auch für sie Schulpflicht. Die Jüngeren kommen in die Regelschule, die ab 16-Jährigen in die Berufsschule.
Doch vor der Pflicht steht am 2. September erst noch eine höchst willkommene Kür auf dem Programm: Wolfgang Metzner fährt mit den Buben zum Nürnberger Zoo. Auch die deutschen Tiernamen werden diese aufgeweckten Kids sicher rasch lernen.