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Ein Vermögen für einen Ausbau: Warum Anlieger im Berggebiet in Bamberg blechen müssen


Autor: Michael Wehner

Bamberg, Donnerstag, 17. Januar 2019

Für 23 Anlieger der oberen St.-Getreu-Straße kommt es 2019 knüppelhart. Gleichsam über Nacht stehen sie vor Kosten von durchschnittlich 90 000 Euro.
Umstrittene Ersterschließung einer jahrzehntelang bewohnten Straße   Foto: Ronald Rinklef


Verena und Bernhard Schmidt haben ihn erlebt - den Alptraum eines Hausbesitzers in Bamberg. Kurz vor Weihnachten flattert der Familie ein Brief von der Stadt ins Haus - die Einladung zu einer Info-Veranstaltung Mitte Januar. Der Verdacht, dass das nichts Harmloses sein würde, bewahrheitet sich. Den Anwohnern der oberen St.-Getreu-Straße wird diese Woche mitgeteilt, dass auf jeden Kosten in Höhe von 90 000 Euro im Schnitt zukommen.

Tags darauf sitzen Schmidts zusammen mit 20 anderen Bewohnern des Straßenzugs im Rathaus. Die Niedergeschlagenheit ist greifbar: "Ich bin entsetzt" sagt Verena Schmidt, zu ihren Fußen ein Plakat mit der Aufschrift "Nein zum Ausbau der St.-Getreu-Straße". Auch Thomas Hoffbauer, Ulrich Theißen und Andreas Neundorfer können es nicht fassen. Was der Stadtrat beschlossen hat, wird sie ein Vermögen kosten.

Doch es ist so: Kaum 24 Stunden nach der Info-Veranstaltung haben CSU, SPD und Bamberger Allianz für den Ausbau der oberen St.-Getreu-Straße gestimmt. Bis 2021 soll die Straße neue Kanäle, Gehweg und eine neue Teerdecke erhalten. Nur Bürger-Block-Stadtrat Norbert Tscherner wehrte sich: "Ich lasse mich nicht einschüchtern." Tscherner erinnerte daran, dass die Straße bereits ausgebaut ist und zog Vergleiche zur Oberen Brücke, wo Ladeninhaber gegen die überstürzte Sanierung protestiert hatten.

Warum müssen Anwohner einer seit Jahrzehnten bewohnten Straße existenzbedrohende Kosten für Kanal und Straßenbau berappen? Warum gab es keine Vorwarnzeit? Die Antwort ist vertrackt: Die St.-Getreu-Straße 30 bis 56 ist gewissermaßen ins Fadenkreuz einer Gesetzesänderung geraten, mit der der Freistaat bereits 2016 verschleppte Erschließungsverfahren wieder in Gang bringen wollte. Seit dieser Zeit gilt der 1. April 2021 als Stichtag für so genannte Altanlagen. Erschließungsverfahren, die älter als 25 Jahre sind, müssen vorher abgerechnet werden, wenn die Anwohner beteiligt werden sollen. Danach muss der Steuerzahler in die Bresche springen.

Die Frist ist auch der Grund, weshalb die Stadt im Jahr 2019 mit extremer Eile eine Erschließung fortsetzt, von der niemand weiß, wann und ob sie überhaupt je betrieben worden ist. Fakt ist, dass bis auf den Regenwasserkanal alle Leitungen bereits vorhanden sind, Fakt ist aber auch, dass die Teerdecke reichlich verschlissen ist.

Der Landtag soll es richten

Das soll sich nun bis 2021 ändern. Der Ausbaubeschluss mit Gesamtkosten in Millionen-Höhe schafft eine den technischen Standards entsprechende Straße. Doch keinem im Rathaus war wohl bei dem Beschluss für die "Ersterschließung" eines Uralt-Straßenzugs. "Ich bin es leid die Suppe auszulöffeln, die der Landtag uns eingebrockt hat", sagte Heinz Kuntke von der SPD und rief die Anwohner auf, sich direkt an die Verursacher des Problems zu wenden. Baureferent Thomas Beese sprach von "erschütternden Zahlen", die der Fall auslöst. Wegen der Größe der Grundstücke kommen auf einzelne Anwohner bis zu 150 000 Euro zu.

Mehrfach war in der Sitzung die Rede davon, dass der Stadtrat keinen Spielraum habe. Sollte er den Ausbau auch nur verzögern, werde Geld des Steuerzahlers veruntreut. Zudem würden die benachteiligt, die anderswo in der Stadt eine Erschließung bezahlt hätten.

Ausgestanden ist der Streit mit dem Beschluss nicht, er beginnt erst, wohl auch vor Gericht. Die Anwohner führen ein Schreiben des Innenministeriums ins Feld, wonach die Städte nicht verpflichtet seien, die begonnene Ersterschließung fortzusetzen. Doch Baureferent Beese widerspricht: "Wir sind gehalten, die Frist umzusetzen."

Kommentar des Autors:

Ein Brief, eine Info-Veranstaltung, ein Beschluss und binnen eines halben Monats müssen Anwohner mit Kosten rechnen, die im Einzelfall 150 000 Euro erreichen oder sogar überschreiten. Die Umsetzung der neuen Befristung für die so genannte Ersterschließung teils jahrzehntealter Straßenzüge erinnert an ein Überfallkommando. Nur, dass es kein Bankräuber ist, der vor der Tür steht, sondern der Büttel des Freistaats, in diesem Fall sein zerknirschter Vollstrecker - der Bamberger Stadtrat. Dass die gewählten Bürgervertreter nicht gerade glücklich sind, über die Rolle, die der Gesetzgeber ihnen zugedacht hat, wundert nicht. Die Begleitumstände der Erschließungsattacke sind bizarr. Unter insgesamt sieben Altfällen hat sich die Stadt auch deshalb für diesen entschieden, weil hier noch die Aussicht auf Fertigstellung bis 2021 besteht - und damit die Lizenz zum Abkassieren.

Warum das Verfahren seit den 50er Jahren versandet ist, wird man wohl nie erfahren. Klar ist, dass die St.-Getreu-Straße ohne die Regelung noch jahrzehntelang in Frieden geruht hätte. Und kein Hahn hätte nach einer neuer Straße gerufen. So aber sorgt ein schlecht gemachtes Gesetz für hohe Kosten und böses Blut.