Ein Rest vom Zuhause bleibt: Gericht stärkt WG-Senioren in Bayern
Autor: Stephan Großmann, Agentur dpa
Bamberg, Dienstag, 20. August 2019
Nicht mehr Zuhause, aber nicht im Heim: Senioren-WG's bieten eine Alternative. Auch in Franken gibt es solche Wohngemeinschaften. Doch muss die Kasse für den ambulanten Pflegedienst zahlen? Das Landessozialgericht hat nun ein Urteil gefällt.
Rolf Claus will sein Fotoarchiv auf Vordermann bringen. Der 76-Jährige braucht immer etwas zu tun, eine Aufgabe. Schon immer. Er baute Holzmöbel, fotografierte leidenschaftlich und sanierte gemeinsam mit seiner Frau einen ganzen Bauernhof in Niederbayern. Nach ihrem Tod vor knapp drei Jahren war er alleine in dem großen Anwesen. Seit April diesen Jahres lebt er in einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft in Bamberg.
"Klar hätte ich gerne noch weiter alleine Zuhause gewohnt", sagt Rolf Claus. Aber trotzdem gefalle es ihm hier. So könne er wenigstens seinen Sohn und die Familie regelmäßig sehen. Achim Claus wohnt berufsbedingt mit Frau und Kindern in Bamberg und geht oft mit seinem Vater am Fluss spazieren.
"Ein Senioren-WG ist eine wunderbare Wohnform", sagt er. "Menschen, die nicht mehr alleine daheim wohnen können, dürfen viel mehr über ihren Alltag mitbestimmen, als es etwa in einem Pflegeheim der Fall ist." Neun ältere Menschen wohnen in der erst heuer von der Sozialstiftung Bamberg errichteten Anlage, zwölf dürfen es laut Gesetzgeber maximal sein.
Kasse muss Kosten übernehmen
Viele von ihnen sind pflegebedürftig, oft spielt die Diagnose Demenz eine Rolle. Mehrmals täglich braucht der eine seine Insulinspritzen, einer anderen muss regelmäßig Blutdruck gemessen oder Kompressionsstrümpfe angezogen werden. Dafür fallen Kosten an. Diese will die Krankenkasse nicht mehr übernehmen. Am Dienstag hat das Landessozialgericht (LSG) München den Bewohnern von Senioren-WGs in Bayern den Rücken gestärkt.
Ähnliche Fälle häufen sich an bayerischen Gerichten. Etwa 150 Verfahren zwischen Bewohnern von Senioren-WGs und der AOK Bayern seien anhängig, sagt Dunja Barkow-von Creytz, Sprecherin am (LSG). Seit kurzem seien auch Fälle einer weiteren Krankenkasse bekannt. 363 Senioren-WGs mit etwa 2600 Bewohnern gab es Ende 2018 laut Zahlen des Gesundheitsministeriums im Freistaat.
Im Streit mit der AOK Bayern um die Übernahme der Kosten für einfache medizinische Behandlungspflege in Wohngemeinschaften wies das Gericht die Berufung der Kasse in drei Fällen zurück. Bewohner von Senioren-WGs hatten zuvor gegen die Entscheidung der Kasse geklagt, diese Kosten nicht mehr zu erstatten.
Hätten Senioren-WGs mit einem anderen Urteil vor dem Aus gestanden? Madlen Strauß von der Sozialstiftung Bamberg will keine Prognose wagen. Zumal die betroffenen Leistungen in der Regel nicht den Hauptteil der Kosten ausmachten. Aber sie freue sich für die Bewohner. "Das Urteil ist ein Schritt in die richtige Richtung, um diese neue Wohnform zu etablieren."