Das Verfahren gegen einen Bamberger, der Polizisten mit einer Armbrust bedroht hat, gab Einblicke in Leben und Denken eines Menschen, der unter Schizophrenie leidet.
Der Fall sorgte am 18. Juli 2011 für großes Aufsehen: Der 40 Jahre alte Roland W. (Name von der Redaktion geändert) hatte sich in seiner Wohnung im Dachgeschoss eines Hauses in der Schellenbergerstraße verbarrikadiert und die zu Hilfe gerufenen Einsatzkräfte der Polizei mit einer Armbrust bedroht. Der Grund: Seine Schwester, die auch seine Betreuerin ist, wollte ihn wegen eines psychotischen Schubs in die Nervenklinik einweisen lassen.
Nach vier Stunden zermürbenden Nervenkriegs - ein Polizeihubschrauber war eingesetzt und ein Luftkissen vor dem Haus aufgebaut worden - konnte Roland W. von einem Sondereinsatzkommando der Polizei mit einem Elektroschocker überwältigt und in die Nervenklinik gebracht werden. 50 Polizisten, Feuerwehrleute und medizinisches Personal waren an dem Einsatz beteiligt gewesen.
Sechs Wochen ohne Medikamente
Der Zustand des seit 1997 an Schizophrenie erkrankten Mannes hatte sich im Juli des vergangenen Jahres rapide verschlechtert, nachdem er sechs Wochen lang nicht mehr in die Nervenklinik gegangen war: In der Institutsambulanz war ihm seit mehreren Jahren alle 14 Tage eine Depotspritze verabreicht worden, dank derer er seine Krankheit im Griff behalten konnte. Als die Wirkung der Medikamente nachließ, kam der psychotische Schub.
Gerichtsverhandlung in Bamberg
Roland W., der sich am Dienstag wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Bedrohung vor der 2. Strafkammer des Landgerichts Bamberg verantworten musste, beschrieb die "Parallelwelt" seiner Psychose als einen Zustand, in dem er sich seiner "Sache nicht mehr sicher ist". Vieles, was um ihn herum geschieht, interpretiert er dann falsch. Seine Ärzte, zu denen er normalerweise ein gutes und vertrauensvolles Verhältnis hat, erscheinen ihm als böse Menschen "wie Dr. Mengele". W. ist dann überzeugt, dass sie mit ihm ähnlich schlimme Experimente anstellen wollen wie der grausame Nazi-Arzt. "Ich misstraue jedem Arzt." W. bildet sich im Zustand der Psychose telepathische Fähigkeiten ein, führt Dialoge mit einer inneren Stimme und glaubt fest daran, die Welt retten und "liberale Verhältnisse" installieren zu müssen.
Gewalt allerdings, so sagte er dem Gericht, lehne er immer ab. Auf die Frage des Vorsitzenden Richters Manfred Schmitt, weshalb er sich denn dann drei durchschlagskräftige Armbrüste und eine Präzisionsschleuder mit Stahlkugeln im Griff besorgt habe, antwortete Roland W. mit seiner "Angst vor einem Staatsbankrott". Im Internet habe er gelesen, dass es nach einem Bankrott zu Massenaufständen und bürgerkriegsähnlichen Zuständen kommen werde. "Ich wollte gewappnet sein und eine Waffe im Haus haben, falls Banden um die Häuser ziehen und plündern."
Als mögliche Ursachen für seine schwere Erkrankung nennt Roland W. eine Hirnhautentzündung, die er im Alter von drei Jahren erlitten hat, und schweren Haschisch-Konsum im Jahre 1997. Damals habe er binnen weniger Monate "einen ganzen Busch weggeraucht" - der Vater hatte eine Marihuanapflanze im Garten. Kurz danach sei die Psychose ausgebrochen - mit einem tätlichen Angriff auf seinen besten Freund.
Von diesen Umständen abgesehen gab es im Leben von Roland W. keine weiteren "Unregelmäßigkeiten", wenn es stimmt, was er als Beschuldigter dem Gericht vorgetragen hat. Mit Mutter und Geschwistern - er hat einen Bruder und zwei Schwestern - verstand er sich immer gut. In der Schule gehörte er zu den Besten. Nach seiner Ausbildung zum Verwaltungsbeamten für den mittleren Dienst machte er das Fachabitur und studierte Elektrotechnik. Den Beruf als Elektroingenieur übte er noch eine Zeit lang aus, "bis es nicht mehr ging". Seit 2005 bezieht er Rente und lebt mit Mutter und Bruder unter einem Dach. Die freie Zeit verbringt er vor dem Computer, wo er am liebsten Zeitung liest, oder er geht wandern.
Vor Gericht saß ein ruhiger, intelligenter Mann mit schwarzer Brille, die langen Haare zum Zopf gebunden.
Schwer vorstellbar, dass er in psychischen Ausnahmezuständen zu einem aggressiven Gewalttäter werden kann.
Hinter der Anklagebank hatten seine beiden Schwestern Platz genommen, die ihm damit - wie auch sonst in seinem Leben - den nötigen Rückhalt gaben. Die feste Verankerung des Beschuldigten in einer Familie, die sich intensiv um den Bruder kümmert und ihn beschützt, war bei der Urteilsfindung ein ausschlaggebender Faktor.
Schon Oberstaatsanwalt Bernd Lieb hatte in seinem Plädoyer zwar die Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik beantragt, gleichzeitig aber gefordert, die Maßregel zur Bewährung auszusetzen.
Der Verteidiger, Rechtsanwalt Gottfried Karl, berichtete aus seiner Arbeit als Betreuer von Menschen mit Schizophrenie: "Depotspritzen", so seine Erfahrung, "sind ein unglaublicher Segen." Mit ihrer Hilfe seien viele Patienten heute nicht mehr auf geschlossene Anstalten angewiesen, sondern lebten in den eigenen vier Wänden. Zusammen mit einem "Netz von Kontrollen" wage er für seinen Mandanten eine positive Prognose "und er kann ein freier Mann bleiben".
Das Gericht folgte sowohl dem psychiatrischen Gutachter, nach dessen Erkenntnissen Roland W. zum Zeitpunkt der Tat schuldunfähig war, als auch den Anträgen von Staatsanwalt und Verteidiger. Es gab ihm aber eine lange Liste von Auflagen mit, die der Mann gewissenhaft erfüllen muss, um nicht doch noch eingewiesen zu werden.