Druckartikel: Ein Juradorf in Feierlaune

Ein Juradorf in Feierlaune


Autor: Werner Baier

Hirschaid, Montag, 11. Juli 2016

Friesen übertrifft sich bei der 800-Jahr-Feier in punkto Gastfreundschaft, Dorfschönheit und Skurrilität.
Getanzt wie der Lump am Stecken hat man früher auch in Friesen. Beim Jubiläum zeigten Volkstänzer aus dem benachbarten Aischgrund, wie es beim Tanzen gesittet zugeht. Und die jüngsten Besucher ließen sie dabei nicht bremsen. Fotos: Werner Baier


Mit der Schließung des einst weithin gerühmten Gasthofs Brütting aus familiären Gründen hat der Hirschaider Ortsteil Friesen vor über einem Jahr erheblich an Anziehungskraft im Nahtourismus des Bamberger Landes verloren. Am Sonntag aber, als die Ortsbewohner das 800-jährige "Bestehen" des Juradorfes feierten, übertraf sich Friesen in punkto Gastfreundschaft, Dorfschönheit und Skurrilität: Da "parkt" ein Segelflugzeug quer zur Straße am Ortseingang, die DLRG hat ihre Taucheranzüge mitgebracht und wäre optimal gerüstet, falls ein Berauschter in den Feuerlöschteich plumpst. Und im "Heukino" läuft der Streifen "Als Barbara nach Friesen kam" in Endlosschleife.

Barbara ist die eingeheiratete Frau des Ortssprechers Christian Büttel und die hatte vor Jahren dem Bayerischen Rundfunk mal so richtig Einblick gewährt, wie es sich lebt mit Hauptberuf und Feierabendlandwirtschaft in einem Ort ohne Laden, Kindergarten und Schule. Hier braucht es zum Beispiel Maschinen zur Pflege von Trockenbiotopen und der Schweinemäster hat auf die Erzeugung von Bio-Eiern und Biohähnchen umgestellt, weil er nicht vom Draufzahlen leben kann.

Auf einer Südwestterrasse des Fränkischen Schweiz räkelt sich in knapp 500 Meter über dem Meeresspiegel eine längst nicht mehr nur bäuerliche Siedlung in der gleißenden Julisonne. Alles grünt, alles blüht, die Brunnen plätschern. Viele Höfe und Gärten entlang der Hauptstraße sind einladend geöffnet. Darinnen Tische und Bänke im Schatten schmucker Fachwerkhäuser oder Obstbäume.

Da gibt es frische Krapfen, mit Liebe gebackene Kuchen, deftige Brotzeiten. Ein Ochs grillt am Spieß und daneben kracht die Schwarte einer gebrutzelten Sau, die zur Feier des Tages geschlachtet worden war. Weiß- oder Stadtwürste sieden, aus einem alten Holzbackofen strömt verlockender Pizzaduft, laufend werden Brezen und Salzstangen gebacken. Und dann aber auch: Ein Wurf Ferkel schlummert unter der Traufe eines Stalldaches und stinkt schweinisch vor sich hin. Ja, wer aus der Stadt auf Land fährt, um Feste zu feiern, der muss seinen Kirschkuchen auch schon mal hinter einem Misthaufen vom Teller picken. Manche trinken duftenden Kaffee dazu, andere ordern zum Käsekuchen "a Seidla", ganz so, wie es dem Bierfranken beliebt. Den Gerstensaft gibt es aus mehreren Quellen: Handwerklich arbeitende Brauer unserer Heimat steuern ihre Meisterwerke bei. Da lässt ein Steinmetz werkeln, dort hat sich ein Schmied aufgebaut, Korbmacher, Holzschnitzer, eine Klöpplerin zeigen ihre Künste. Blaskapellen und Volkstanzgruppen in farbenfrohen Trachten zaubern fränkische Dorfkultur aus dem Hut: Wie schön beschaulich man doch abseits der vom Kommerz verdorbenen "Volksfeste" feiern kann, so ganz ohne Rummel. Friesen sei Dank!

Es fehlt an nichts bei der 800-Jahr-Feier, Kinderbelustigung geht eben auch ohne Karussell. Nur die Friesener, die man mal fragen könnte, wie sie ihr Friesen heute empfinden, haben keine Zeit: Wer sich nicht zu fein ist zu dienen, hat alle Hände voll zu tun, die wohl nach tausenden zählenden Gäste zu versorgen. Die früher ärmlich wirkenden kleinen Bauernhöfe, die so mancher älterer Wandervogel aus den 1960er Jahren vom Aufstieg zur Friesener Warte in Erinnerung hat, haben sich dank solventer neuer Eigentümer aus dem Topetagen der fränkischen Wirtschaft und Politik in Schmuckkästchen verwandelt: Fachwerk herausgeputzt, Fassaden und Fensterläden erneuert, die Gärten liebevoll angelegt und aufwendig gepflegt.

Dazu die villenartigen Neubauten, die in den letzten Jahrzehnten auf den raren und daher kostbaren Parzellen entstanden sind. Klar, wer keinen Geldscheißer hat, muss sich das Wohnen in Friesen abschminken. Es sei denn, die Dorfgemeinschaft, die um ihr Idyll barmenden Dorfrandbewohner und der Marktgemeinderat finden noch Kompromisse zur Bebauung durchaus vorhandener Reserven im "malerischsten Ortsteil von Hirschaid". So offen schwärmt Bürgermeister Klaus Homann (CSU) von Friesen, jenem Flecken in der Marktgemeinde, "wo man dem Himmel am nächsten" ist. Und nur eine Bitte für Friesen hätte Homann an den lieben Gott: "Wieder ein Wirtshaus, dann wäre unser Glück perfekt und wir bekämen hier einen Vorgeschmack vom Paradies!" Zum Wohlgefühl in Friesen tragen nach Kenntnis des Bürgermeisters die traditionsbewussten, außerordentlich engagierten Bürger und die rührigen Vereine bei. Und beim tüchtigen Ortssprecher Christian Büttel liefen alle Fäden zusammen.

Man darf Friesen eine gewisse Millionärsdichte unterstellen, aber es ist auch der Ort, der Asylbewerbern aus fernen Ländern völlig problemlos neue Heimat gibt. Der Festprediger, Ehrenbürger Alfred E. Hierold, würdigt seine Mitbewohner für die bezeugte Nächstenliebe und wirbt gleichzeitig für den Dorffrieden, der manchmal schon unter Nachbarn bedroht sein könne. Unfrieden, daran erinnert der frühere Rektor der Bamberger Uni auch, erlebte Friesen unter anderem im Dreißigjährigen Krieg sowie durch den Blutzoll an jungen Dorfbewohnern im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Nun genieße man schon 70 Jahre Frieden, dank der Zugehörigkeit zur Europäischen Union und entgegen jenen Zeitgenossen, die wieder den Nationalismus predigten. Als langjähriger Seelsorger mahnt Professor Hierold die Friesener, nicht nur dankbar dafür zu sein, dass ihre Vorfahren im 19. Jahrhundert die schöne Kirche "Maria vom guten Rat" errichtet hätten, sie sollten auch jeden Sonntag eben dieses Schmuckstück dankbar und freudig besuchen. Die Gebote Gottes zu halten und den Nächsten zu lieben - Gedanken aus den Lesungen des Tages - legt der Prediger den Besuchern des festlichen Zeltgottesdienstes dringend ans Herz.

Landrat Johann Kalb (CSU) amüsiert mit einem Zitat aus dem Visitationsprotokoll des Landratsamtes: 1965 sei keine ausgewiesenes Bauland in Friesen angetroffen worden, "weil kein Bedarf". Mittlerweile habe sich der Ort zur VIP-Siedlung mindestens des Marktes Hirschaid entwickelt und erstrahle seit der Dorferneuerung 2006 in neuem Glanz. Und einen herrlichen Fernblick aufs Flussparadies Franken gibt's von der Friesener Warte dazu. Die Folge: Weder Ortskundigen noch den zahlreichen Ausflüglern sei verborgen geblieben, dass Friesen ein "hübsch anzusehender und interessanter Wohnort" wäre, resümierte der Landrat, der als Buttenheimer seit seiner Schulzeit mit Friesen verbunden ist. Im Übrigen machte Kalb als Schirmherr der 800-Jahr-Feier seine Sache tadellos, sieht man davon ab, dass er nicht mal einen Sonnenschirm mitgebracht hatte. Dafür gingen Strohhüte am Stand eines Hutmachers überraschend gut über den Tisch.

Der weitestgereiste Gratulant war Bürgermeister Hermann Ach aus Moosbach: Die oberpfälzer Gemeinde ist über die Feuerwehr Saubersried mit Friesen verbunden und freut sich schon auf Gegenbesuch.


1216 investierten Nonnen 55 Talente

Friesen ist älter als es jene 800 Jahre alte Urkunde belegt, die Stefan Nöth, Direktor des Bayerischen Staatsarchivs Bamberg, zum Jubiläum der Ersterwähnung im Dorfgemeinschaftshaus in einer gesicherten Vitrine präsentierte. Das dekorative Original wurde von den Festgästen auf der Suche nach dem Ortsnamen gründlich beäugt. Daneben stießen auch andere Exponate der historischen Ausstellung auf Interesse, unter anderem Modelle der Schutzbauten, wie sie die Kelten schon lange zuvor auf der Friesener Warte errichtet hatten.

Zu der Zeit, als in Bamberg der heutige Dom gebaut wurde, taucht Friesen in einer Urkunde auf, mit der die Nonnen von St. Theodor drei Orte und deren Rechte von Eberhard von Greifenstein erwarben. Nöth erklärte, dass St. Theodor ein Zisterzienserinnenkloster am Kaulberg in Bamberg war (heute Sitz der Karmeliten). Hier und in vielen anderen Nonnenklöstern lebten die adeligen Fräulein, die kaum zu verheiraten gewesen seien, weil die Kreuzzüge vielen jungen Männern das Leben kostete. Die zur Führung des Spitals verpflichteten Zisterzienserinnen investierten 55 "Talente", um - so Nöth - nicht nur das physische Eigentum am Grundbesitz Friesen zu erwerben, sondern darüber hinaus auch alle Rechte. Diese wurden in einem sehr komplizierten Vorgang der Aufgabe, Rückgabe und Neuübertragung an den Besitzer abgehandelt. Das Kloster St. Theodor gibt es nicht mehr. Der Archivar vermutet, dass seine Grundstücke in den zwölf domkapitelischen Lehen zu suchen seien.

In topografischen Landesbeschreibungen am Ende des 18. Jahrhunderts tauchen als Grundherren Friesens die hochstiftischen Ämter Memmelsdorf und Eggolsheim, das Domkapitel, das Stift St. Stefan und die Familie Karg von Bebenburg mit ihren Hintersassen auf. Urkundlich erwähnt ist 1801 ein Wirtschaus, das "einen sehenswürdigen Felsenkeller habe worin sich eine lebendige Brunnenquelle befindet." Und ebenda blieben bei der 800-Jahr-Feier die Kehlen der Besucher trocken. Vom einstigen Hochbetrieb des Gasthauses kündeten zahlreiche historische Fotografien. Nicht nur Friesener schwelgten beim Anblick in guten Erinnerungen.