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Ein Foul ist keine Körperverletzung


Autor: Günter Flegel

Bamberg, Mittwoch, 18. Dezember 2013

Seit drei zwei Jahren streiten zwei fränkische Fußballer um 10.000 Euro Schmerzensgeld nach einem Foul, das der Schiedsrichter nicht gepfiffen hatte. Jetzt hat das Oberlandesgericht in Bamberg entschieden.
Fußball tut manchmal weh - das gehört zu diesem Sport dazu, sagt das Oberlandesgericht in Bamberg. Foto: Symbolbild


Es könnte so einfach sein: Der Ball ist rund, das Spiel hat zwei Halbzeiten, wer kein Tor schießt, kann nicht gewinnen, und Foul ist, wenn der Schiedsrichter pfeift ...Kompliziert wird es, wenn neben den 22 Kickern und drei Unparteiischen auch noch Anwälte mitspielen. Dann werden aus zwei Halbzeiten fünf oder sechs und aus 90 Minuten drei Jahre.

So lange schwelte der Streit zwischen zwei Fußballspielern und ihren Anwälten vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht. Es ging um 10.000 Euro, die Schmerzensgeldforderung nach einem Hallenturnier in Eltmann, bei dem sich ein Spieler aus dem Steigerwald - damals 18 - einen Wadenbeinbruch zugezogen hatte. Der Gegner habe ihn brutal gefoult, unsichtbar für den Schiedsrichter, begründete der Kläger. Es war ein ganz normaler Zweikampf mit leichter Berührung, sagte der Beklagte.

Es war gar nichts, sagte der Schiedsrichter: Er habe weder ein Foul gesehen noch gepfiffen.

Wegweisendes Urteil

Das Urteil des Oberlandesgerichts ist wegweisend für den Fußball: Zum einen steht für den dritten Zivilsenat des OLG unter dem Vorsitzenden Richter Erhard Götz "zweifelsfrei fest", dass während des Spiels zu einem "objektiven Regelverstoß" gekommen ist. Sprich zu einem Foul, auch wenn der Schiedsrichter dies nicht geahndet hat.
Zum anderen: Es handelte sich keinesfalls um ein besonders grobes oder gar brutales Foul, so das OLG.

Der Vorfall bewegte sich im üblichen Rahmen des "Kampfsports" Fußball, bei dem die teilnehmenden Spieler von vorneherein ein erhöhtes Verletzungsrisiko in Kauf nehmen, wie Götrz sagte. Um den Tatbestand der Körperverletzung zu begründen und Schadenersatzforderungen ableiten zu können, müsste Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit vorliegen. Das sah das Gericht im vorliegenden Fall nach umfangreicher Beweisaufnahme nicht.

19. Oktober 2010

Was war passiert? Am 19. Oktober 2010 nahmen der Kläger und der Beklagte in gegnerischen Mannschaften an einem Fußball-Hallenturnier teil. Als der Kläger mit dem Ball am Fuß in Richtung gegnerisches Tor lief, setzte der Beklagte nach und grätschte von schräg rechts hinten in Richtung des Klägers. Dabei traf er das Bein des Klä-gers, der einen Bruch des Wadenbeins sowie einen Bänderriss erlitt. Zu den offenen Fragen gehört, wie dieses Geschehen - nicht nur das Foul selbst - komplett am Schiedsrichter vorbei laufen konnte.

Zwei mehrtägige stationäre Krankenhausaufenthalte und ein operativer Eingriff waren die Folge des Zweikampfs. In der Bewertung des Regelverstoßes gingen die Standpunkte der Parteien auseinander: Während der Kläger geltend gemacht hat, der Beklagte sei ihm brutal in die Beine getreten, hat dieser behauptet, er hätte den Ball noch erwischen können und habe den Fuß des Klägers nur wegen dessen Ausfallschritts getroffen.

Beweisaufnahme

Das Landgericht hatte die Klage auf Schadensersatz und Schmerzensgeld abgewiesen. Das OLG Bamberg als Berufungsgericht hat diese Entscheidung nunmehr bestätigt, nachdem es die komplette Beweisaufnahme mit der Vernehmung von fünf Zeugen zum Spielverlauf und des behandelnden Arztes zu den erlittenen Verletzungen des Klägers wiederholt hatte.

Das Gericht begründet: Weil die Teilnahme an Kampfspielen wie Fußball für jeden Spieler naturgemäß eine erhöhte Verletzungsgefahr durch Regelverstöße mit sich bringt, nimmt die Rechtsprechung eine einvernehmliche stillschweigende Haftungsbeschränkung aller Spieler auf vorsätzliche und grob fahrlässige Regelverstöße, sprich besonders grobe oder gar brutale Fouls an. Anderenfalls wäre die Teilnahme an einem solchen Wettkampfsport mit einem nicht hinnehmbaren Haftungsrisiko verbunden, dem sich niemand aussetzen würde. Eine Haftung scheidet aus, wenn es sich um Verletzungen handelt, die sich ein Sportler bei einem regelgerechten und dem Fairnessgebot entsprechenden Einsatz seines Gegners zuzieht.

"Objektiver Regelverstoß"

Für das Gericht stand das Vorliegen eines objektiven Regelverstoßes, der zu den Verletzungen des Klägers geführt hat, zwar außer Frage. Aus Sicht des Senats war aus den Schilderungen der Zeugen ebenso wenig zwingend auf ein besonders grobes Foul des Beklagten zu schließen wie aus dem Verletzungshergang. Von besonderer Bedeutung war hierbei die Aussage des behandelnden Unfallchirurgen des Klinikums Bamberg. Dieser hat es als sachverständiger Zeuge, der für die Heilbehandlung des Klägers verantwortlich war, anhand des Verletzungsbildes als unwahrscheinlich bewertet, dass die Verletzungen auf eine massive Gewalteinwirkung zurückzuführen seien. Der Bruch des Wadenbeins sei eher auf ein abruptes Abbremsen zurückzuführen.
Der Vorsitzende Richter Erhard Götz, in jungen Jahren selbst Fußballer, lavierte im ersten Beweisaufnahmetermin einer Berufungsverhandlung vor dem OLG überaus geschickt und mit Engelsgeduld zwischen den Paragrafen des Gesetzes und den ungeschriebenen Gesetzen des Fußballs. Das Gericht stand vor der Herausforderung, Jahre nach dem Abpfiff "so gründlich wie nur möglich nach der Wahrheit zu suchen", sprich die Sekunde des Fouls oder Nicht-Fouls mit Hilfe von Zeugen zu rekonstruieren.

Die Mühlen der Justiz ...

So etwas kann lange dauern, die drei Jahre sind in juristischen Maßstäben durchaus eine flotte Gangart. Der Vorsitzende Richter erinnert sich im Gespräch mit infranken an einen Fall aus seiner Praxis, bei dem es um einen ärztlichen Kunstfehler bei einer Geburt ging. Als die Entscheidung in letzter Instanz fiel, "war das betreffende Kind schon längst erwachsen."

Dass die Dynamik eines Zivilprozesses ein etwas anderes Tempo hat als das Fußballspiel, mussten die fünf Zeugen erfahren, die sich den Fragen des Vorsitzenden Richters und der beiden Anwälte stellen mussten. Um die Aussagen beweisfest zu machen, ließ Götz jeden Satz sofort wortwörtlich protokollieren. So vergingen Stunden ohne allzu großen Erkenntnisgewinn, denn die entscheidenden Aussagen haben sich seit Spielende, abgesehen von der langsam verblassenden Erinnerung, nicht wesentlich geändert.

"Das wüsste ich"

Die entscheidende Instanz, der 67 Jahre alte Schiedsrichter des Spiels damals in Eltmann, der seit 33 Jahren pfeift, kann sich an keine außergewöhnliche Aktion, viel weniger noch an ein grobes Foul erinnern. Die Verletzung des Spielers wurde auch nicht im Spielbericht vermerkt. "Wenn da etwas gewesen wäre, wüsste ich es", sagte der Unparteiische.

Eine besondere Note bekam der lange Prozess durch die Besonderheiten der Sportlersprache. Der Vorsitzende Richter, in jungen Jahren selbst Fußballer, musste den einschlägig unerfahrenen Anwälten der beiden Parteien Anwälten ein wenig Nachhilfe geben. "Führte der Spieler den Ball am Fuß?", wollte ein Anwalt von einem der Zeugen wissen. "Ja wo denn sonst", warf der Richter ein.

Grätschen oder umhauen?

Auch die Begrifflichkeiten der Fußballsprache mussten ins Juristendeutsch übersetzt werden: So kann ein Foul darin bestehen, dass der Gegner nur touchiert, elegant geschnelzt, konsequent gegrätscht oder schlichtweg umgehauen wird. Das klingt für Anwälte erst einmal alles nach Verbotenem, der Fußballer aber kennt die feinen Abstufungen. Ein Anwalt sah die Grenzen seiner Urteilsfähigkeit ein: "Wir sollten das nächste Mal vielleicht einen Ball mitbringen ..."

Eben, denn der Ball ist rund, und eine dritte Halbzeit hätte genügt: Mehrfach baute das Gericht den Streitparteien goldene Brücken für eine Einigung außerhalb des Gerichtssaals, doch davon wollten die Kicker und ihre Anwälte nichts wissen, wie im Fußball eben: Eine Entscheidung muss her. Oder frei nach dem legendären Moderatorenspruch: Es steht im Moment 1:1, aber es hätte auch umgekehrt lauten können.