Druckartikel: Ein Bamberger Dach, das die Fantasie anregt

Ein Bamberger Dach, das die Fantasie anregt


Autor: Jutta Behr-Groh

Bamberg, Sonntag, 03. August 2014

Angehende Denkmalpflegerinnen haben das Geheimnis des krummen Dachs in der Fischerei 5 gelüftet. Bei ihren Nachforschungen im künftigen Gästehaus der Universität stießen sie auch auf ein interessantes Stück lokale Sozialgeschichte.
Der Fachwerkbau Fischerei 5, das "Haus zum Fischwirt", sieht einer Zukunft als Gästehaus der Universität entgegen. Alle Fotos: Ronald Rinklef


Die eigentümliche Form des Fachwerk-Hauses Fischerei 5 beflügelt die Fantasie seiner Betrachter. Einen so schiefen Giebel gibt es in Bamberg kein zweites Mal. Er sieht aus, als ob das Gebäude irgendwann halbiert oder doch zumindest verschmälert worden ist.

Doch es sieht nur so aus. Das steht fest, seit sechs angehende Denkmalpflegerinnen das Einzeldenkmal von oben bis unten untersucht haben.

"Das Dachwerk wurde für diesen Grundriss geplant und gebaut", fanden sie heraus. Das belege ein einheitliches System von Abbundzeichen - jenen Markierungen also, mit denen ein Zimmerer das Gebälk für das sichere Zuordnen beim Zusammenbau kennzeichnet. Auch die Konstruktion selbst lasse nur den einen Schluss zu, dass sie von Anfang an für diese Dachform entworfen wurde, versichern Eva Basse, Melanie Juritsch, Martina Kanevalova, Alexandra Loest, Anna Luib und Katja Weise.



Ein weiteres Indiz dafür, dass der Dachstuhl nie anders geplant war, ist für die Absolventinnen des Masterstudiengangs Denkmalpflege der Universität das Alter des Baumaterials: Alles Holz für den Dachstuhl wurde in den Jahren 1567/68 gefällt.

Unbekannter Vorgängerbau

Die jungen Frauen haben auch eine plausible Erklärung für eine Dachform, die aus der Reihe tanzt: Sie wurde einer älteren Mauer eines Vorgängerbaus angepasst. Näheres über das abgegangene Bauwerk fanden sie in den Akten aber nicht.

Dafür machten die Studierenden bei einer Praxiswoche eine Entdeckung, die ihr Dozent Thomas Eißing als Seltenheit einstuft: Unter dem Dach der Fischerei 5 haben sich bauliche Zeugnisse jener Kriegsjahre erhalten, in denen die Bamberger Häuser bis in die letzte Ecke bewohnt waren.
Grund: Ungezählte Flüchtlinge und Vertriebene brauchten ein Dach über dem Kopf.

Auch auf dem extrem schmalen Spitzboden der Fischerei 5 hausten damals Menschen. Aus heutiger Sicht unvorstellbar; doch die Indizien für diese "Wohnraumverdichtung" ab den späten 1930er Jahren sind eindeutig, so Eißing.

Ein (später wieder zugemauertes) Fensterchen in der Westseite des Giebels, hölzerne Trennwände mit Öffnungen für eine wenigstens indirekte Belüftung und Belichtung, gegen die Dachlatten gelehnte Bretter als notdürftiger Schutz vor Kälte und Hitze, die mit Kalk bestrichenen Holzteile, was eine in Krieg eine gängige Brandschutzmaßnahme gewesen sei - all dies sind nach Angaben des promovierten Ingenieurs und Diplom-Holzfachwirts Beweise dafür, dass mehrere Familien zeitgleich auf dem Dachboden gelebt hätten.

Flüchtlinge hausten unterm Dach

Wie stickig es da oben im Sommer gewesen sein muss (und wie eisig im Winter) - das ließ die Vorort-Präsentation an einem heißen Sommertag erahnen.
Als Gast nahm der frühere Stadtheimatpfleger Hanns Steinhorst teil, der in Klein-Venedig aufgewachsen ist und sich noch gut an die Verhältnisse während des Kriegs und speziell in der Fischerei 5 erinnert. Obwohl ein Freund dort wohnte, habe er ihn nie besucht, erzählte Steinhorst: "Ich habe die Luft in dem Haus nicht ertragen."

Zu den Teilnehmern am Ortstermin gehörten auch Architekt Heinz Rosenberg und Restaurator Harald Spitzner - sie bereiten die Sanierung im Auftrag der Universitäts-Stiftung vor: Das "Haus zum Fischwirt" sieht einer Zukunft als Gästehaus der Hochschule entgegen.

Die beiden Praktiker gehen davon aus, dass sozialgeschichtliche Befunde wie die in der Fischerei 5 auf vielen Bamberger Dachstühlen möglich gewesen wären - wenn sich vor Sanierungsbeginn oder Umbauten Leute mit entsprechend geschultem Blick umgesehen hätten. Weil das wohl selten der Fall war, scheint ein Kapitel neuerer Bamberger Geschichte fast verloren gegangen zu sein.

So war es auch für die amtierende Stadtheimatpflegerin Stephanie Eißing (Ehefrau von Thomas Eißing) das erste Mal, dass sie bauliche Eingriffe zu sehen bekam, die der kriegsbedingten "Wohnraumverdichtung" geschuldet sind.

Heinz Rosenberg und Harald Spitzner äußerten am Rand des Ortstermins den Wunsch, dass bei allen Sanierungsvorhaben so gründliche Voruntersuchungen stattfinden würden. Denn, so Spitzner: "Es gibt in Bamberg kein historisches Gebäude, das nicht noch eine historische Schicht hat."

Rosenberg hebt den finanziellen Aspekt hervor. Je genauer man über den Zustand eines Objektes Bescheid wisse, umso präziser könnten Planung und Kalkulation sein.
Dass Voruntersuchungen sich anscheinend auch im Welterbe Bamberg oft auf ein Minimum beschränken, erklären der Architekt und der Restaurator mit dem Baurecht. Für das Öffnen von Decken sei ein separates Genehmigungsverfahren nötig, weil dies nach dem Gesetz schon als "vorläufiger Baubeginn" gelte. Sie wünschten sich, Bamberg würde planungsrechtlich seinen eigenen Weg gehen . . .