Ehrfurcht trifft auf Adrenalin
Autor: Sebastian Martin
Geisfeld, Sonntag, 31. Juli 2016
Draußen im Wald fühlt sich Corinna Hemmer wohl. Die junge Mutter schildert ihre Erlebnisse in der traditionell männlich geprägten Jägerei.
Das Bild des Jägers wandelt sich: Inzwischen finden sich unter den 729 Mitgliedern im Kreisverband Bamberg auch 67 Frauen, die ebenso die knapp zehnmonatige Jagd-Ausbildung durchlaufen haben. Das sogenannte grüne Abi hat auch Corinna Hemmer aus dem Scheßlitzer Ortsteil Stübig in der Tasche. Sie geht im Revier ihres Vaters auf die Pirsch. Doch ist das nur ein kleiner Teil der Arbeit. Viel mehr Zeit als auf dem Hochsitz verbringt die 29-Jährige auf dem 470 Hektar großen Gebiet in Geisfeld mit Hege und Pflege.
Sie sind seit 2010 Jägerin. Ist es als junge Frau schwierig, sich in einer bisher männlich geprägten Welt durchzusetzen?
Ganz im Gegenteil, die Jäger stehen den Frauen recht positiv gegenüber. Ich habe noch nie etwas Negatives gehört.
Wie sind Sie zur Jagd gekommen?
Ich stamme aus einer Jägerfamilie, mein Papa und mein Onkel gehen jagen, und auch mein Mann ist Jäger. Wir haben uns auch bei der Jagd kennengelernt...
Sind Sie sich zufällig im Wald begegnet?
Ne! (lacht) Man lernt sich meistens bei Gesellschaftsjagden kennen, so war das auch bei uns. Außerdem kannte mein Mann meinen Vater. Über meinen Vater bin ich auch zur Jagd gekommen, mit ihm war ich als Kind sehr viel draußen. Das hat mich geprägt: Ich war schon immer eine derjenigen, die im Schwimmbad lieber die Jagdzeitung dabei hatten und nicht die Bravo.
Können Sie sich an Ihre erste Jagd erinnern?
Das war total aufregend. Im Dezember hatte ich meinen Jagdschein bestanden. Danach saß ich das erste Mal allein auf meiner Lieblingskanzel. Es lag extrem viel Schnee. Und ich hatte viel Anblick, was ich in den letzten Jahren selten so erlebt habe - damals habe ich meinen ersten Hasen erlegt.
Wie war das?
Man bekommt so etwas wie einen Adrenalinschub, aber das ist auch heute noch so. Ich finde, das sollte auch so sein.
Muss eine gewisse Ehrfurcht vorhanden sein?
Ja, genau. Die war da, und die ist bis heute da. Im Übrigen war es gut, dass ich einen Hasen erlegt habe. Mein Vater hatte vorher gesagt, dass es das an Weihnachten zu essen gibt, was ich als erstes erlege. Ich glaube, auch er war ganz froh, dass es nicht ein Fuchs war... (lacht)
Müssen Sie Abschussquoten beachten?
Ja, die gibt es beim Rehwild. Danach müssen wir uns richten.
Ist es schwierig, die Quote zu erfüllen?
Ja, sehr...
Woran liegt das?
Daran, dass wir eigentlich nicht so viel schießen wollen, wie uns vorgegeben wird. Es gibt mit Sicherheit Reviere, wo die Quote richtig angesetzt wird. Aber die sogenannten Verbissgutachten, werden auf einem kleinen Fleck des Reviers erstellt. Wenn nur diese paar Meter extrem verbissen sind, dann ist es leider recht schnell so, dass wir mehr schießen müssen, als wir können oder wollen. Wir haben auch schon Widerspruch eingelegt und haben uns die Abschussquote senken lassen.
Was macht es so schwer?
Es ist so, dass ich zehn bis zwanzig Mal draußen sitze, bis ich ein Tier erlege. Denn, es wird nicht wahllos drauf los geschossen. Diejenigen, die so was machen, werden von uns nicht toleriert.
Wann sind Sie auf der Jagd?
Momentan bin ich in Elternzeit, da wir eine fünf Monate alte Tochter haben, da ist es schwierig für mich, auf die Jagd zu gehen. Als ich noch gearbeitet habe, war ich meistens in den Abendstunden draußen. Es kommt aber darauf an: Will man Rehwild erlegen, geht man in der Regel früher raus, bei Wildschweinen später. Da kann man schon mal eine Nacht durch sitzen...
War das bei Ihnen schon mal der Fall?
Ja, mein längster Ansitz waren 14 Stunden von 18 Uhr bis 8 Uhr morgens bei minus 20 Grad!
Wie hält man das aus?
Mit Tee und Decken geht das schon...
War das erfolgreich?
Nein! (lacht) Aber 14 Stunden sind schon die Ausnahme...
Wird es einem da nicht langweilig?
Es ist nicht zu leugnen, dass ich ab und zu mal eingedöst bin. Aber man gerät in einen Schlaf, bei dem man jedes Geräusch mitbekommt.
Haben Sie da keine Angst allein im Dunkeln?
Das ist vielleicht einer der Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Ich habe immer ein bisschen ein mulmiges Gefühl. Aber nur vom Ansitz zum Auto. So lange ich auf der Kanzel sitze, ist alles in Ordnung. Mein Vater hat zu mir mal gesagt: Wenn man morgens ums 3 Uhr in der Großstadt unterwegs ist, ist es wesentlich gefährlicher, als hier im Wald. Und damit hat er recht.
Mussten Sie sich eigentlich schon mal rechtfertigen für das, was Sie tun?
Das gibt es wohl. Bei mir war das bisher aber nicht der Fall. Ganz im Gegenteil, wenn ich mit Leuten darüber rede, sind die eher offen. Viele trauen es mir einfach nicht zu - das ist eigentlich mehr die Reaktion. Es ist immer noch das Bild in der Öffentlichkeit da, dass ein alter Mann mit Lodenmantel und einem Dackel zur Jagd geht und nicht eine junge Frau.
Sind bei Ihnen im Kreisverband viele Frauen?
Im Umkreis gibt es viele Jägerinnen. Hauptsächlich jüngere. Das gehört mittlerweile dazu.
Tauschen Sie sich aus?
Ja, es gibt ein Jägerinnenforum, das ist eine nette Sache. Und ich war schon mal auf einer reinen Damenjagd in Thüringen. Da gab es eben mehr Kuchen. (lacht) Aber im Endeffekt haben wir wieder die Männer gebraucht, um das Wild zu bergen. Also, die Männer gehören auch zur Jagd!
Das Gespräch führte
Sebastian Martin.