Druckartikel: Diese Menschen nicht vergessen - Angehörige berichten über Heimbesuche in der Pandemie

Diese Menschen nicht vergessen - Angehörige berichten über Heimbesuche in der Pandemie


Autor: Anette Schreiber

LKR Bamberg, Montag, 23. November 2020

Ihre Angehörigen in Heimen und Menschen mit Behinderung liegen unseren Anrufern besonders am Herzen, weil sie es in diesen Zeiten, aber auch sonst noch schwerer haben.
Symbolbild: Katarzyna Bialasiewicz/adobestock.com


"Sag's der Schreibera" lautete unser Angebot letzte Woche und etliche Ältere haben es genutzt, um das loszuwerden und anzusprechen, was sie in diesen außergewöhnlichen Zeiten bewegt.

Da ist etwa eine 69-Jährige aus Stegaurach, ihre 98-jährige Mutter ist blind und auch fast taub. Seit sieben Jahren lebt sie in einem rund 50 Kilometer entfernten Heim nahe ihres vorherigen Wohnortes. Seitdem besucht die Tochter sie dreimal die Woche. Anfangs für immer jeweils etwa zwei Stunden. Seit es ihr schlechter geht und vor Corona waren dann fünf Stunden daraus geworden. Immer von 11 bis 16 Uhr. Die 69-Jährige hat sich in diesen Stunden mit der Mutter unterhalten, ihr vorgelesen, sie gefüttert, bemuttert, mit ihr Kaffee getrunken. Dabei saß oder lag die Mutter, je nachdem, was ihr gerade leichter fiel.

Und jetzt? Jetzt trifft man sich in einem dafür vorgesehenen Raum. Von einander getrennt mit einer Plexiglasscheibe. Jeder mit einer Maske vor dem Gesicht. "Ganz schwer für jemanden, der nichts sieht und kaum hört". Wichtig wäre da Körperkontakt, doch das ist untersagt. Auf das Zimmer der Mutter darf die Tochter erst recht nicht. Wobei der Besuch für die Mutter wesentlich besser wäre. Schon allein weil die 98-Jährige da nicht in dem Pflegestuhl sitzen muss, "in dem ihr alles wehtut".

Die 69-Jährige und ihr Mann haben alles versucht, sind sogar vor Gericht gegangen. Dennoch, es gibt keine Ausnahme.

Monatelang weggesperrt

Diese Situation belastet, ja schmerzt die Tochter. "Meine Mutter versteht nicht, warum ich nicht mit auf ihr Zimmer, oder warum ich sie nicht berühren darf." Das Wort Virus versteht sie natürlich sowieso nicht.

Wenn man näher beieinander sei, bekomme man mehr mit, wie es dem anderen, der sich nicht mehr gut äußern kann, wirklich geht. Bei der vorgeschriebenen Distanz sei das nicht möglich. Die Stegauracherin findet: "Die Menschen sollen einmal darüber nachdenken, dass Senioren (in Heimen) schon monatelang eingesperrt, weggesperrt sind." Das belaste sie arg. "Wenn ich gehe, sagt sie keinen Ton." Noch mehr bedauert sie die Heimbewohner, die keine Angehörigen und gar keine Besuche haben. Im Dezember stünde der 99. Geburtstag der Mutter an. "Wie das gehen soll, weiß ich noch nicht."

Wie alles bei ihm am allerbesten weitergehen sollte, das hat ein 72-jähriger Bamberger eigentlich klar vor Augen: "Ich überlege, ob ich sie nicht wieder heimhole." Die Leidensgeschichte seiner Frau hat vor vier Jahren mit einem Schlaganfall begonnen, von dem vor allem Sprachverwirrung geblieben ist.

Durch die Vielzahl von Einschränkungen im Zusammenhang mit Corona, was der Gattin unter anderem zweimal (vorsorglich) Quarantäne beschert hatte, ist es inzwischen so weit, dass sie von der Klinik direkt in ein Altersheim gekommen ist. Und seitdem kann sie auch nicht mehr laufen. Dabei ist ihr Mann nach verschiedenen Begebenheiten überzeugt, dass sie dazu durchaus wieder in der Lage sein könnte. Nur: Die derzeitige Beschränkung von zwei wöchentlichen Besuchen mit höchstens je 30 Minuten lassen es nicht zu, dass er mit der Frau üben könnte. "Ich bräuchte dringend eine Ausnahmegenehmigung."

"Ich sitze daheim und sinniere", sagt er. Immer wenn er sich von seiner Frau verabschiedet, hat er kein gutes Gefühl. Das Personal sei zwar sehr nett, "aber total überlastet", wie er immer wieder feststellen muss. Im Heim werde eben nur das Nötigste getan. Die Situation belaste ihn psychisch. "Ich bin nicht mehr der, der ich einmal war." Seit 39 Jahren ist er mit seiner Frau zusammen. "Sie ist mein Gegenpol", sagt er. Und: "Ich kann es nicht ertragen, dass meine Frau nicht bei mir ist."

Er sei derzeit zu kurz bei ihr, um bewerten zu können, wie es ihr wirklich geht. So sinniert er. Die beiden Kinder, die in Amerika leben, sind da auch kein Trost. Enttäuscht zeigt sich der Rentner von dem, was von der Bundesregierung kommt: "Über die alten Leute wird gar nicht gesprochen."

Seit acht Jahren betreut

"Überall werden Behinderte vergessen", erbost sich eine 71-jährige Hallstadterin in einer ähnlichen Richtung. Seit sie in Rente ist, engagiert sie sich als ehrenamtliche Betreuerin. Unter anderem seit acht Jahren für einen 47-jährigen Bamberger, der eine geistige Behinderung hat und dadurch unter anderem nicht lesen und schreiben kann. Nun kam auch noch eine Knie-OP dazu, an die sich eine Reha anschließen sollte. Dorthin kam ihr Schützling mit einem negativen Corona-Test des Hausarztes. Vor Ort wurde er einem weiteren Schnelltest unterzogen, der gleichfalls negativ ausfiel.

Doch weil der 47-Jährige heiser war, wurde sofort ein weiterer Test gemacht - und der Mann umgehend wieder nach Hause gebracht. Er war am 13. November um 10 Uhr in der Einrichtung angekommen und um 13 Uhr wieder daheim. "Statt dass man ihn aufs Zimmer und dort gelassen hätte, bis das Ergebnis feststand", erbost sich die Betreuerin. Dieses gab es erst Mittwoch dieser Woche und es war negativ, wie sie nach einer Vielzahl von Telefonaten eher zufällig herausfand. Bis dahin war ihr Schützling "völlig alleingelassen", kritisiert die Betreuerin. Erst nach mehrmaligem Intervenieren ist ein neuer Reha-Termin zustande gekommen.

Hier nicht jammern

Nun wünscht sich die Hallstadterin ganz intensiv, dass sich jemand findet, der dem Mann Lesen und Schreiben beibringt. Denn dann hätte er es zumindest ein bisschen leichter im Leben. (Die Redaktion stellt den Kontakt her, Tel. 0951/132 96 108).

Corona schränkt wie alle auch eine 81-jährige Bambergerin ein, die wegen der Arbeit des Mannes (84) viele Jahre in diversen Ländern verbracht hatte. Auch Kinder und Enkel leben heute im Ausland. "Normalerweise haben wir uns immer dreimal im Jahr getroffen und wir sind traurig, dass wir sie nicht sehen", sagt die Dame. So skypt die Familie. Eben wegen ihrer Auslandserfahrung weiß die Bambergerin: "Ich bin sehr froh, dass wir in dieser komischen Zeit in Bamberg sind." Hier gehe es einem wirklich gut. Im Vergleich zu anderen Ländern müsse man sich mit dem Jammern zurückhalten, rät sie. Sie freut sich über die Arbeit im Garten und auf die Einkäufe "bei Frau Döll". Im Übrigen habe sie sich gefreut, "dass der FT so eine Sache gemacht hat."

FT-Lektüre als Motivation

Um mitzuteilen, was ihn in der durch Corona eingeschränkten Zeit motiviert, hat ein 69-Jähriger aus Gaustadt angerufen. Vereinfacht dargestellt sei es die Beschäftigung mit dem, was über den Fränkischen Tag, den er online abonniert hat, kommuniziert wird. Als Gaustadter interessiert er sich natürlich besonders für die Entwicklung in Sachen Baugebiet Jungkreuth. Wozu er eine ganz klare Meinung hat: "Ich bin dafür, dass es so bleibt wie es ist." Und angesichts des Berichts über zu sanierende, leerstehende, denkmalgeschützte Häuser, argumentiert er, dass erst hier alles getan werden solle, damit diese Objekte bewohnt werden können, bevor man an über die Ausweisung neuer Gebiete nachdenkt. Über die Beschäftigung mit seiner Lektüre und dem Thema Klimaschutz sei er selbst aktiv geworden.

Als Online-Leser ist der gebürtige Wuppertaler mit neuen Medien vertraut und froh, dass die Stadt Bamberg nun auch etwa Youtube nutzt. Das alles helfe bei der momentanen Kontaktlosigkeit. Er begrüßt es ausdrücklich, dass man über die FT-Aktion nun auch einmal - fast live - zusammenkommt. Ansonsten sein Tipp: "Am Abend gibt es nix Besseres als ein regionales Bier".

Kommentar von Anette Schreiber: "Was oft übersehen wird."

Gut, dass ich das mal loswerden konnte, hat eine Anruferin gesagt. Gut, dass Sie sich getraut hat.

In unserer Gesellschaft sind es meist die Lauten, die Unverschämten und die mit spitzen Ellenbogen, die Aufmerksamkeit erlangen. Und doch ist da vermutlich eine ungleich höhere Zahl, die stumm und im Verborgenen leidet.

Dieses verdeckte Leid muss benannt, beleuchtet werden. Sonst wird es nie enden.

Wer selbst einen nahestehenden Menschen im Krankenhaus oder im Heim hat, weiß um die Probleme. Viel zu wenig Personal, und selbst wenn es wohl meinend agiert, langt alles nicht. Einigermaßen beruhigt kann man da nur bei regelmäßigen Besuchen sein. Und die sind eben gerade nicht möglich.

Man möchte nicht in der Haut derer stecken, die sich nicht mitteilen können, oder die von und für die Besuche leben. Oder jemand zu sein, der von allen vergessen wurde und nur noch die Gemeinschaft im Heim hat.

Aber auch Menschen mit Behinderung stehen es in regulären Zeiten eher am Rand der Gesellschaft. So brauchen gerade die Menschen, die sie unterstützen mehr Unterstützung. Oder auch mal nur jemanden, wo sie ihren Frust formulieren können. Auch dafür war unsere Aktion da.