Die Nacht nach der Sandkerwa braucht Männer ohne Furcht und Ekel
Autor: Sabine Christofzik
Bamberg, Freitag, 22. August 2014
Zerbrochenes, Erbrochenes, Zerknülltes, Vermülltes -Wer räumt in Bamberg den Sandkerwa-Dreckspatzen hinterher?
Hoppla, da haben sie aber was übersehen, die "Schatzsucher". Vor 20 Minuten hat Edmund Wicht noch von denjenigen erzählt, die nach Schankschluss mit Taschenlampen und scharfem Blick durchs Sandgebiet streifen und nachschauen, ob Pfandflaschen liegengeblieben sind oder ob im Kerwatrubel nicht jemandem ein Kettchen vom Hals gefallen oder ein Geldschein aus der Hosentasche gerutscht ist. Denn das kann jedem passieren. Jetzt bückt er sich und hebt ein blaues Kartenmäppchen auf.
Für das Mädel wird die Sandkerwa wohl gelaufen sein! Alles was die junge Frau braucht, um sorgenfrei weiterfeiern zu können, hält der Straßenreinigungsmeister in seinen Händen. Ein Studentenausweis der Uni Graz ist dabei, eine Rabattkarte der Österreichischen Bundesbahn und eine Bankkarte (Bank of China). Unter anderem. Selbstverständlich kommt das Mäppchen ins Fundbüro.
Vielleicht war die Studentin ja mittlerweile dort schon - falls ihr diese Idee gekommen ist und falls sie Gelegenheit dazu hatte. Oder vielleicht liest diesen Bericht jemand, der sie und ihren Kummer kennt...
Beinahe wären die Karten in der Kehrmaschine gelandet. Denn als die Straßenreiniger vom Entsorgungs- und Baubetrieb der Stadt Bamberg (EBB) diesen Teil der Sandstraße unweit der Markusbrücke bearbeitet haben, war es noch finster und das Etui wahrscheinlich nicht als solches zu erkennen.
Leichtsinnige Autofahrer
Weit ausholend schwingen sie die übermannshohen Reisigbesen, die altmodisch aussehen, aber effektiv sind. Mit einem Wisch kriegt man damit mehr weg, als mit einem flachen Besen, der Staub und Schnipsel vor sich herschiebt. Die Männer in der orangefarbenen Kleidung leisten per Hand Vorarbeit für das, was die Kehrmaschine zu Ende bringt: Den Müll von der Straße schaffen.
Glasscherben knirschen unter den Reifen der Autos, die in die Sandstraße einbiegen. Edmund Wicht schüttelt den Kopf. "Wenn die meinen, dass das sein muss... die sehen doch, dass hier noch nicht sauber ist", wundert er sich über den Leichtsinn der Fahrer.
Er weiß, wovon er spricht, denn oft genug muss er dafür sorgen, dass eine Kehrmaschine, die einen "Platten" hat, so schnell wie möglich wieder flott gemacht wird. Mindestens einmal pro Sandkerwa, wenn nicht öfter. Und das, obwohl nur noch kleine und mittelgroße Fahrzeuge eingesetzt sind, bei denen die Tellerbesen vor den Vorderrädern rotieren.
Größere Abfallteile (Pizzapappen, Flaschen, kaputte Bierkrüge) haben die Straßenkehrer vorher schon auf ihre Karren geladen. Sandkerwamüll ist wegen seiner Zusammensetzung Spezialmüll. Er wird verbrannt. Im Gegensatz zu den rund 25 Tonnen normalem Straßenkehricht pro Woche, die zur Wiederaufbereitung geschafft werden. Die verwertbaren Anteile finden im Straßenbau Verwendung.
Seit 5 Uhr arbeitet sich der Teil des Kehrertrupps, der aus Richtung Altes Krankenhaus kommt, durchs Sandgebiet (eine zweite Mannschaft beginnt mit der Arbeit an der Brudermühle). Gegen 1.30 Uhr haben ein Kehrer und eine Kehrmaschine die Markusbrücke wieder befahrbar gemacht.
"Seit einigen Jahren scheint das der Treffpunkt zu sein. Die Leute sitzen mitten auf der Straße", erzählt der Einsatzleiter. Was da liegenbleibt, wenn die Feiernden verschwunden sind, ist manchmal höchst unappetitlich.
Zwölf Kräfte zusätzlich hat Edmund Wicht heute im Einsatz. "Och, das ist normal, für einen Freitagmorgen", sagt er beim Marsch durch die Sandstraße und beim Blick auf die Abfallmassen mehrmals. Nicht zu vergleichen mit dem Jahr, in dem "Pflümli"-Schnaps anscheinend das In-Getränk auf der Sandkerwa war. "Stellenweise wie ein Teppich lagen die Fläschchen auf der Fahrbahn."
Flaschen stehen und liegen auch jetzt genug herum. Kaputt, intakt, teilweise noch halb gefüllt. Pfützen, die garantiert nicht aus Wasser bestehen, verdunsten in der Morgenluft.
Verschmutzte Hauseingänge
Wildpinkler bleiben ein Problem - obwohl an drei Stellen im Festgebiet Urinale aufgestellt sind. Kurzer Abstecher von der Sand- in die Aufseßstraße. Das Freiluft-Herrenklo wirkt im Straßenlampenlicht fast unbenutzt. Das sieht man nicht nur, das riecht man auch. Einem der Becken entströmt noch immer Pfirsichduft. Genau wie am Abend zuvor. Stattdessen stinkts (nicht nur in der Habergasse, dem Ganzjahres-Brennpunkt) aus vielen Hauseingängen.
Wer betrunken ist, lässt, so scheint's, alle Hemmungen fallen. Und manchmal auch die Hüllen. "Kleidungsstücke finden wir auch ab und zu", sagt Edmund Wicht. "Einmal an der unteren Brücke sogar einen kompletten Satz Klamotten. Da haben wir der Polizei Bescheid gesagt. Es war ja nicht auszuschließen, dass da möglicherweise einer von der Brücke ins sehr niedrige Wasser gesprungen ist".
"Ey, fahrt mich mal heim!"
Manchmal steckt in den gefundenen Kleidern noch der Besitzer. Dass die Straßenkehrer Betrunkene mit dem Besen anstupsen und sie nicht wachkriegen, kommt auch vor.
Feiernde, die zu tief ins Glas geschaut haben, scheinen gerne mal die großen, orangen Stadt-Fahrzeuge mit kleineren, cremefarbenen Taxis zu verwechseln. Dann verlangen sie, heimgebracht zu werden.
Von benebelten Nachtschwärmern müssen sich die Männer von der Straßenreinigung zwar schon mal Pöbeleien anhören, aber in den meisten Fällen ziehen die Zecher nach einem kurzen Wortwechsel weiter.
Es ist hell geworden und die erste Kehrmaschine ist da. Vom Tellerbesen in Schwung gebracht und vom Saugschlund inhaliert, verschwinden die Spuren einer Sandkerwa-Nacht im Sammeltank. Gleich passiert das Fahrzeug die Stelle, wo das Kartenmäppchen lag. Vielleicht schauen heute Nacht nicht nur alle "Schatzsucher" noch ein bisschen gründlicher auf den Boden. Denn etwas zu verlieren, das kann jedem passieren.