Die Kernkraft geht, die Probleme bleiben
Autor: Günter Flegel
Grafenrheinfeld, Donnerstag, 25. Juni 2015
Am Samstag endet in Franken die Ära der Atomkraft: Eon schaltet das Kernkraftwerk in Grafenrheinfeld ab. Die Umweltschützer jubeln, Skeptiker fürchten um die Stromversorgung. Und alle anderen Probleme sind damit nicht vorbei.
Der letzte Akt geht ganz leise über die Bühne: Wenn Eon am späten Samstagabend das Atomkraftwerk in Grafenrheinfeld abschaltet, bekommt das nur eine Handvoll Techniker mit.
Die Atomkraftgegner, die an diesem Abend auf den Mainwiesen feiern, werden sich schwer tun, punktgenau auf die Stunde Null anzustoßen. Weder gehen die Lichter aus, noch verschwinden die Wolken über den Kühltürmen mit einem großen Knall. Abschalten ganz entspannt.
Grafenrheinfeld war eine Säule der Energieversorgung in Bayern. Der Atommeiler erzeugte seit Inbetriebnahme 1981 jedes Jahr 10,5 Milliarden Kilowattstunden Strom, genug für 15 Millionen Menschen, ein Exportschlager: Unterfranken hat ja nur 1,3 Millionen Bürger.
Eon hat bis zuletzt betont, dass das älteste Kernkraftwerk Deutschlands technisch auf der Höhe der Zeit ist und noch lange laufen könnte. Zahlreiche "Nafu"-Projekte haben Grafenrheinfeld, eines der "sichersten Kernkraftwerke der Welt" sogar noch sicherer gemacht. "Nafu" ist Energieerzeuger-Slang für die "nach Fukushima" vom Gesetzgeber verordneten Nachrüstungen.
Mit dem politisch gewollten Ausschließt sich der Kreis, denn der Einstieg in die Kernenergie und ihr massiver Ausbau waren politischer Wille. Es gab nur zwei Atomminister in Deutschland; einer war, kein Zufall, der spätere bayerische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß.
F.J. Strauß rüstet auf
Strauß wollte vor allem die atomare Aufrüstung der Bundesrepublik; die Atomkraftwerke waren für ihn vor allem Brutstätten für waffenfähiges Uran und Plutonium, der Strom nur ein Nebenprodukt.
Das Erbe dieser Politik ist in der Tat furchterregend: Grafenrheinfeld hat Tag für Tag 60 Kilogramm hoch radioaktiven Abfall erzeugt, in allen bayerischen Atomkraftwerken waren es bis jetzt fast 4000 Tonnen. Nach einem sicheren Endlager für dieses Restrisiko wird noch gesucht.
Bis dahin muss es in Grafenrheinfeld "Bella" tun, so der possierliche Name für das Zwischenlager. Hier lagern 20 Castor-Behälter mit abgebrannten Brennstäben, Platz für 68 weitere ist vorhanden. In jedem einzelnen Castor-Behälter steckt mehr Radioaktivität, als bei der Katastrophe in Fukushima freigesetzt wurde: bis zu 3,5 x 10 hoch 17 Becquerel, das ist eine Zahl mit 17 Nullen.
Entspannt abschalten kann also niemand, der um das Risiko der Kernkraft weiß. In den nächsten fünf Jahren müssen die letzte Brennelemente erst einmal im Abklingbecken zur Ruhe kommen und so weit abkühlen, dass sie in Castoren verpackt werden können. 20 Jahre und eine Milliarde Euro setzt Eon für den Abriss des Kraftwerks an, der im kritischen - verstrahlten - Bereich zum Teil von Robotern und ferngesteuerten Wasserschneidern erledigt wird. "Aus" heißt bei einem Kernkraftwerk nicht aus und vorbei. Der letzte Akt wird noch lange dauern.
Energiewende in Zitaten
Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU), 25. Juni 2015: "Niemand, kein Unternehmen, kein Privatmann, wird spüren, dass der Reaktor Grafenrheinfeld vom Netz ist."
Angela Merkel (CDU), als Bundesumweltministerin, 5. Dezember 1994:
"Im Licht des CO2 -Problems ist die Kernkraft eine saubere, unter Sicherheitsaspekten verantwortbare Energie und auch für die Zukunft wichtig."
Angela Merkel als Bundeskanzlerin, 15. Juni 2009: "Wenn ich sehe, wie viele Kernkraftwerke weltweit gebaut werden, dann wäre es wirklich jammerschade, sollten wir aus diesem Bereich aussteigen."
Merkel, 14. März 2011: "Wenn wir von der Kernenergie als Brückentechnologie sprechen, dann bedeutet das nichts anderes, als dass wir aus der Nutzung der Kernenergie aussteigen möchten."
Merkel, 9. Juni 2011:
"In Fukushima haben wir zur Kenntnis nehmen müssen, dass selbst in einem Hochtechnologieland wie Japan die Risiken der Kernenergie nicht sicher beherrscht werden können." In der selben Regierungserklärung zur Energiewende: "Für dieses gemeinsame Projekt werbe ich mit aller Kraft und mit aller Überzeugung."
Bayerns Ministerpräsident
Horst Seehofer (CSU), 28. Juni 2001:
"Wenn wir schnell sind, ist die Energiewende in Deutschland ein einziges großes Konjunkturpaket für Bayern."
Seehofer, 30. Juni 2010: "Weil wir mit den regenerativen Energien noch nicht so weit sind, können wir auf die Kernkraft auch noch nicht verzichten."
Seehofer, 30. Mai 2011
über den Fahrplan der schwarz-gelben Koalition zur Energiewende: "Der Atomausstieg wird bis 2022 vollzogen und ist unumkehrbar."
Der damalige Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU), 28. Oktober 2010
bei einer Debatte im Bundestag zur geplanten Laufzeitverlängerung von deutschen Kernkraftwerken in Richtung Opposition: "Sie sind energiepolitische Blindgänger."
Röttgen, 30. Mai 2011
zu den Ausstiegsplänen der Koalition: "Das Ergebnis ist konsistent und konsequent."
Röttgen, 30. Juni 2011
zum Atomausstieg und dem Erneuerbare-Energien-Gesetz: "Das ist das größte Modernisierungs-, Innovations-, und Investitionsprojekt für Deutschland seit langem".
Der damalige FDP-Generalsekretär, jetzt Vorsitzende Christian Lindner, 6. Februar 2010
über Umweltminister Norbert Röttgens (CDU) erfolgloses Werben für die Beibehaltung des alten, von Rot-Grün beschlossenen Atomausstiegs: "Umweltminister Röttgen kapituliert vor diffusen Ängsten gegenüber der Kernenergie. Die zusätzlichen Einnahmen für den Staat aus einer Laufzeitverlängerung der Kernenergie schaffen die finanziellen Voraussetzungen für eine Energiewende."
Die damalige Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU), 6. Juli 2008:
"Es geht heute in Deutschland nicht darum, neue Kernkraftwerke zu bauen, aber wer kann sagen, ob das auch noch in zehn Jahren gilt?"
Schavan, 4. April 2011:
"Es besteht ein breiter gesellschaftlicher Konsens, dass wir den Umbau der Energieversorgung beschleunigen. Es geht nicht nur um Laufzeit oder Atomausstieg, sondern um neue Wege."
Der damalige Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP), 28. Mai 2009:
"Es macht keinen Sinn, wenn Deutschland aus ideologischen Gründen aus der sichersten Kerntechnik der Welt aussteigt."
Westerwelle, 13. März 2011: "Wir haben eine Option zur befristeten Weiternutzung der Kernkraft geschaffen - aber keine Garantie zum Weiterbetrieb jedes einzelnen Kraftwerks."
Westerwelle, 29. Oktober 2010: "Diejenigen, die gestern gegen Kernenergie, heute gegen Stuttgart 21 demonstrieren, agitieren, die müssen sich dann auch nicht wundern, wenn sie übermorgen ein Minarett im Garten stehen haben."
Westerwelle, 6. April 2011:
"Wenn wir den Aufbau der erneuerbaren Energien maximal beschleunigen und Widerstände gegen Pumpspeicherkraftwerke und Ähnliches überwinden können, dann ist ein Umstieg auch in einem Jahrzehnt denkbar."
Stefan Mappus (CDU), bis 2011 Baden-Württembergs Ministerpräsident, 23. März 2010:
"Ich bin für den Ausstieg aus dem Atomausstieg. Das heißt im Klartext: Solange ein Atomkraftwerk sicher ist, muss man seine Laufzeit nicht begrenzen."
Mappus, 14. März 2011:
"Jetzt reicht es nicht mehr zu sagen: Die Kernkraftwerke in Deutschland sind sicher. Alles kommt auf den Prüfstand.
Bayerns damaliger Umwelt-, jetzt Finanzminister Markus Söder (CSU), 12. Juni 2010: "Wer den Klimaschutz ernst nimmt, weiß: Wir sind weiter auf die Kernkraft angewiesen."
Söder, 30. Mai 2011, über den von Schwarz-Gelb beschlossenen Atomausstieg:
"Ich freue mich deswegen, weil es gerade auch mein Vorschlag, der Vorschlag von Horst Seehofer und der Vorschlag der CSU war."
EU-Energiekommissar Günther Oettinger (CDU), 30. Juni 2008, als baden-württembergischer Ministerpräsident:
"Kernenergie ist im Energiemix ein unverzichtbarer Bestandteil."
Oettinger, 15. März 2011:
"Ich schließe nicht aus, dass wir abschalten müssen."
Rainer Brüderle, ehemaliger FDP-Fraktionschef im Bundestag, 12. Februar 2010:
"Wir brauchen die Kernkraft als Brückentechnologie, und diese Brücke muss lang genug sein."
Brüderle, 30. Mai 2011 über den von Schwarz-Gelb beschlossenen Atomausstieg:
"Wir haben das Tempo des Umsteuerns in das Zeitalter der erneuerbaren Energien verschärft."
Kommentar
Sonntagmorgen in Franken: Läuft die Kaffeemaschine? Wenn ja, dann ist das der Super-Gau für alle, die noch an die Atomkraft glauben. Am Samstagabend wird das Kernkraftwerk im unterfränkischen Grafenrheinfeld für immer abgeschaltet. Mit 33 Jahren steht hier der älteste und mit 1350 Megawatt Leistung einer der stärksten Atommeiler Deutschlands. Bis jetzt hat die Anlage zehn Prozent des in Bayern verbrauchten Stroms produziert. Und täglich 60 Kilogramm hochradioaktiven Müll. Diese wenigen Zahlen verdeutlichen, dass die Abschaltung nicht das Ende der Diskussionen bedeutet. Dass sich die Stromlücke ab Sonntag nach Einschätzung aller Fachleute problemlos schließen lässt, bestätigt die Befürworter der Energiewende; die Kaffeemaschine sei Zeuge. Die ungeklärte Frage, wo zigtausend Tonnen Atommüll dauerhaft sicher gelagert werden sollen, und der auf 20 Jahre angesetzte, finanziell kaum kalkulierbare Rückbau sind Probleme, die sich nicht per Knopfdruck lösen lassen. Die Atomkraft in Franken ist Geschichte. Der Umgang mit dem strahlenden Erbe aber ist eine Hypothek für viele zukünftige Generationen.