"Die Energie- und Umwelttechnikbranche braucht klare politische Vorgaben"
Autor: Michael Memmel
Hirschaid, Sonntag, 25. Dezember 2016
Vor gut fünf Jahren begannen die Planungen für den Energiepark Hirschaid, im April 2014 wurde er schließlich mit der ersten Energiemesse eröffnet.
Seitdem ist in dem Veranstaltungs- und Kompetenzzentrum viel geschehen: Es gab eine Auszeichnung mit dem EU-Green-Building-Award, Partietage auf Landes- und Bundesebene gingen über die Bühne sowie interne Veranstaltungen von Konzernen und Verbänden, zudem wurden diverse Kooperationen unter anderem mit der IHK Oberfranken initiiert. Umso mehr bedauert Inhaber Frank Seuling, dass viele Bürger aus der Region fälschlicherweise glauben, im "Energiepark Hirschaid" werde Energietechnik verkauft. Als nachhaltiges Veranstaltungszentrum und Ort, an dem Energietechnik zu erleben ist, sei es hingegen den wenigsten ein Begriff.
Die Reaktorkatastrophe in Fukushima im März 2011 war ein zentraler Auslöser, den Energiepark Hirschaid zu gründen und den Franken erneuerbare Energien nahe zu bringen. Beschäftigt das Thema die Menschen nach wie vor so stark wie damals?
Frank Seuling: Neben Fukushima war ein weiterer Impuls das große Informationsdefizit bei den verschiedenen Interessensgruppen im Bereich erneuerbare Energien. Nach vielen Gesprächen mit Politikern, Unternehmern, Architekten, Fachplanern und natürlich dem "normalen Häuslebauer" konnte ich feststellen, dass viele Menschen den Stand der Technik, die vielen Möglichkeiten der erneuerbaren Energien und praktische Anwendungsmöglichkeiten einfach nicht kennen. Im Gegenteil: Es gab und gibt immer noch sehr viele Vorurteile und zu wenig Wissen in diesem Bereich. Mit dem Motto "Erlebe erneuerbare Energien" wollte ich dies dadurch ändern, indem die Menschen mit der Technologie stärker in Berührung kommen. Ihre Frage, ob es die Menschen noch genauso stark beschäftigt wie unmittelbar nach Fokushima, kann ich mit einem klaren "Ja" beantworten - nur der Fokus hat sich geändert. Der Atomausstieg ist mittlerweile beschlossen. Die Solitärtechnologien wie PV, Wind, Biogas etc. sind bekannt, flächendeckend installiert und etabliert. Jetzt geht es aber um Fragestellungen wie man ganzheitliche Energiesysteme (für Kommunen, Unternehmen, Hausbesitzer) entwickeln und umsetzen kann. Weitere wichtige Themen sind Mobilität der Zukunft, Speichertechnologien, Energiekosten und Energie-Sparen und -Effizienz. Bei Veranstaltungen kann ich heute sehr oft Workshops und Führungen zu diesen Themen durchführen. Die Menschen sind hier sehr interessiert, wie einzelne Technologien mittlerweile zu einem Energiekonzept zusammenwirken und reflektieren diese Erkenntnisse entweder auf die energetischen Herausforderungen oder Ziele im beruflichen oder privaten Umfeld. Mit unserer eigenen Energiemesse, die wir einmal im Jahr ausrichten, haben wir die Möglichkeit aktuelle Schwerpunktthemen zu organisieren oder auch Innovationen vorzustellen. Mit über 2300 Besuchern an zwei Tagen sind wir eine der wichtigsten Informationsplattformen in der Metropolregion Nürnberg.
Wenn es um die Energiewende geht, scheint das Sankt-Florian-Prinzip vorzuherrschen - grundsätzlich ist jeder dafür, aber bitte kein Windrad vor der eigenen Haustür oder eine neue Stromtrasse durch unsere schöne Landschaft. Wie ist das in Einklang zu bringen?
Aus meiner Sicht braucht die Energie- und Umwelttechnikbranche klare politische Planungsvorgaben und Perspektiven, die auch belastbar sind für Investitions- und Standortentscheidungen. Viele Negativdiskussionen zum Beispiel im Bereich Windkraft sind auch aufgrund ständig veränderter Rahmenbedingungen vorhanden und erschweren eine positive und chancenorientierte Ausrichtung der Gesellschaft in ein neues Energiezeitalter. Darüberhinaus müssen Gesamtzusammenhänge sowie Ursache-Wirkungsbeziehungen besser erklärt werden. Die Dekarbonisierung der Industrie sowie der Umbau des heutigen Energiesystems hin zu einer signifikanten Reduzierung des CO2-Footprints sind vor dem Hintergrund einer wachsenden Weltbevölkerung, des spürbaren Klimawandesl und der bereits existierenden Ressourcenknappheit die wichtigsten Ziele unserer Gesellschaft und eine riesige Herausforderung für die nächsten Jahre. Für das einzelne Individuum ist es daher entscheidend, die technischen Möglichkeiten, zukünftigen Entwicklungen und Innovationen im Bereich der erneuerbaren Energien zu kennen, sich ständig zu informieren und zu prüfen, an welcher Stelle man betriebswirtschaftlich sinnvolle technische Entscheidungen für die Verbesserung der persönlichen CO2-Bilanz treffen kann.
Konkret in Hirschaid versuchen wir, weitere innovative Energietechnikprojekte zu realisieren, um auch aufzuzeigen, dass die Dezentralisierung des Energiesystems der Zukunft, also die Energieerzeugung, Speicherung und der effiziente Verbrauch vor Ort die Lösung der Energieprobleme der Zukunft sein kann. Wir versuchen, pro Jahr ein Energietechnikprojekt in Zusammenarbeit mit einem Technologiepartner am Energiepark Hirschaid zu realisieren. Das letzte Projekt war die Installation der Smartflower, ein neuartiges PV-All-In-One-System. Diese Anlage fächert sich wie eine Sonnenblume am Morgen auf und wandert mit der Sonne mit. Der Installationsaufwand ist sehr überschaubar und man kann damit den Strombedarf eines Haushalts annähernd abdecken - inklusive Speicher und Ladestation für E-Car. Neben dem Energiepark-Gelände wurde auch das ehemalige Baywa-Gelände erworben. Hier prüfen wir aktuell, inwieweit dieses Gebäude als kommunales Energieversorgungszentrum umgenutzt werden könnte.
Aus welcher Branche kommen die meisten Firmen zu Ihnen?
Der Energiepark Hirschaid ist ein hybrides Konzept: Zum einen sind wir ein nachhaltiges Veranstaltungszentrum, zum anderen ein Zentrum für Energietechnik. In den Energiepark Hirschaid kommen natürlich Institutionen und Firmen aus der Energie- und Umwelttechnikbranche. Es kommen aber auch Kunden zu uns, die nur teilweise oder nichts mit Energie und Umwelt zu tun haben. Hier geht es aber oft um Zukunftsthemen, wie zum Beispiel Digitalisierung, Strategie, Technologie und Innovation. Sehr erfreulich ist, dass die Automobilindustrie auf Basis ihrer Neuausrichtung in Richtung Elektromobilität, den Energiepark Hirschaid als ideale Plattform für die Präsentation ihrer neuesten Fahrzeug- und Mobilitätskonzepte entdeckt hat. Hier haben wir in diesem Jahr einige interessante Veranstaltungen mit bekannten Automobilherstellern realisiert.
Wie beurteilen Sie die Initiative des Landkreises zum E-Carsharing?
Ich finde diese Initiative gut. Die Bürger müssen Elektrofahrzeuge auf einfache Weise ausprobieren und "erfahren" können. Dies ist ja auch unser Motto von Anfang an: "Erlebe erneuerbare Energien". Mit der strategischen Neuausrichtung vieler Automobilhersteller in Richtung Elektro- und Wasserstoffmobilität werden sich in den kommenden Jahren völlig andere Fahrzeug- und Mobilitätskonzepte entwickeln und am Markt zur Verfügung stehen. Wichtig ist, die Menschen auf diesen Wechsel rechtzeitig vorzubereiten. Hier könnte man viel stärker den Energiepark Hirschaid als Informationsplattform, Ausstellungs- und Veranstaltungsort für Bürger, aber auch für andere Interessensgruppen nutzen.
Sie bieten in Ihrem Energiepark auch eine Schnellladetankstelle für Tesla-Fahrzeuge an - wie stark wird diese genutzt?
Wir betreiben bereits seit fünf Jahren insgesamt vier Ladestationen, teilweise auch öffentlich zugänglich. Die Tesla-Station wurde anfänglich stark frequentiert, da der Tesla mit einem speziellen Ladestecker ausgerüstet war und wir die entsprechende Tesla-Schnell-Ladestation hatten. Mittlerweile ist die Nutzung auf etwa zwei-, dreimal im Monat zurückgegangen. Man spürt, dass sich die Lade-Infrastrukturen in Deutschland verbessert haben und auch eine Normierung der Stecker mittlerweile erfolgt ist.
Zur deutschen Automobilindustrie: Ich glaube, dass die deutsche Automobilindustrie sowie die Zulieferer viel zu passiv sind und aufpassen müssen, nicht den Anschluss zu verlieren. "Die Zukunft der Mobilität ist elektrisch" das wird sehr große Veränderungen bei allen Herstellern und vor allem auch der Zulieferindustrie hervorrufen. Meines Erachtens gibt es aber auch große Chancen, zum Beispiel Wasserstoff- und Brennstoffzellenfahrzeuge oder auch Fahrzeuge, die auf Basis von Power-to-Gas-Technologien mit synthetischen Kraftstoffen betrieben werden können. Hier könnte man in Deutschland schon viel weiter sein, indem man etwa konsequent Infrastrukturen für Wasserstoff-Tankstellen an bestehenden Tankstellen einrichtet und damit das Reichweitenproblem komplett löst. Wasserstoff, gewonnen aus überschüssigen erneuerbaren Energiequellen, wäre die ressourcenschonendste und umweltfreundlichste Technologie für die Mobilität von morgen.
Gibt es konkrete Pläne ihr Angebot in nächster Zeit zu erweitern?
Das nächste Energieprojekt am Energiepark ist der Einsatz eines Batteriespeichers. Für das ehemalige Baywa-Gebäude erstellen wir ein Nutzungskonzept, um als kommunales Energiezentrum für Hirschaid zu dienen. In Zusammenarbeit mit den technikorientierten Lehrstühlen der TH Nürnberg wollen wir Master- und Bachelorarbeiten zum Thema Energietechnik in Verbindung mit dem Energiepark Hirschaid realisieren. Bei der nächsten Energiemesse am 1. und 2. April 2017 wird es unter anderem um Wasserstoff-Technologie gehen. In Zusammenarbeit mit dem Deutschen Wasserstoff- und Brennstoffzellenverband wollen wir verschiedene Technologien und Innovationen, unter anderem auch Fahrzeuge vorstellen. Highlight ist das erste Wasserstoffflugzeug der Welt als Modell.