Die Bibel wird weiblicher
Autor: Marion Krüger-Hundrup
Bamberg, Samstag, 05. November 2016
Jetzt gibt es die deutschsprachige Bibel in einer jeweils neuen Übersetzung der katholischen und der evangelischen Kirche.
E s war der jüdische Gelehrte Martin Buber (1878-1965), der in seinem Aufsatz "Der Mensch von heute und die jüdische Bibel" die Erwartungen an das "Buch der Bücher" interpretierte: "Die Bibel ist das Dokument der Offenbarung Gottes in der Geschichte des Menschen. Sie ist das Zeugnis der Offenbarung, die sich einerseits in der Vergangenheit ereignet hat, die sich aber gleichzeitig dem Menschen in jedem Augenblick erschließt." Damit sei es dem heutigen Menschen möglich, die Stimme Gottes, die in der Bibel zu ihm spricht, im Glauben zu vernehmen und damit zu einem sinnerfüllten Menschsein zu gelangen.
Worte, denen nicht nur jüdische Bibelleser, sondern sicher auch christliche vorbehaltlos zustimmen können.
Der Weltbestseller Bibel, übersetzt in mehr als 2600 Sprachen, lohnt nun einmal mehr die Wiederentdeckung: für eine Renaissance des göttlichen Gebote- und Wertekanons, der der ganzen Menschheit eine Richtschnur sein könnte.
Ein Gehstock auf dem Weg der Erkenntnis ist nun die Revision der deutschsprachigen katholischen Einheitsübersetzung und der evangelischen Lutherbibel, letztere präsentiert auf der Frankfurter Buchmesse 2016. Die Standardausgaben für den Haus- und Gemeindegebrauch zeigen sich mit weißer Schrift auf blauem Einband. Bei allem farblichen Einklang beider Konfessionen im äußerlichen Erscheinungsbild gibt es inhaltlich auf den Dünndruckseiten doch etliche Unterschiede. Aber nicht nur die Bibel in der Übersetzung Martin Luthers, der ja "dem Volk aufs Maul schaute", klingt frisch, sondern auch die feinen Akzentsetzungen in der neuen Einheitsübersetzung. Darauf gilt es sich einzulassen: "Die neue Bibel muss wie Wanderschuhe eingelaufen werden, damit das harte Leder weich wird für den täglichen Gebrauch", sagt Claudio Ettl.
Der Diplom-Theologe ist Diözesanleiter Katholisches Bibelwerk im Erzbistum Bamberg sowie Fachreferent in der Akademie Caritas-Pirckheimer-Haus (CPH) in Nürnberg. Er sorgt mit seiner bibelpastoralen Arbeit, mit Vorträgen, Seminaren, Fortbildungen für eine Vertiefung der Bibellektüre. Als einer der ersten Hauptamtlichen hat sich Claudio Ettl mit der neuen Einheitsübersetzung befassen können, nachdem diese auch das Placet der vatikanischen Gottesdienstkongregation für den liturgischen Gebrauch erhalten hatte.
"Es ist keine grundständige neue Übersetzung aus dem hebräischen und griechischen Urtext", erklärt Ettl. Der Theologe spricht von einer "moderaten Revision", die nach knapp 40 Jahren Nutzung der bisherigen Einheitsübersetzung erforderlich gewesen sei. "Die Sprache, die recht zeitgebunden ist, entwickelt sich, und die Bibelwissenschaft bringt neue Erkenntnisse", begründet Claudio Ettl die Mammutaufgabe, der sich seit 2003 ein Expertengremium der drei Bischofskonferenzen Deutschland, Österreich, Schweiz sowie der Bischöfe von Luxemburg, Vaduz, Straßburg, Lüttich und Bozen-Brixen gestellt haben.
Was Theologe Ettl als "moderate Revision" bezeichnet, können Bibelleserinnen durchaus als "Revolution" ansehen. Beispielsweise das Faktum, dass nun offiziell die Anrede in der biblischen Briefliteratur dem ursprünglichen Sinn entsprechend "Brüder und Schwestern" lautet. Oder dass sich der Gruß des Paulus (in Römer 16,7) nicht mehr an einen vermeintlichen Junias, sondern an die herausragende Apostelin Junia richtet. Oder dass Adam nun statt einer "Hilfe, die ihm entspricht" eine "ebenbürtige Hilfe" (Genesis 2,16) in Eva hat. Und Elisabeth und Maria werden schlicht "schwanger", statt dass "sie empfangen".
Um die möglichen Nuancen in der Übersetzung einzelner Wörter, Begriffe, Sätze auszumachen, lohnt sich der Vergleich zwischen alter und neuer Einheitsübersetzung. Ein solches Nebeneinanderlegen empfiehlt jedenfalls Claudio Ettl. Und weitet den Blick auf die evangelische Schwesterkirche, die sich zeitgleich an eine Revision der Lutherbibel begeben hatte. "Die Lutherbibel zeigt den Reichtum und die Lebendigkeit der Bibel als Wort Gottes", würdigt der katholische Theologe die "große Bandbreite der Übersetzungsmöglichkeiten".
Damit deutet Ettl positiv, was eine kritische Anfrage eigentlich ausschließt. Denn die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) war 2005 aus dem bis dahin gemeinsamen Projekt mit der katholischen Kirche ausgestiegen. Begründung: Die Bestimmungen der vatikanischen Instruktion "Liturgiam Authenticam" ("Gebrauch der Volkssprache bei der Herausgabe der Bücher der römischen Liturgie") machten eine weitere Beteiligung unmöglich. Gleichwohl gab es zwischen den Experten beider Kirchen Abstimmungen in Sachfragen und regen Anteil an den jeweiligen Arbeitsfortschritten.
INFO: Einheitsübersetzung
Der Name "Einheitsübersetzung" beschreibt das, was er bezeichnet: eine katholische Bibelübersetzung, die einheitlich für das ganze deutsche Sprachgebiet gelten soll. Die erste Idee zu einer einheitlichen Übersetzung kam 1960 auf, also noch vor dem zweiten Vatikanischen Konzil. Eine ökumenische Ausrichtung war, anders als der Name Einheitsübersetzung oft verstanden wird, zunächst nicht im Blick. Diese kam erst später bei den Psalmen und dem neuen Testament zum Zuge. 1979 erschien die erste Einheitsübersetzung in verbindlicher Fassung.
"Wunderschönes ökumenisches Zeichen"
Dr. Dorothea Greiner, Regionalbischöfin im evangelisch-lutherischen Kirchenkreis Bayreuth, sieht in den zeitgleichen Revisionen der katholischen Einheitsübersetzung und der evangelischen Lutherbibel keinen Rückschritt für die Ökumene.
Welche Bedeutung hat die Lutherbibel für Sie?
Greiner: Die Bibel ist wichtiger als alle anderen Bücher in meinem Leben. Und in der Lutherübersetzung bin ich zu Hause. Viele Verse kann ich auswendig - eben in der Version der Lutherübersetzung. Ihre Sprache hat Kraft: "Sein Licht nicht unter den Scheffel stellen", "die Spreu vom Weizen trennen", "dem Ochsen, der da drischt, nicht das Maul verbinden" - das sind alles poetische Formulierungen, die uns Luther geschenkt hat und die längst in das Sprachgut unseres Volkes eingewandert sind.
Welcher Vers aus der Lutherbibel ist Ihr "Favorit"? Warum?
Oh, ich habe viele Lieblingsverse. Doch was ich faszinierend finde: Dadurch, dass wir diese eine Übersetzung in der lutherischen Kirche nutzen, können erstaunlich viele Menschen den Psalm 23 im selben Wortlaut auswendig: "Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln." Vor wenigen Tagen habe ich das Treffen der Dekane und Verwaltungsstellenleiter geschlossen und wir haben diesen Psalm am Ende gemeinsam auswendig gebetet. Das geht nur, weil wir ihn alle in derselben Übersetzung - Luther - auswendig gelernt haben. Auch wenn Gemeindeglieder ihn nicht aktiv auswendig sprechen können, so lassen sie sich innerlich hineinfallen, wenn sie ihn hören. Inhalt und Sprachmelodie tragen ins Gottvertrauen. Darum tastet die neue Revision diesen Psalm auch nicht an.
Die Revision der Lutherbibel und der katholischen Einheitsübersetzung geschah zeitgleich. Ist es nicht ein Rückschritt für die Ökumene, dass sich die beiden großen christlichen Kirchen nicht auf ein gemeinsames Projekt verständigen konnten?
Die erste vollständige Lutherbibel in deutscher Sprache wurde im Jahr 1534 gedruckt. In der katholischen Kirche verwandte man weiterhin die lateinische Bibel. Das Projekt einer einheitlichen deutschen Übersetzung für alle katholischen Bistümer im deutschsprachigen Raum wurde im Zuge des zweiten Vatikanischen Konzils ab 1960 in die Wege geleitet. Der Name Einheitsübersetzung rührt also nicht von der Einheit der Konfessionen, sondern von der Einheit innerhalb der katholischen Bistümer her. In Folge wurden evangelische Theologen an den weiteren Revisionen beratend beteiligt, doch eine gemeinsame Entscheidungsbefugnis bestand nicht.
Ähnlich war es bei der Revision der Lutherbibel. Dass nun beide Revisionen - die der Lutherbibel und der Einheitsübersetzung - bewusst gemeinsam präsentiert werden, ist ein wunderschönes ökumenisches Zeichen. Es ist ein Akt wechselseitiger Wertschätzung der Übersetzungen. Ich selbst arbeite ohnehin mit einer Ausgabe des Neuen Testamentes, in der griechischer Text, Luther- und Einheitsübersetzung in Spalten nebeneinander stehen.
Bestimmt erscheint bald eine neue griechisch-deutsche Ausgabe, in der beide neue deutsche Revisionen wieder vereint nebeneinander stehen. Bei aller Liebe zur eigenen Tradition wird der Blick in die ebenfalls qualitativ hochwertige Übersetzung der Schwesterkirche zunehmen. Für das Verstehen der Bibel ist der vergleichende Gebrauch unterschiedlicher Übersetzungen eine Bereicherung.