Diagnose Werteverfall: Der Absturz von Bambergs FDP
Autor: Michael Wehner
Bamberg, Montag, 23. Sept. 2013
Das Ergebnis des Abgeordneten Körber in Bamberg ist symptomatisch für den landesweiten Absturz der FDP. Wie konnten die Liberalen so tief fallen? Zwei ehemalige Kreisvorsitzende geben Einblick in das Innenleben einer Partei.
Manchmal kann der Wähler grausam sein. Martin Pöhner und Jobst Giehler haben das am Sonntag zu spüren bekommen. Mit der Wucht eines Vorschlaghammers traf sie die erste Prognose um 18 Uhr. Die beiden führenden FDPler in Bamberg Stadt und Land ringen um Fassung, als sie kurze Zeit später im Rathaus zum Ergebnis des Abgeordneten Sebastian Körber befragt werden.
Dessen Zahlen könnten kaum schlechter sein: Im Stimmkreis Bamberg wurde Körber ungeachtet der Tatsache, dass er vier Jahre lang die Region vertrat, mit 3,4 Prozent förmlich abgestraft und sogar vom Kandidaten der Linken, Wolfgang Böhme, überholt. Auch das Verhältnis zur Zweitstimme kann da nicht trösten. Körbers persönliches Ergebnis ist deutlich schlechter als das der Partei.
Kaum besser als die NPD
Im Landkreis sieht es nicht viel besser aus.
Nach dem Rauswurf aus dem Landtag nun das Aus im Bundestag. Für die Strukturen einer Partei ist das ein Totalschaden. 93 FDP-Abgeordnete und ein Vielfaches von Mitarbeitern müssen den Bundestag verlassen und sich einen neuen Job suchen; Partei-Geschäftsstellen werden schließen; auch Körber muss sich umorientieren. Der 32-jährige Architekt wird sich künftig wieder in seinem Ingenieurbüro in die Arbeit stürzen.
Was bedeutet der liberale Erdrutsch für die große Politik und die kleine vor Ort? Selbst der Bamberger OB Andreas Starke (SPD) erschrickt, als er mit dem Abschneiden von Körber konfrontiert wird. Die FDP hat ihn im OB-Wahlkampf stets unterstützt. Starke erinnert an die große Tradition der Liberalen in Bamberg. Hier lebte Thomas Dehler, ein Rechtsanwalt, der nach dem Krieg die FDP mit gründete. Dehler war der erste Bundesjustizminister der jungen Bundesrepublik.
Von 1954 bis 1957 bekleidete er das Amt des FDP-Parteivorsitzenden. In der Tradition des Bürgerrechtlers Dehler sah sich auch die frühere FDP-Stadträtin Irene Hottelmann-Schmidt. Für sie bedeutet das Aus für die Liberalen einen schweren Schlag in ihrem Leben, auch wenn sie sich mittlerweile vom politischen Tagesgeschäft entfernt hat. "Ich bin sehr traurig über das Abschneiden. Vielleicht haben der Partei die älteren Politiker gefehlt, die eine gewisse Seriösität verkörpern?"
Von einer heilen Welt der FDP zu sprechen, wäre gerade auf der Ebene des Kreisverbands verwegen. Wer sich die zurückliegenden Jahre vor Augen hälterinnert sich an endlose Querelen und den geschlossenen Austritt ganzer Mitglieder-Gruppen aus den ohnehin spärlich besetzten Reihen der Bamberger FDP.
Zum Beispiel die Bamberger Wirtschaftsprüferin Gaby Seidl. Sie hat die Partei als einzige FDP-Stadträtin in Bamberg Ende 2012 verlassen, nachdem sie sich mit ihrem Nachfolger im Kreisvorsitz über wichtige Positionen nicht einigen konnte. "Das tut mir in der Seele weh", sagt sie über die Vorstellung, dass es in Deutschland keine FDP mehr im Bund geben wird. Ihrer früheren Partei bescheinigt sie ein tief gehendes Problem: Der Liberalismus sei seit 2009 zur Worthülse verkommen, gesellschaftspolitische Themen hätten keine Rolle mehr gespielt. Zudem: "Die Versprechungen der Steuersenkung wurden nichteingehalten."
Zurück zu den Wurzeln
Die Abkehr vom Markenkern der FDP beklagt auch der Bamberger Vermögensverwalter Matthias Kremer. Kremer war FDP- Kreis- und stellvertretender Bezirksvorsitzender, Landtags- und OB-Kandidat, schließlich Stadtrat, ehe er Mitte des letzten Jahrzehnts der Partei den Rücken kehrte - auch er nicht ganz freiwillig. Die vernichtende Niederlage der FDP wundert ihn nicht. Der Begriff des Liberalismus sei zuletzt immer mehr auf das Wirtschaftsliberale verengt worden, sagt Kremer. Bürgerrechtliche Elemente blieben auf der Strecke. Gleichzeitig kam es zu einem Wechsel des politischen Personals, Menschen mit linksliberalen Positionen hätten sich in der FDP nicht mehr beheimatet gefühlt: "Die FDP ist zum Sammelbecken von Karrieristen geworden, die mit dem Projekt 18 in die Partei hineingeschwemmt wurden und alle weggeboxt haben, die ihnen im Weg standen."
Dem politischen Erdbeben zum Trotz zweifelt Kremer nicht daran, dass Deutschlands Parlamente ebenso wie der Bamberger Stadtrat liberale Kräfte dringend nötig hätten. Nur eben solche, die sich wieder an die klassischen FDP-Themen erinnerten.
Könnte deshalb der Absturz auch eine heilsame Wirkung entfalten? Bietet sich jetzt Chance für einen Neuanfang? Jobst Giehler formulierte es am Wahlabend so: "Wir müssen zurück zu den Wurzeln von Thomas Dehler."