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Der Trassenkampf geht weiter


Autor: Günter Flegel

Bamberg, Donnerstag, 26. Februar 2015

Jeden Tag gibt es neue Meldungen zum Ob und Wie des Stromnetzausbaus. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer hat inzwischen 14 Länderchefs gegen sich aufgebracht. Der Bürger blickt nicht mehr durch und will nur noch eines wissen: Woher kommt der Strom?


Keine Trassen, zwei Trassen minus X, Erdkabel statt Freileitung, Gaskraftwerk statt Stromautobahn, Monstermasten, Strombrücken und Stromlücken: Ginge es nicht um sein täglich Licht, der Bürger in diesem Land hätte bei der Diskussion um die sogenannten Schlüsselprojekte der Energiewende schon abgeschaltet. Nach Jahren des Planens und Monaten des Dialogs vertagt die Politik die Entscheidungen ein ums andere Mal. Und mit jedem Tag zieht sich die Schlinge der Stromtrassen um Franken enger.

Bayern, allen voran Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU), ist zum Buhmann der Energiewende geworden, ein Attribut, das bei Seehofer bislang kein erkennbares Unwohlsein erzeugt, im Gegenteil. Das Gefühl, alle gegen sich zu haben, scheint den CSU-Chef in seiner Trotzphase noch zu bestärken. 14 Ministerpräsidenten stellen sich gegen den Sturkopf, der sich nicht davon abbringen lassen will, dass die Energiewende ohne die bayerischen Atomkraftwerke, ohne Ausbau der Windkraft und ohne die Verstärkung des Stromnetzes funktioniert.

Vom Winde verweht

Dabei fliegen dem Don Quichotte aus Ingolstadt nicht nur die Windmühlen um die Ohren (wegen der rechtlichen Probleme mit der Umsetzung der neuen Abstandsregel für Windkraftanlagen); der bayerische Widerstand gegen den Bau neuer Stromtrassen erweckt den völlig falschen öffentlichen Eindruck, das Veto aus München könnte den Leitungsbau verhindern. Doch genau das Gegenteil ist der Fall: 2013 haben Bundestag und Bundesrat das Gesetz zum Netzausbau beschlossen, der Bundesrat einmütig mit der Stimme Bayerns. Dieses Gesetz wurde weder aufgehoben noch ausgesetzt, es gibt keinen Bau- oder Planungsstopp.

Die Netzbetreiber, die für den Bau der beiden großen Trassen aus dem Norden Deutschlands nach Bayern und Baden-Württemberg zuständig sind, verfolgen das politische Hüh und Hott mit einer Mischung aus Galgenhumor und Verzweiflung: Auf der einen Seite steht seit 2013 der gesetzliche Auftrag, die Trassen auch durch Franken zu bauen; auf der anderen Seite steht der immer stärker werdende Widerstand der Bürger, die sich durch die Aussagen der Politik bestätigt fühlen und den Netzbetreibern vorwerfen, Fakten zu schaffen statt den Entscheidungsprozess in München und Berlin abzuwarten.

Gesetzlicher Auftrag

"Was sollen wir denn machen, wir haben den gesetzlichen Auftrag, die Trassen so zu bauen, wie es 2013 beschlossen wurde", sagt der Sprecher eines Netz-Unternehmens, das in Franken zum Buhmann geworden ist. Und der gesetzliche Auftrag lautet, so lange Bundestag und Bundesrat nichts anderes beschließen: Gebaut wird die Südlink-Trasse von Hamburg nach Grafenrheinfeld und dann weiter nach Großgartach in Baden-Württemberg. Die Trasse folgt grob dem Verlauf der Autobahn A7 und treibt unter anderem in Unterfranken viele Bürger auf die Barrikaden. Die zweite "Stromautobahn" beginnt laut Gesetz von 2013 bei Bad Lauchstätt (Sachsen-Anhalt) und führt nach Meitingen bei Augsburg.

Wegen der auch in Ober- und Mittelfranken heftigen Proteste gegen diese "Süd-Ost-Leitung" wird inzwischen ein anderer Trassenverlauf diskutiert; der Start ist weiter nördlich bei Magdeburg und nicht mehr mitten im ostdeutschen Braunkohlerevier, der Endpunkt könnte in der Nähe des Kernkraftwerks Gundremmingen liegen.
Das sind nur Überlegungen, Fakt ist das Gesetz zum Netzausbau - und deswegen können die Netzbetreiber das Planungsverfahren auch nicht stoppen oder bremsen; Südlink etwa soll nach dem gesetzlichen Auftrag 2022 in Betrieb gehen. Was das bei 600 Kilometern Leitungstrasse und dem Grunderwerb für Masten und so weiter bedeutet, kann man sich ausmalen.

Auf den Magen geschlagen

Bayerns eigenwilliger Energiekurs hat die Stromautobahnen in eine Sackgasse gefahren. Das muss nicht schlecht sein, denn die Zeit könnte man nutzen, um das gesamte Konstrukt der Energiewende zu überdenken; danach sieht es aber im Moment nicht aus. Die große Koalition verstrickt sich im Klein-Klein. Seehofers Gegenpol in Berlin, Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), soll es bei den Querschüssen aus München wiederholt den Appetit verschlagen haben, was gar kein gutes Zeichen ist. Der SPD-Boss beharrt nicht weniger stur als der CSU-"Kini" auf seinem kategorischen Nein zu den von Seehofer geforderten Gaskraftwerken; stattdessen macht er Zugeständnisse bei den neuen Stromleitungen: Sie sollen mehr als bisher geplant unter die Erde verlegt werden und sich stärker an bereits vorhandenen Trassen orientieren.
Für das Strom-Transitland Franken bedeutet das alles nichts Gutes. Mit jedem Tag Verzögerung wird es wahrscheinlicher, dass die per Gesetz beschlossenen Trassen genau so gebaut werden (müssen). Erdkabel bedeuten breite Schneisen durch die Landschaft, und wo die bestehenden Trassen sind, zeigt der Blick auf die Landkarte. Im schlimmsten Fall würde die neue Südost-Trasse dann parallel zu einer 380 000 Volt-Leitung an Bamberg/Nürnberg oder Kronach/Bayreuth vorbei von Norden nach Süden führen.


Merkel will mehr Zeit

Lange hat sie geschwiegen, aber jetzt hat die Kanzlerin im Koalitionsstreit um die Energiewende, zumindest ein Machtwörtchen: Die Kanzlerin will sich von den Bundesländern nicht zur Eile drängen lassen und setzt bei den Entscheidungen zum Ausbau des Stromnetzes auf einen bewährten Faktor: Zeit.
Eine Entscheidung zum umstrittenen Ausbau der Stromtrassen wird nach Angaben von Angela Merkel (CDU) wohl erst im Juni fallen. "Das reicht, um die notwendigen Planungen durchzuführen", sagte die Kanzlerin am Mittwoch in Berlin. Zuvor hatte die Koalition den Streit mit CSU-Chef Horst Seehofer um die geplanten Stromautobahnen von Nord nach Süd nicht beilegen können. Merkel erklärte, bei der Energiewende müsse der Dreiklang Ausbau der Gleichstrom-Netze, künftige Kraftwerkskapazitäten und Klimaschutz gelöst werden. Immerhin versprach die Regierungschefin, die vor allem von einer Reihe von CDU-Ministerpräsidenten dazu gedrängt wird, den Quertreiber Seehofer in die Schranken zu weisen: "Vor dem Sommer gibt es Klarheit."

Berlin trifft sich mit Bayern

Damit schwenkt die Bundeskanzlerin - bewusst oder vielleicht mehr zufällig - auf den bayerischen Kurs bei der Energiewende ein. Bayerns Energieministerin Ilse Aigner (CSU) hatte angekündigt, dass die Entscheidungen zum Ausbau des Stromnetzes und zum Bau möglicher neuer Gaskraftwerke im Freistaat "vor der Sommerpause" fallen sollen. Entscheidungen dazu sind freilich erst der Anfang; wenn die Energiewende neu "erfunden" werden soll, muss unter anderem das Gesetz zum Netzausbau (2013 beschlossen) geändert werden. Und ein Gesetzgebungsverfahren mit allen Anhörungen und Debatten braucht seine Zeit ....


Das Stromnetz


Vergleich Das deutsche Straßennetz ist rund 650 000 Kilometer lang, die Autobahnen nehmen mit knapp 13 000 Kilometern nur einen kleinen, aber umso wichtigeren Teil ein. Ähnlich sieht es beim Stromnetz aus: Es ist in Deutschland 1,8 Kilometer lang, die Höchstspannungsleitungen, die Strom über weite Strecken transportieren, summieren sich auf knapp 36 000 Kilometer.

Stabilität Wie bei Straßen braucht man auch beim Stromtransport "Umleitungen", damit bei Pannen oder Umbauarbeiten nicht das gesamte System zusammenbricht. Deswegen ist das Stromnetz auf den ersten Blick "überdimensioniert"; Höchstspannungsleitungen werden meist mit zwei Stromkreisen ausgeführt, die nur im Notfall bis an die Grenze der Kapazität belastet werden.



Kommentar

von Günter Flegel

Diesen Satz versteht man nicht sofort: Die Energiewende ist ein unglaublicher Erfolg. Und droht deshalb zu scheitern.
Was wie Unfug klingt, überfordert nicht nur die die Energiekonzerne und die Netzbetreiber, sondern vor allem die Politik: Das Gesetz zum Ausbau der Erneuerbaren Energien hat "grüne" Kapazitäten im deutschen Stromnetz geschaffen, von denen selbst Öko-Phantasten nicht einmal zu träumen wagten, als "Growian", die erste große deutsche Windkraftanlage, 1988 abgerissen werden musste.
Heute speisen Wind- und Solaranlagen so viel Strom ins Netz, dass das System zu kollabieren droht. Der von Wind und Sonne kostenlos (!) erzeugte Strom treibt die Kosten für die elektrische Energie wegen der Einspeisevergütung in die Höhe. Teure Gaskraftwerke und die Dreckschleudern der Kohlekraftwerke müssen vorgehalten werden, um die Reserveleistung für Windflauten und trübe Tage vorzuhalten.
Das alles zeigt, dass die Energiewende, wie sie 2011 auf den Weg gebracht wurde, funktioniert, dass 2015 ihre Mechanismen aber angepasst werden müssen. Auf dem deutschen Strommarkt tummelt sich ein wüstes Sammelsurium: Energieerzeuger und deren zwangsgeschiedene Töchter, die Übertragungsnetzbetreiber; darunter sind ein holländischer (Tennet) und ein schwedischer (Vattenfall) Staatskonzern ...
Strom ist staatlich geplante Marktwirtschaft. Warum nicht allen erzeugten Strom in einen großen Topf werfen und an die Verbraucher verteilen, zu laufend neu festgelegten Preisen? Das wäre staatliche Stromwirtschaft, natürlich bislang ein Tabu. Aber würde man Bayerns Autobahnen von BMW und Coburgs Landstraßen von Brose bauen und betreiben lassen?