Druckartikel: Der Brexit hat begonnen: Professor aus Bamberg erklärt Knackpunkte (mit Abstimmung)

Der Brexit hat begonnen: Professor aus Bamberg erklärt Knackpunkte (mit Abstimmung)


Autor: Natalie Schalk

Bamberg, Montag, 17. Juli 2017

Im März 2019 will Großbritannien die Europäische Union verlassen. Politikwissenschaftler Thomas Saalfeld aus Bamberg erklärt, worum es nun geht.
Thomas Saalfeld. Foto: pr


Vor einem Monat haben sich Großbritannien und die Europäische Union auf die Grundsätze für die Brexit-Verhandlungen geeinigt. Die Zeit drängt - bis zum Austrittstermin im März 2019 müssen Tausende große und kleine Dinge geregelt werden. Heute beginnen die eigentlichen Verhandlungen.


Was kostet der Brexit Großbritannien?

"Ein Knackpunkt wird sein, welche Kosten Großbritannien übernehmen soll", sagt Thomas Saalfeld. Der Bamberger Politikprofessor erklärt, dass die Briten in über 40 Jahren EU-Mitgliedschaft diverse Verpflichtungen eingegangen sind; z.B. müssen Pensionen britischer EU-Beamter gezahlt werden. Die Höhe der anstehenden Forderungen wird derzeit auf 60 bis 100 Milliarden Euro geschätzt. Das macht innenpolitisch wieder Dampf im Königreich.
"Einige wollen den sanften Ausstieg, andere den harten Schnitt." Selbst innerhalb eines Ministeriums gehen die Meinungen auseinander: "Außenminister Boris Johnson ist für den Brexit - viele Diplomaten und Beamte sind dagegen. Es ist schwierig, eine britische Linie zu finden."


Großbritannien und die EU-Gesetze

Die vielen EU-Normen und Gesetze werden die Briten wohl erst einmal komplett in das Recht Großbritanniens integrieren - und dann im Laufe von Jahren über normale Gesetzgebungsakte entscheiden, ob sie etwas ändern oder abschaffen. "Das Meiste wird aber so bleiben. Die Briten haben ja an der EU-Gesetzgebung immer mitgewirkt." Sie sind außerdem weiter mit der EU verbunden: Werden hier beispielsweise Medikamentenvorschriften geändert, wird sich ein britisches Pharmaunternehmen auch künftig danach richten. Ähnliches gilt für Umweltstandards. "Die Briten werden de facto oft EU-Recht anwenden müssen."


Die Arbeit der Lobbyisten

Und sie werden weiterhin Einfluss darauf haben - auch ohne Sitz im Parlament. "Es gibt ja noch andere Akteure. Man darf sich Europapolitik nicht allzu staatsbezogen vorstellen." Brüssel ist voller Verbände: Industrie, Umweltvertreter, Vertreter des Banken- und Finanzsektors, alle möglichen Interessensgruppen beeinflussen den politischen Meinungsbildungsprozess. Und warum sollte ein britischer Lobbyist keine Verbündeten in Italien, Frankreich und Deutschland suchen?
Die Wirtschaft spielt eine wichtige Rolle. In Europa ist umstritten, wie weit Großbritannien Teil eines gemeinsamen Marktes sein kann, wenn es keine Freizügigkeit gewährt. Deutschland hat ein großes Interesse an einer einfachen Regelung. "Aber die deutschen Firmen werden sich so oder so darauf einstellen", sagt Saalfeld. Viel schwieriger sei die aktuelle Ungewissheit. "Unternehmen warten noch mit Investitionen. Die ökonomischen Folgen werden die Briten in fünf, sechs Jahren spüren." Also ist der Brexit 2019 nicht erledigt. "Lange nicht." Saalfeld geht davon aus, dass Großbritannien zwar wie vereinbart die EU verlässt, dann aber eine lange Übergangsphase mit weiteren Verhandlungen folgt.


Abstimmung: Wie soll sich die EU verhalten - was sagen Sie?

 

 


Geheimdienstarbeit in Europa und Großbritannien

Ein besonderes Verhältnis wird es wohl bleiben: Der Bamberger Professor spricht von Zusammenarbeit in der Forschung, in der Außen- und Sicherheitspolitik und der Terrorismusbekämpfung. Auch die Nachrichtendienste sind aufeinander angewiesen: Keiner hat die Überwachung der Bürger so gut drauf wie die Government Communications Headquarters (GCHQ, deutsch: Regierungskommunikationszentrale) ihrer Majestät.

 

 


Warum der harte Ton zur Taktik gehört

Trotz gemeinsamer Interessen ist der Ton beider Verhandlungsseiten hart. "Die britische Regierung muss sich tough geben. Und das muss die EU auch, damit die Niederländer und Franzosen nicht auf die Idee kommen, der Ausstieg sei einfach", sagt Saalfeld. Dennoch ist er überzeugt davon, dass es beispielsweise bei Fragen wie der Reisefreiheit pragmatische Lösungen geben wird.

Lesen Sie hier, wie fränkische Unternehmen mit dem Brexit umgehen.